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Gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktentwicklung bis 2030

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Zuwanderung nach Deutschland infolge der europäischen Wirtschaftskrise haben das BIBB und das IAB ihre Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen zum nunmehr dritten Mal erneuert (Maier u. a. 2014a). Während in der zweiten Projektionswelle bereits die zunehmende Erhöhung der Erwerbsquoten, insbesondere bei Frauen und Älteren, sowie eine fortschreitende Bildungsexpansion als maßgebliche Einflussfaktoren für die zukünftig bereitstehenden Erwerbspersonen berücksichtigt werden konnten, wird in der dritten Projektionswelle auch den seit dem Jahr 2010 zunehmenden Wanderungsgewinnen Rechnung getragen. Im Gegensatz zur zweiten Projektionswelle wird nun angenommen, dass anstelle einer konstanten Nettozuwanderung von rund 100.000 Personen pro Jahr ab 2014 ein weiterer Anstieg auf jährlich 200.000 Personen bis zum Jahr 2020 stattfindet. Danach verharrt die Nettozuwanderung auf diesem Niveau (Variante 1W2 der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung).

BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen

Die BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen (QuBe-Projekt), die in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT) entstanden sind, zeigen anhand von Modellrechnungen auf, wie sich das Angebot und die Nachfrage nach Qualifikationen und Berufen langfristig entwickeln können. Datengrundlage ist hierbei der Mikrozensus (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahre 2011): eine amtliche Repräsentativstatistik des Statistischen Bundesamtes über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt, an der jährlich ein Prozent aller Haushalte in Deutschland beteiligt ist, angepasst an die Eckwerte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahre 2012). Die Lohninformationen stammen aus der Beschäftigtenhistorik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (in der vorliegenden Projektion bis zum Jahre 2011). Für die Berufsdifferenzierung hat das BIBB eine einheitliche Berufsfeldsystematik entwickelt, welche die Berufe auf der Dreistellerebene der Klassifikation der Berufe entsprechend ihren Tätigkeiten gruppiert (Tiemann u. a. 2008). Zur einfacheren Darstellung werden diese 54 Berufsfelder auf 12 Berufshauptfelder aggregiert (siehe Tabelle 4 in Maier u. a. 2014b).

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf der Basisprojektion der dritten Projektionswelle. Diese basiert auf den Methodiken der ersten (Helmrich/Zika 2010) und zweiten Welle (Helmrich u. a. 2012; Zika u. a. 2012) und nimmt zudem weitere Erneuerungen mit auf. So wird auf der Bedarfsseite das bisherige IAB/INFORGE-Modell (Hummel u. a. 2010; Schnur/Zika 2009) erweitert, indem das berufsspezifisch zur Verfügung stehende Arbeitskräfteangebot in Köpfen und Stunden bei der Lohnbestimmung für die Berufsfelder mit berücksichtigt wird (QINFORGE). Auf der Angebotsseite werden die Vorteile der bisherigen beiden Angebotsmodelle BIBB-FIT (Kalinowski/Quinke 2010) und BIBB-DEMOS (Drosdowski/Wolter 2010) in einem Angebotsmodell vereint und zugleich Lohnabhängigkeiten der beruflichen Flexibilitäten modelliert. Das Arbeitsangebot reagiert hierdurch auf die sich veränderten Löhne in den Berufsfeldern. Jedoch wird mit dem QuBe-Projekt in der Basisprojektion ein empiriebasiertes Konzept verfolgt: Es werden nur die bislang nachweisbaren Verhaltensweisen in die Zukunft projiziert. In der Vergangenheit nicht feststellbare Verhaltensänderungen sind somit nicht Teil der Basisprojektion. Dies gilt auch für die modellierten Marktanpassungsmechanismen. Alle Erneuerungen in der Modellierung sind ausführlich in Maier u. a. 2014b beschrieben. Schaubild A9.2-1 Internet gibt einen groben Überblick über die Funktionsweise des Modells. Für weitere Informationen siehe www.QuBe-Projekt.de.

Insgesamt wird durch die veränderte Bevölkerungsentwicklung, wegen der weiterhin steigenden Erwerbsquoten von Frauen und Älteren und wegen der durch die Wanderung erfolgenden Verjüngung der deutschen Bevölkerung 214 die Zahl der Erwerbspersonen von 2012 bis zum Jahre 2030 „nur“ um rund 2,10 Mio. auf 41,78 Mio. sinken. Die gestiegene Nettozuwanderung hat aber nicht nur Auswirkungen auf das Angebot an Erwerbspersonen, sondern auch auf den Bedarf an Erwerbstätigen. Sie steigert auch die Binnennachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Dennoch wird auch der Bedarf an Arbeitskräften in absoluten Größen langfristig rückläufig sein und im Jahr 2030 bei etwa 40,36 Mio. erwerbstätigen Personen liegen. Aufgrund der höheren Zuwanderung fällt er allerdings um rund 1 Mio. Personen höher aus als noch 2012 projiziert (Helmrich u. a. 2012).

Schaubild A9.2-2 gibt die aktuelle langfristige Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Arbeitskräfteangebots und -bedarfs im Vergleich zur vorherigen, zweiten Projektionswelle wieder. Wie darin ersichtlich, wurden im Vergleich zur zweiten Welle die beiden Angebotsmodelle BIBB-FIT und BIBB-DEMOS zu einem Modell vereint. Obwohl gesamtwirtschaftlich das Arbeitskräfteangebot den Arbeitskräftebedarf übersteigt, bedeutet dies jedoch nicht, dass sich genügend Arbeitskräfte für jede Tätigkeit finden lassen. Denn wie sich zeigen wird, weichen Arbeitsangebot und -bedarf für bestimmte Qualifikationen und Berufe voneinander ab, sodass Engpässe berufsspezifisch ausgeprägt sind. Aber auch regionale Engpässe werden bei dieser gesamtdeutschen Betrachtung nicht berücksichtigt.

Schaubild A9.2-2: Arbeitsmarktentwicklung bis zum Jahr 2030 nach Erwerbstätigen und Erwerbspersonen – in Mio. Personen

Fachkräfteengpässe vor allem bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung

Eine Hauptursache für ein mögliches Passungsproblem zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage ist in der Qualifikationsentwicklung zu finden. So werden im Zeitraum von 2012 bis 2030 rund 10,46 Mio. Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung215 den Arbeitsmarkt verlassen, jedoch werden nur 7,55 Mio. in diesem Zeitraum einen Beruf innerhalb dieser Qualifikationsstufe erlernen. Insgesamt geht somit das Angebot an Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung um rund 2,90 Mio. Erwerbspersonen bis zum Jahr 2030 zurück Schaubild A9.2-3. Auf der anderen Seite erhöht sich das Neuangebot an Erwerbspersonen mit akademischem Abschluss in diesem Zeitraum um 4,77 Mio., während nur 3,10 Mio. Personen aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Es kann somit bis zum Jahr 2030 ein Zugewinn von rund 1,66 Mio. Erwerbspersonen mit einem akademischen Abschluss verzeichnet werden.

Stellt man die Entwicklung des Arbeitskräfteangebots dem entsprechenden -bedarf nach Qualifikationsstufen gegenüber Schaubild A9.2-4, so wird deutlich dass gerade im tertiären Bereich (Meister, Techniker, [Fach-]Hochschule) das zunehmende Angebot zwar in den ersten Jahren von der Nachfrageseite aufgenommen wird; langfristig ist nach den derzeitigen Entwicklungen allerdings nicht absehbar, dass dieses Angebot auch im oberen Qualifikationssegment beschäftigt wird. Denn die bisherige Entwicklung der Nachfrage spiegelt einen solchen Anstieg nicht wider.

Betrachtet man die Personen mit abgeschlossener Berufsbildung, so wird ersichtlich, dass zwar auch die Nachfrage nach dieser Qualifikationsstufe zurückgeht, jedoch nicht in dem ausgeprägten Maß wie das Arbeitsangebot. Hier wird es trotz einer erhöhten Zuwanderung durch das beginnende altersbedingte Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge („Babyboomer-Generation“) voraussichtlich zu Engpässen ab Mitte der 2020er-Jahre kommen.

Der Bedarf an Arbeitskräften ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung wird zwischen 2011 und 2030 um rund 0,9 Mio. Personen sinken. Auch das Angebot geht in diesem Zeitraum zurück, allerdings nicht im selben Maße, sodass bis zum Jahr 2030 die Unterbeschäftigung der Personen ohne Berufsabschluss auf rund 1,2 Mio. ansteigen wird. Aktuelle Entwicklungen deuten zwar darauf hin, dass sich der Anteil der nicht formal Qualifizierten in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen seit 2005 kontinuierlich verringert (vgl. Kapitel A9.3). Um eine langfristige Reduzierung dieser Personengruppe voranzutreiben, müssten aber auch ältere Erwerbspersonen nachqualifiziert werden (Maier u. a. 2012, S. 17–23). Dies wäre auch aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive sinnvoll, um die entstehende Fachkräftelücke im mittleren Qualifikationsbereich zu schließen.

Schaubild A9.2-3: Entwicklung des Neuangebotes an Erwerbspersonen im Vergleich zu aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen 2012 bis 2030 (in Mio.)

Fachkräfteausbildung über und unter Bedarf

Engpässe bei der Personalrekrutierung für die Unternehmen sind jedoch seltener ein Problem der Qualifikationsstufe der Bewerber/-innen, sondern der fachlichen Qualifikationen und der Kompetenzen. Daher vergleichen die BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen auch die Passung von Angebot und Bedarf auf der Ebene von 54 Berufsfeldern bzw. 12 Berufshauptfeldern. Hinter dem Merkmal Berufsfeld stehen jeweils spezifische Tätigkeitscluster, wobei die Berufe bezogen auf deren Tätigkeiten innerhalb der Berufsfelder homogen und zwischen den Berufsfeldern heterogen sind.

Berufshauptfelder (BHF) und Berufsfelder (BF)

Für die Projektion des zukünftigen Arbeitskräftebedarfs und -angebots sind die Daten aus dem Mikrozensus auf Basis der Klassifikation der Berufe (KldB 1992) für den ausgeübten Beruf und ab 2005 auch für den erlernten Beruf verwendet worden. Der Detaillierungsgrad der Angaben im Mikrozensus zum ausgeübten Beruf bzw. zur Aus- oder Weiterbildungsfachrichtung auf der Basis der Klassifizierung der Berufe ist allerdings für längerfristige Qualifikations- und Arbeitsmarktprojektionen zu feinmaschig. Projektionen, die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in einem Zeitrahmen von bis zu 15 Jahren umfassen, sind auf der Ebene von Einzelberufen wissenschaftlich seriös nicht umsetzbar. Daher wurde auf der Basis der 369 Berufsordnungen (3-Steller) der KldB 1992 eine Verdichtung zu 54 Berufsfeldern vorgenommen (Tiemann u. a. 2008).

Inwieweit in einem Berufsfeld ein zukünftiger Engpass vorherrschen wird oder nicht, hängt von unterschiedlichen Betrachtungsweisen ab. Zunächst kann der Bedarf an Fachkräften eines spezifischen Berufshauptfeldes mit dem Angebot derjenigen verglichen werden, die einen Beruf in diesem Berufshauptfeld erlernt haben. Diese Betrachtungsweise wird in der linken Abbildung des Schaubildes A9.2-5 verdeutlicht. Hier wird dargestellt, in welchen Berufshauptfeldern unter Bedarf ausgebildet wurde bzw. wird und in welchen über Bedarf. Auffällig ist dabei vor allem der im Zeitraum 2005 bis 2030 stark zurückgehende Fachkräfteüberhang in den „Be-, verarbeitenden und instand setzenden Berufen“ – ein Berufshauptfeld, welches vor allem durch die duale Berufsausbildung geprägt ist. 

Schaubild A9.2-4: Erwerbstätige und Erwerbspersonen nach Qualifikationsniveaus (ISCED)

Schaubild A9.2-5: Gewinn- und Verlustrechnung für Fach- und Arbeitskräfte vor und nach Einbezug beruflicher Flexibilität nach Beufshauptfeldern 2005 bis 2030

Fachkräfteengpässe in Berufshauptfeldern mit vorwiegend mittlerem Qualifikationsniveau

Viele Erwerbstätige bleiben aber nicht in ihrem erlernten Beruf, sondern wechseln im Verlauf ihres Erwerbslebens in ein anderes Berufshauptfeld. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig. Anreiz für einen Wechsel können sowohl bessere Beschäftigungs- oder Einkommenschancen, bessere Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein (vgl. z. B. Hall 2010). Das Ausmaß der beruflichen Flexibilität pro Berufshauptfeld beschreibt die sogenannte Flexibilitätsmatrix des BIBB Tabelle A9.2-1, die für die 12 BIBB-Berufshauptfelder aufzeigt, wer mit welchem erlernten Beruf in welchem ausgeübten Beruf arbeitet. Es geht hier nicht um die Gründe des Wechsels, sondern um die Darstellung der Chancen und möglichen Konkurrenzen zwischen Berufshauptfeldern, die mit einem bestimmten erlernten Beruf verbunden sind.

Wird diese Flexibilitätsmatrix bei der Entwicklung des Angebots in der Projektion berücksichtigt, so werden die „beruflichen Wanderungsbewegungen“ teilweise zu einem Ausgleich von Angebot und Bedarf führen und vor allem zeigen, wohin Personen ohne eine formale berufliche Qualifikation wandern – welche Berufsfelder (besser: Berufshauptfelder) also gerade von dieser Gruppe profitieren. Die mittlere Abbildung in Schaubild A9.2-5 stellt eine Bilanzierung von Fachkräften unter Berücksichtigung der beruflichen Flexibilitäten dar. Es werden sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite nur Personen betrachtet, die mindestens einen vollqualifizierenden Berufsabschluss aufweisen können. Dabei zeigt sich, dass zum einen durch die berufliche Zuwanderung Fachkräftelücken geschlossen werden können. Dies ist zum Beispiel in den „Berufen im Warenhandel, Vertrieb“ oder den „Büro-, kaufmännischen Dienstleistungsberufen“ der Fall. Zum anderen können aber auch durch den stärkeren beruflichen Abstrom als Zustrom, wie in den „Rohstoffgewinnenden Berufen“, den „Be-, verarbeitenden und instand setzenden Berufen“, den „Medien-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Berufen“ und den „Gesundheits- und Sozialberufen, Körperpflegern“, Fachkräfteengpässe entstehen.

Arbeitskräfteengpässe: Das Potenzial liegt in der Arbeitszeit

Wird der Fokus auf alle Arbeitskräfte gerichtet, d. h. die Fachkräfte und die formal beruflich nicht Qualifizierten in die Betrachtung einbezogen, so zeigt sich, dass bis 2030 in 4 Berufshauptfeldern ein rechnerischer Arbeitskräfteengpass bestehen wird: In den „Verkehrs-, Lager-, Transport-, Sicherheits-, Wachberufen“, den „Gastronomie- und Reinigungsberufen“, den „Medien-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Berufen“ sowie den „Gesundheits- und Sozialberufen, Körperpflegern“ (linke Abbildung in Schaubild A9.2-5).

Arbeitsvolumenpotenzial

Das Arbeitsvolumenpotenzial ist ein hypothetisches Konstrukt, das angibt, wie groß das Arbeitsangebot, gemessen in Stunden, tatsächlich ist. Zur Berechnung dieses Konstrukts wird im Mikrozensus auf die Zahl der gewünschten wöchentlichen Arbeitsstunden zurückgegriffen, sofern diese über den regelmäßig tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden liegen (Zika u. a. 2012, S. 8).  

Doch die Anzahl der benötigten Personen ist auch abhängig von der unterstellten Stundenzahl, welche eine Personengruppe zu arbeiten bereit ist (Zika u. a. 2012, S. 8). Bezieht man dieses Arbeitsvolumenpotenzial der Erwerbspersonen in die Berechnung ein, so ergibt sich insgesamt eine aus der Sicht der Unternehmen entspannte Lage des Arbeitsmarktes im Jahre 2030 Schaubild A9.2-6. In den Berufshauptfeldern „Gastronomie- und Reinigungsberufe“ und „Verkehrs-, Lager-, Transport-, Sicherheits-, Wachberufe“ ist in diesem Fall noch ein durchaus ausreichendes Arbeitsangebot nach Stunden vorhanden. Auch bei den „Medien-, geistes- und sozialwissenschaftlichen Berufen“ und bei den „Gesundheits- und Sozialberufen, Körperpflegern“ wäre dies rein rechnerisch der Fall. Bei Letzteren ist das vorhandene nicht ausgeschöpfte Stundenangebot aber vor allem in den darin enthaltenen Sozialberufen feststellbar. Bei den „Gesundheitsberufen ohne Approbation“, die beispielsweise die Pflegeberufe enthalten, liegt die relative Differenz in Stunden im Jahr 2030 bei -1 %. Bedenkt man, dass beispielsweise unter den Berufshauptfeldern die „Rechts-, Management- und wirtschaftswissenschaftlichen Berufe“ im Jahre 2010 mit 9 % den geringsten Angebotsüberhang in Stunden aufwiesen, so wird deutlich, dass Rekrutierungsschwierigkeiten nicht erst dann entstehen, wenn das Arbeitsvolumenpotenzial nicht ausreicht, sondern bereits dann, wenn die relative Differenz weniger als 10 % beträgt. 

Tabelle A9.2-1: Berufliche Flexibilitätsmatrix 2011 auf der Ebene der Berufshauptfelder

Was beeinflusst die dargestellte Arbeitsmarktentwicklung?

Die BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen zeigen, welche Entwicklungen der deutsche Arbeitsmarkt nimmt, wenn an den derzeit beobachtbaren Trends festgehalten wird. Fach- bzw. Arbeitskräftelücken wie auch -überhänge werden in der Realität allerdings nicht so eintreten. Sowohl regional als auch unterhalb der hier dargestellten Berufshauptfelder kann es zu Engpässen kommen, die auf den höheren Aggregatebenen nicht auftreten. Zudem können antizipatorische Anpassungsreaktionen der Unternehmen auf der Nachfrageseite, sich wandelnde Ausbildungs- und Berufsoptionen der Jugendlichen auf der Angebotsseite sowie mögliche politische Interventionen Arbeitskräftelücken und -überhänge entschärfen. Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass eine zunehmende Zuwanderung nach Deutschland die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktsituation aus Sicht der Unternehmen entspannt und dass Teile der Arbeitsnachfrage durch das Ausschöpfen des vorhandenen Arbeitsvolumenpotenzials befriedigt werden könnten. Dieses Potenzial müsste allerdings auch „vor Ort“ erschlossen werden. Dies könnte z. B. mit Konzepten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen (Wünsche u. a. 2013).

Dennoch wird aller Voraussicht nach auch die Erschließung des zusätzlichen Potenzials im Arbeitsvolumen und durch Zuwanderung vermutlich nicht ausreichen, um langfristig 2 Passungsprobleme struktureller Art zu vermeiden: die Diskrepanz zwischen dem weiterhin bestehenden Bedarf an Fachkräften auf der mittleren Qualifikationsebene und dem langfristig stärker zurückgehenden Fachkräfteangebot auf dieser Ebene sowie die fachliche Kongruenz von auf dem Arbeitsmarkt angebotenen Fähigkeiten mit den nachgefragten Tätigkeiten. In der Berechnung der hier dargestellten Ergebnisse wurde bereits berücksichtigt, dass Arbeitskräfteengpässe zu Lohnsteigerungen in den entsprechenden Berufen führen können und dass die Erwerbspersonen im Rahmen der mit ihrem erlernten Beruf verknüpften beruflichen Flexibilität auf die veränderten Entlohnungsmöglichkeiten reagieren (Maier u. a. 2014a). Allerdings führen die bereits in der Vergangenheit existierenden Entlohnungsunterschiede zwischen Berufsfeldern auch dazu, dass nicht alle Engpässe durch Lohnanpassungen beglichen werden können. Zwar können höhere Löhne auf der mittleren Qualifikationsebene im vorwiegend industriellen Bereich drohende Fachkräfteengpässe hinauszögern; allerdings wird die Engpasssituation in den Berufen des Handwerks, mit einer im Vergleich zur Industrie traditionell geringeren durchschnittlichen Entlohnung, hierdurch noch verschärft.

Tobias Maier, Gerd Zika (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung)

Schaubild A9.2-6: Bilanzierung auf Berufshauptfeldebene nach Personen und Stunden im Jahre 2030

  • 214

    In der Regel wandern eher jüngere Personen zu und eher ältere ab (Maier u. a. 2014b, S. 24 ff.).

  • 215

    Damit ist ein vollqualifizierender Berufsabschluss entsprechend der ISCED-Kategorie 3b und 4 gemeint.