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Der im Rahmen des Lissabon-Prozesses vereinbarte LFS-Indikator zum lebenslangen Lernen war von Beginn an Gegenstand der Kritik. Der Rat der Europäischen Union (2003, Fußnote 5) verwies auf eine Projektgruppe von Eurostat, die „an einer neuen Erhebung über Erwachsenenbildung, die ein besseres Bild über die Teilnahme vermitteln soll“, arbeitete. Diese neue Erhebung ist der AES, der zwischen 2005 und 2009 zunächst auf freiwilliger Basis erprobt und 2011/2012 erstmals auf verpflichtender Rechtsgrundlage durchgeführt wurde. Eine Wiederholung alle 5 Jahre ist in der Verordnung (Europäische Kommission 2010a) vorgesehen.

In den meisten Staaten ist der AES eine Einthemenbefragung, die Lernaktivitäten im Erwachsenenalter (formal, non-formal und informell; siehe CLA) in den Mittelpunkt stellt und vielfältige Zusatzinformationen zum Lernen Erwachsener in diesen Formen liefert. Besonderer Wert wird auf die Benennung von Beispielen gelegt, um den befragten Zielperson zu veranschaulichen, was zum lebenslangen Lernen gehört, und ihre Erinnerung anzuregen. Der Referenzzeitraum sind jeweils die letzten 12 Monate vor der Befragung.

Eurostat hat in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die methodischen Vorgaben, Definitionen und Indikatoren für die Piloterhebung erarbeitet und für die erste verpflichtende Erhebung überarbeitet. Grundlegende Veränderungen bei den wichtigsten Indikatoren und Konzepten hat es dabei nicht gegeben – mit Ausnahme von Veränderungen beim informellen Lernen und bei der Abgrenzung zwischen formaler und non-formaler Aus- und Weiterbildung.271 Allerdings ist diese letztgenannte Abgrenzung für die Befragten (nach Äußerungen von nationalen Experten) immer noch schwierig und es ist noch nicht bekannt, ob die intendierte Veränderung der Abgrenzung tatsächlich in allen Staaten umgesetzt wurde. Die Veränderung der Abgrenzung müsste sich in Verschiebungen zwischen formaler und non-formaler Bildung (zu Lasten der formalen Bildung) niederschlagen. Insgesamt erscheint es daher sachgerecht, für den europäischen Vergleich den Indikator zum lebenslangen Lernen auf die formalen und non-formalen Lernaktivitäten gemeinsam zu beziehen, also eine andere Abgrenzung zu wählen als für die nationale Berichterstattung, die in Deutschland für den Begriff „Weiterbildung“ lediglich die Daten zum non-formalen Lernen nutzt (vgl. Kapitel B1.1).

Adult Education Survey (AES)

Der AES als „Datenerhebung über die Beteiligung und Nichtbeteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen (Erhebung über die Erwachsenenbildung)“ (Europäische Kommission 2010a) wurde in den Jahren 2011/2012 erstmals verpflichtend für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union272 auf der Grundlage von Verordnungen des europäischen Parlaments und des Rates, die u. a. den europäischen Standardfragebogen und Leitlinien zur Methodik enthalten, durchgeführt. Die Verordnung sieht vor, die Befragung alle 5 Jahre zu wiederholen. Zwischen 2005 und 2009 gab es auf freiwilliger Basis in 29 Ländern eine Piloterhebung zum AES.

In den einzelnen Ländern wurde jeweils eine repräsentative Stichprobe der 25- bis 64-jährigen Bevölkerung273 zu ihren Lernaktivitäten in den letzten 12 Monaten vor der Erhebung befragt. Insgesamt beteiligten sich 2011/2012 mehr als 150.000 Personen an der Befragung (in Deutschland 7.099). In einigen Ländern besteht Auskunftspflicht der Befragten; in Deutschland ist die Befragung für die Zielpersonen freiwillig. Die Antwortquote lag 2011/2012 mit Ausnahme Belgiens, Luxemburgs und Österreich bei 50 % und mehr (in Deutschland bei 51 %). Proxy-Interviews, also die Beantwortung des Fragebogens nicht durch die Zielperson selbst, sondern durch ein anderes Haushaltsmitglied, sollten möglichst vermieden werden. In 6 Staaten wurden Proxy-Interviews eingesetzt, in Tschechien, Griechenland und Ungarn lag der Anteil der Proxy-Interviews bei einem Drittel und mehr. In den meisten Staaten wurde der AES 2011/2012 als eigenständige Befragung durchgeführt; nach derzeitigem Informationsstand war er nur in Belgien und Irland in eine andere Befragung – den LFS – integriert.274

Das Lernen Erwachsener wird getrennt nach formaler Bildung, non-formaler Bildung und informellem Lernen erfasst (siehe Kasten zu den Formen der Bildungsbeteiligung). Zusätzlich werden Informationen zum soziodemografischen Hintergrund, zur Bildungsbiografie, zu den Themen und zu den Anbietern von Bildungsmaßnahmen, zu Weiterbildungsbarrieren, Teilnahmemotiven, direkten Weiterbildungskosten und zeitlichem Aufwand, Nutzeneinschätzungen, neuen Lernformen (E-Learning) und Kompetenzen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien und Fremdsprachen erfragt.

Eurostat veröffentlicht Ergebnisse aus AES auf seiner Homepage. Zum informellen Lernen wurden aus AES 2011/2012 noch keine Tabellen veröffentlicht. Konzeptionell hat es in diesem Bereich starke Veränderungen zwischen der Piloterhebung und dem AES 2011/2012 gegeben, die von den Staaten jedoch nicht immer umgesetzt wurden (vgl. Kuwan/Seidel 2013, S. 264 ff.) und sich in Problemen der Vergleichbarkeit zwischen den Staaten und zwischen den Erhebungswellen niederschlagen. Der anonymisierte europäische AES-Mikrodatensatz 2007 ist für die Forschung zugänglich; für den AES 2011/2012 steht dies noch aus. Die Qualität von AES wird zurzeit in einem Projekt im Auftrag von Cedefop275 evaluiert.

Quellen: Europäische Kommission 2010a; Eurostat 2013a; Eurostat 2013b

  • 271

    Das wichtigste Kriterium für die Unterscheidung zwischen formaler und non-formaler Bildung ist gemäß CLA die Verortung im nationalen Qualifikationsrahmen. Die nationalen Qualifikationsrahmen unterscheiden sich allerdings danach, wie ausführlich sie konkrete, einzelne Bildungsmaßnahmen im nationalen Qualifikationsrahmen benennen, was im AES 2007 unterschiedliche Zuordnung identischer Maßnahmen in den einzelnen Staaten nach sich zog. Für den AES 2011/2012 wurde als zusätzliches Kriterium formuliert, dass nur Bildungsgänge mit einer theoretischen Mindestdauer von 6 Monaten der formalen Bildung zugerechnet werden sollten (vgl. ausführlicher Behringer/Kuwan/Schönfeld 2013, S. 333 f.).

  • 272

    Ebenfalls beteiligten sich die Schweiz, Norwegen und Serbien. 

  • 273

    In einzelnen Ländern wurde die Stichprobe auf die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen (z. B. in Deutschland) bzw. der 65-Jährigen und Älteren ausgeweitet. Eurostat veröffentlicht jedoch nur Ergebnisse für die 25- bis 64-Jährigen.  

  • 274

    Der EU-Qualitätsbericht zum AES 2011/2012 wurde noch nicht veröffentlicht. 

  • 275

    An dem Projekt „Analysis of CVTS and AES“ sind neben dem BIBB das 3s research laboratory (Wien) als Konsortialführer sowie die Humboldt-Universität Berlin, die Universität Tallinn und das Centre d‘études et de recherches sur les qualifications (Céreq Marseille) beteiligt. Ergebnisse liegen noch nicht vor.