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Auf dem Weg zu einem Nationalen Qualifikationsrahmen

Überlegungen aus der Perspektive der Berufsbildung

Dr. Georg Hanf; Dr. Volker Rein

In der Diskussion über den Entwurf eines Europäischen und die mögliche Entwicklung eines Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) besteht in Deutschland ein breiter Konsens darüber, Bildung im Sinne des Lebensbegleitenden Lernens und der Beschäftigungsfähigkeit der Bürger unter den Makrozielen Transparenz, Durchlässigkeit und Kompetenzorientierung von Qualifikationen zu gestalten.01

Veröffentlicht: 22.05.2006 URN: urn:nbn:de:0035-0176-7

Angestrebt wird dabei ein bildungsbereichsübergreifender und europäisch anschlussfähiger NQR, der sich in seiner Zielsetzung nicht auf die Abbildung von Wissen und Bildungsabschlüssen beschränkt, sondern sich an Kompetenzen und beruflichen Handlungsfähigkeiten ausrichtet.

Vorbemerkung

Dieser Artikel ist als eine Bestandsaufnahme und Entscheidungshilfe für die deutsche Diskussion im Hinblick auf Ziele, Konstruktionselemente und Verfahren zur Entwicklung eines möglichen Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) aus der Perspektive der Berufsbildung konzipiert. Dabei werden eine Reihe von Fragen gestellt, die vor und während der Entwicklung eines solchen Instruments zu klären sind.

1. Ziele von Qualifikationsrahmen im Hinblick auf Bildung und Beschäftigung

In der Diskussion über den Entwurf eines Europäischen und die mögliche Entwicklung eines Nationalen Qualifikationsrahmens besteht in Deutschland wie auf der europäischen Ebene ein breiter Konsens, Bildung im Sinne des Lebensbegleitenden Lernens und der Beschäftigungsfähigkeit der Bürger unter den Makrozielen Transparenz, Durchlässigkeit und Kompetenzorientierung von Qualifikationen zu gestalten.

Die im Jahr 2000 in Lissabon vom Europäischen Rat für das laufende Jahrzehnt vorgesehene weitere Vertiefung der EU als gemeinsamem politischen und wirtschaftlichen Raum schließt ausdrücklich die Bildung ein. Entsprechend wurde in der Maastrichter Erklärung des Europäischen Rates vom Dezember 2004 die Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) zur Förderung von Transparenz und Mobilität innerhalb und zwischen den nationalen Bildungs- und Beschäftigungssystemen beschlossen. In der Erklärung wird dies auch mit den Zielen verknüpft, die Qualität der Berufsbildung zu sichern und zu steigern sowie ihre Gleichwertigkeit gegenüber der schulisch-akademischen Bildung zu fördern. Gleichzeitig wird für die Berufsbildung eine enge Verknüpfung zwischen der Entwicklung eines EQR und eines europäischen Leistungspunktessystems (ECVET) angestrebt. Nach der Beratung des ersten Entwurfs zum EQR02 im zweiten Halbjahr 2005 wird dieser nun von einer technischen Arbeitsgruppe überarbeitet; Mitte 2006 geht der revidierte Entwurf dann auf den Entscheidungsweg und soll unter deutscher Präsidentschaft im Frühjahr 2007 von Parlament und Ministerrat verabschiedet werden.

Die Konzeption eines möglichen NQR wurde bisher einerseits eng im Kontext des Entwurfs eines Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) mit dessen bildungs- und beschäftigungspolitischen Intentionen diskutiert, um von vornherein die transnationale Anschlussfähigkeit von in Deutschland erworbenen Qualifikationen zu gewährleisten. Zugleich steht das Projekt NQR auf nationaler Ebene für eine Bündelung bzw. Integration von Arbeiten an verschiedenen Baustellen des Bildungssystems, die in die gleiche Richtung wie ein EQR zielen. Dies lässt sich z.B. an der Zulassung schulischer Lernwege zu Abschlussprüfungen im Rahmen des neuen Berufsbildungsgesetzes oder in der landesgesetzlichen Verankerung einer möglichen Anerkennung beruflicher Qualifikationen in Hochschulstudiengängen festmachen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) in seiner Stellungnahme vom 15.11.2005 der Europäischen Kommission zum ersten Entwurf eines EQR03 mitgeteilt, dass Deutschland beabsichtigt, ein nationales Rahmenwerk für die berufliche und die allgemeine Bildung zu entwickeln. Diese Planung wird auch im Rahmen der Arbeitsgruppen des Ministeriums zu Weiterbildung/Durchlässigkeit und Europäische Öffnung konkretisiert. Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung, das "Parlament der Berufsbildung in Deutschland", hat sich in seiner Stellungnahme zum Kommissionsentwurf auf seiner Sitzung vom 14.12.2005 ebenfalls für die Entwicklung eines bildungsbereichsübergreifenden Qualifikationsrahmens in Deutschland ausgesprochen und dies in seiner Sitzung vom 09.03.2006 erneut bekräftigt.

Zur Diskussion steht ein NQR, der sich nicht auf die Abbildung von Wissen und Bildungsabschlüssen beschränkt, sondern sich an Kompetenzen und beruflichen Handlungsfähigkeiten ausrichtet. Die Qualifikationen sollen dabei als Lernergebnisse klassifiziert werden, die sich Niveaus von Tätigkeitsanforderungen und Kompetenzprofilen unabhängig von Bildungsabschlüssen zuordnen lassen. Dabei wird ein NQR als ein Instrument verstanden, mit dessen Hilfe vergleichende Aussagen zu Lernergebnissen getroffen werden können, die auf verschiedenen Wegen erzielt werden.

2. Zum Verhältnis von EQR und NQR

Das Konsultationsdokument zum EQR weist mehrfach auf die Freiwilligkeit des EQR und die Zuständigkeit der einzelnen Länder für ihre Qualifikationssysteme und die Zuordnung ihrer Qualifikationen hin.
"Es wäre optimal, wenn jedes Land einen einzigen nationalen Qualifikationsrahmen erstellen und diesen nationalen Qualifikationsrahmen zum EQR in Bezug setzen würde. Angesichts der Vielfalt nationaler Bildungs- und Ausbildungssysteme und deren Entwicklungsstadien sollte jedoch jedes Land wenigstens einen Prozess in Gang setzen, durch den bestehende Qualifikationsstrukturen und -systeme zum EQR in Bezug gesetzt werden können."... "Zwischen den Qualifikationen in den nationalen Systemen oder Rahmen und den Niveaudeskriptoren des EQR wird eine klare und nachvollziehbare Verbindung hergestellt."04

Allerdings wird auch deutlich gemacht, dass die verbindliche Verpflichtung nationaler Bildungs- und Ausbildungsbehörden zur Einhaltung einer Reihe vereinbarter Ziele, Grundsätze und Verfahren Voraussetzung für seine Einführung ist: "Das für Qualifikationen zuständige nationale Ministerium (bzw. falls es mehrere sind, die zuständigen Ministerien) sollte über den Umfang eines Rahmens (welche Systeme, Teilsysteme und zuständige Stellen sollen eingebunden werden) entscheiden."05

Die nationalen Zuordnungsverfahren für Qualifikationen sollen explizit und damit überprüfbar gemacht werden. Länder, die die Zuordnung ihrer Qualifikationen abgeschlossen haben, sollen in eine europaweite Liste aufgenommen werden.

Was bedeutet dies nun für einen NQR?

Ein NQR erleichtert die Nutzung eines EQR, wenngleich er nicht zwingend vorausgesetzt ist. Es könnten auch einzelne Qualifikationen bzw. "Familien" von Qualifikationen zugeordnet werden. Allerdings gilt: Wenn man eine Zuordnung von nationalen Qualifikationen ohne Rahmen zum EQR vornehmen wollte, käme man nicht darum herum, sie in die Begrifflichkeit des EQR zu übersetzen: Lernergebnisse, Kompetenzen, Dimensionen, Niveaus. Unter der Hand würde aus dem Gesamt der nationalen Qualifikationen ein nationaler Qualifikationsrahmen. Am ehesten nach-vollziehbar würde die Verbindung zwischen nationalen Qualifikationen und dem EQR durch eine (weitgehend) gleiche Begrifflichkeit. Da besteht Handlungsbedarf in beide Richtungen, europäisch und national.

NQR EQR
Bezugssystem für anerkannte Qualifikationen sowie Lernergebnisse außerhalb dieser Qualifikationen   Bezugssystem für anerkannte Qualifikationen/Qualifikationsrahmen  
Entwickelt durch nationale Behörden, regionale und sektorale Körperschaften   Entwickelt in der Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten  
Ausgelegt auf nationale Prioritäten   Ausgelegt auf Gemeinschafts-Prioritäten  
Instrument zur Anerkennung des Lernens von Individuen   Kein Anerkennungsmechanismus für Individuen 
Wert beruht auf Zusammenspiel der Akteure im nationalen Kontext   Wert beruht auf Vertrauen zwischen Mitgliedsstaaten  
Qualität wird durch Praktiken nationaler Behörden und Institutionen gesichert   Qualität wird durch Praktiken nationaler Behörden und Institutionen bei der Verbindung von NQR und EQR gesichert  
Niveaus werden durch nationale Richtgrößen definiert   Niveaus werden durch Lernfortschritte unabhängig von Kontexten bestimmt

 

Tabelle 1: Unterschiede von NQR und EQR

 

Bei der laufenden Überarbeitung der EQR-Kategorien ist darauf zu achten, dass sie mit (künftigen) nationalen Qualifikationsbeschreibungen nicht unbedingt wörtlich, aber substanziell zur Deckung zu bringen sind. Bei der Entwicklung eines NQR wäre man dann relativ frei bei der Konkretisierung bzw. Unterfütterung der EQR-Kategorien im nationalen Kontext. Das bedeutet insbesondere darauf hinzuwirken, dass die EQR-Kategorien Handlungsfähigkeit abzubilden erlauben und auf allen Ebenen schulisch-akademische und berufliche Qualifikationen/Kompetenzen Platz finden.

Ist dies gesichert, kann sich der nationale Rahmen durchaus vom europäischen Meta-Rahmen unterscheiden. Wie der Blick auf den englischen, irischen, schottischen Qualifikationsrahmen zeigt, können NQRn selbst bei sehr ähnlichen Systemen, recht unterschiedlich ausfallen: sie arbeiten mit 8, 10 oder 12 Niveaus; sie unterscheiden gar keine horizontal ausdifferenzierten Kompetenzdimensionen, 8 Dimensionen, 5 Dimensionen. Auf nationaler Ebene ist zu bestimmen, welche Ziele mit einem Rahmen verfolgt werden, wie Qualifikationen künftig beschrieben werden sollen, welche Kompetenzdimensionen deshalb sinnvoll, wie viele Niveaus notwendig erscheinen.

3. Perspektiven der Zielgruppen

Nutzer eines NQR sind potenziell alle an der Bildung beteiligten Akteure. In der Berufsbildung sind dies neben Bund und Länder die Sozialpartner, die Unternehmen, die Kammern, Zertifizierungseinrichtungen, Bildungsanbieter und nicht zuletzt Einzelpersonen. Als Instrument unterliegen ihm durchaus unterschiedliche Nutzungsperspektiven.

Im Bildungssystem sollen sich mit einem kompetenzorientierten Referenzrahmen Bildungsangebote abschlussneutral darstellen und aufeinander beziehen und Lernergebnisse (auch informell erworbene) qualifikations- und bildungsbereichsübergreifend anrechnen lassen. Dabei können z.B. flexiblere Zu- und Übergänge innerhalb der beruflichen Bildung sowie die Durchlässigkeit zwischen dem beruflichen und hochschulischen Bildungssystem durch gegenseitige Anrechnung ermöglicht werden.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer könnten mit Hilfe eines NQR gewünschte bzw. erworbene Qualifikationen verstanden als "Kompetenzbündel" transparent lesen bzw. darstellen. Dies kann erheblich bedarfsgerechter als mit formalen Bildungsabschlüssen geschehen und berufliche Erfahrungen einschließen. Im Einzelnen geht es dabei u.a. um die Erleichterung von vertikaler und horizontaler Mobilität innerhalb und zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen sowie die "Lesbarkeit" vorhandener Kompetenzen.

Zielbereich/Zielgruppe Funktion
Bildungssystem Adäquate Darstellung deutscher Abschlüsse
Durchlässigkeit, Lebenslanges Lernen
Beschäftigungssystem Mobilität, Flexibilität
Arbeitgeber Lesbarkeit von Kompetenzen; zielgenaue Personalrekrutierung und -entwicklung
Individuen   Anrechnung und Anerkennung von Lernergebnissen; Leichterer Zugang zu Qualifikationen, Verkürzung von Bildungszeiten

Tabelle 2: Zielbereiche/Zielgruppen und Funktionen eines NQR

 

Für den Einzelnen geht es dabei um die Förderung des Lebensbegleitenden Lernens u.a. durch einen leichteren Zugang zum Erwerb einer ersten Qualifikation, durch die Vermeidung von "Warteschleifen", von unnötigem Zeitaufwand und von Sackgassen beim Qualifikationserwerb; durch die Verknüpfung von formalem und informellem Lernen sowie um eine bedarfsgerechtere Orientierung im Bildungs- und Beschäftigungssystem für eine Weiterqualifizierung, einen Arbeitsplatzwechsel und die Transparenz vorhandener Kompetenzen.

4. Aspekte der Konstruktion

Die nachfolgenden Überlegungen zur Konstruktion eines nationalen Qualifikationsrahmen orientieren sich im wesentlichen an den Erkenntnissen aus einer Prüfung des ersten EQR-Entwurfs, die hinsichtlich seiner Implikationen für das deutsche Berufsbildungssystem vorgenommen worden ist.06 Das Paradigma der beruflichen Handlungsfähigkeit bildet hierbei den Ausgangspunkt einer Zuordnung bzw. Abbildung von Qualifikationen. Weiter wird hier vorausgesetzt, dass die Entwicklungsarbeiten an einem NQR auch im Hinblick auf seine Kompatibilität mit europäischen aber auch deutschen Ansätzen von Qualifikationsrahmenwerken vorgenommen werden.

Vorab ist zunächst grundsätzlich zu klären, inwieweit in der Berufbildung und in der Allgemeinbildung erworbene Qualifikationen kompetenzbezogen "unter einem Dach" klassifiziert werden können. Im Einzelnen sind u.a. folgende grundlegende Fragen zu behandeln. Sind der Lernergebnisansatz und die hierzu z.B. im ersten EQR-Entwurf verwendete Definition sinnvoll? Welche Kompetenzdimensionen sollten unterschieden werden? Welche Kriterien sind bei der Gestaltung von Niveaus zu berücksichtigen? Können sämtliche Lernergebnisse in einem einzigen einheitlichen Satz von Deskriptoren dargestellt werden oder können diese nur lernbereichs- bzw. domänenspezifisch formuliert werden?

  • Grundbegriffe
    Die Diskussion um einen NQR ist bisher an die Entwicklung eines europäischen Referenzsystems mit dessen bildungs- und beschäftigungspolitischen Intentionen gekoppelt. Entsprechend sollte ein einheitliches Verständnis der Begrifflichkeiten (z.B. Kompetenz, Qualifikation, Sektor, im deutschen Kontext auch Domäne) eines solchen Instruments zugrunde liegen, die für seine Gestaltung konstitutiv sind. Die im EQR-Entwurf vorgeschlagene Definition des Begriffs Lernergebnis (Learning Outcome)07 ist auch im deutschen Kontext handhabbar. Zugrunde gelegt werden die erworbenen und nachweisbaren Kompetenzen unabhängig davon, ob sie nun in Bildungsinstitutionen, im Prozess der Arbeit, im sozialen Umfeld, in allgemeiner oder beruflicher Bildung, auf der Basis von in Lehrplänen und Lehrbüchern niedergelegten Wissensbeständen oder durch Erfahrung erworben wurden. Dabei ist zu prüfen, ob der im EQR-Entwurf vorgesehene weitgehend lernort- und lernzeitunabhängige Ansatz unter dem Aspekt der Qualitätssicherung im Kontext der deutschen Berufsbildung tragfähig ist, da die Berufsbildungsordnungen mit einem Input/Outcome-Mix (siehe Ausbildungsrahmenpläne) gestaltet sind.
    Die Definition von Kompetenz, die im Rahmen der OECD verwendet wird, kommt dem deutschen Verständnis von beruflicher Handlungskompetenz nahe.08 Allerdings sind die Unterschiede und Schnittmengen in Definition und Verständnis des Begriffs in den Bereichen der beruflichen, allgemeinen bzw. hochschulischen Bildung als Voraussetzung für einen bildungsbereichsübergreifenden Ansatz zu klären.09 Der im ersten EQR-Entwurf sowie von der OECD verwendete Qualifikationsbegriff10 ist dann praktikabel, wenn Kenntnisse und Fertigkeiten als Subkategorien von Kompetenzen verstanden werden und ohne diese nicht handlungswirksam werden. In diesem Sinne können Qualifikationen auch als Bündel von Kompetenzen begriffen werden.
  • Kompetenzdimensionen
    Aus der Sicht der Berufsbildung bietet sich an, die in diesem Bildungsbereich in der Beschreibung beruflicher Handlungskompetenz anerkannten Untergliederung in fachliche, methodische, soziale und personale Kategorien zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu einer Schneidung von Kompetenzdimensionen in einem NQR zu machen.11 Eine Übersetzung bzw. Zuordnung zu Kompetenzdimensionen fachlicher Kategorien zu Kenntnisse (kognitiv) und Fertigkeiten (funktional) wie sie im ersten Entwurf des EQR als Kompetenzdimensionen vorgesehen sind, sind dabei möglich. Gleiches gilt für die Kategorie methodische Kompetenzen, die integriert zugeordnet werden können. In wie weit Kompetenzdimensionen weiter zu untergliedern bzw. zu konkretisieren sind, gilt es in einer Erprobungsphase auszuloten. Es ist darauf hinzuweisen, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den Kompetenzdimensionen nicht möglich ist. Gerade im Hinblick auf die Beschreibung von Anforderungen aufsteigender Niveaustufen müssen sie eine klare und eindeutige sowie pragmatische Handhabung ermöglichen.
  • Niveaus und Deskriptoren
    Die Konstruktion von Niveaustufen beruht auf Setzungen der daran Beteiligten. Über alle Domänen hinweg sollte eine einheitliche Zahl von Niveaus ggf. mit einem mittleren Kompetenzniveau angestrebt werden. Dabei muss geklärt werden, inwieweit der Zuschnitt der Niveaus entlang von Berufen, Berufsfeldern, Sektoren erfolgen kann.
    Die Anzahl der Niveaus könnte durch die Verwendung von qualitativen Kriterien zur Beschreibung von Handlungssituationen wie z.B. Komplexität, Intransparenz, Vernetzung, Dynamik bestimmt werden.12 Je weniger Niveaus, desto einfacher ist eine Beschreibung bzw. Erfassung. Jedoch ergeben sich hieraus tendenziell Unklarheiten und Spielräume bei der Zuordnung von Qualifikationen. Je mehr Niveaus, desto adäquater ist zwar die Zuordnung, desto schwieriger ist aber eine klar differenzierende Beschreibung. Die Zahl der Niveaus hängt auch davon ab, ob auch nicht- und vorberufliche Qualifikationen einbezogen werden sollen. Schließlich ist auch zu beachten, dass nicht für alle Kompetenz-Dimensionen die gleiche Anzahl von Niveaus definiert sein muss. Eindeutig ist der Bedarf an einer klaren Ausformulierung der Unterschiede zwischen den Niveaus. Außerdem müssen alle Niveaustufen durchgehend im Grad der Konkretion voneinander unterscheidbar outcome-bezogen beschrieben werden, um eine adäquate verständliche Beurteilungsfunktion ermöglichen zu können.

Bei der Formulierung von Deskriptoren muss darauf geachtet werden, dass sich ihnen Lernergebnisse, die in unterschiedlichen Systemen (Beschäftigungssystem13 und Bildungssystem14) erzielt und klassifiziert werden, gleichermaßen zuordnen lassen. So sollte z. B. eine Prädominanz von Wissen vermieden werden und praktische Kenntnisse und Fertigkeiten (Berufserfahrung) einen höheren Stellenwert erreichen als ihnen z.B. im ersten EQR-Entwurf zukam. Um eine nachvollziehbare Zuordnung zu ermöglichen, sollten die Deskriptoren in den verschiedenen Dimensionen jeweils einer einheitlichen Diktion folgen. Damit würde erreicht, dass eine stimmige qualitative Beschreibung der Niveausteigerung zwischen einzelnen Stufen geleistet wird. Weiterhin würde der Mangel behoben, dass z.T. sogar innerhalb einer Stufe für die verschiedenen Dimensionen unterschiedliche Niveaus adressiert werden.

Die Deskriptoren sollten über die Dimensionen und Niveaus hinweg vertikal und horizontal komplementär zueinander formuliert werden, um Niveausteigerungen aber auch das Kontinuum von Lernergebnissen besser abbilden zu können. Auch sollte die Entwicklung von Deskriptoren im Abgleich mit den zukünftigen Rahmenrichtlinien zur Formulierung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten in Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen orientiert an den erworbenen Kompetenzen erfolgen.

Eine Abbildung der Endqualifikation von Aus- und Fortbildungsprofilen als Lernergebnisbündel, welche die jeweils erworbene berufliche Handlungsfähigkeit in einem NQR beschreibt, erscheint grundsätzlich möglich. Dabei gilt es zu klären, ob alle Dimensionen das gleiche Gewicht bei einer Zuordnung von Qualifikationen haben, was den Ausschlag für die Zuordnung zu einem Niveau ergibt und wie die Gewichtung erfolgt, wenn eine Qualifikation über Niveaus streut. Ob und wie eine Einzelzuordnung von Lernergebnissen aus Teilqualifikationen der beruflichen Bildung möglich ist, ist noch im Detail zu klären, da diese im Zusammenwirken von Theorie und Praxis an verschiedenen Lernorten integriert vermittelt über einen bestimmten Zeitraum erworben werden.

5. Aspekte der Operationalisierung

Für die Entwicklung eines NQR sind eine Reihe von Fragen der Operationalisierung zu klären, die für das Funktionieren eines solchen Instruments unerlässlich sind.

So gelten Leistungspunkte als geeignete Indikatoren für Kompetenzbeschreibungen und werden grundsätzlich als praktikable Instrumente zur Anerkennung bzw. Anrechnung von erworbenen Qualifikationen angesehen. Die Maastricht Erklärung des Europäischen Rates vom Dezember 2004 sieht die Entwicklung des EQR in Verknüpfung mit einem European Credit Transfersystem für den Bereich der beruflichen Bildung vor (ECVET). Die Entwicklung und Einführung eines Leistungspunktesystems über die Bildungsbereiche und nationalen Grenzen hinweg würde die Durchlässigkeit von Qualifikationen zwischen der beruflichen und allgemeinen einschließlich hochschulischen Bildung neben anderen Wegen der Herstellung von Transparenz mit neuer Qualität befördern.

Es muss bei den Entwicklungsarbeiten für einen NQR jedoch geklärt werden, wie die Vergabe von Leistungspunkten für zu definierende Abschnitte von integrierten beruflichen Bildungsgängen unter vollständiger Berücksichtigung der integriert erworbenen Berufsbefähigung erfolgen kann. Auch ist die Frage der Kompatibilität eines berufsbildungsbezogenen Leistungspunktesystems mit der derzeit für den europäischen Hochschulbereich entwickelten qualitativ ausgerichteten Version eines European Credit Transfer Systems (ECTS II)15 noch nicht geklärt.

Weiter sind folgende Fragen in weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie in Erprobungsphasen zu behandeln, die an vorhandene Modelle und Erfahrungen zu den einzelnen Themen anknüpfen können. Welche Standards sind für eine kompetenzorientierte Gestaltung von Qualifikationen maßgeblich und nach welchen Standards sollen Kompetenzen ermittelt werden? Welche Regeln sollen für eine standardbezogene Zertifizierung non- und informell erworbener Lernergebnisse gelten? Nach welchen Kriterien und Verfahren sollen Äquivalenzen als Voraussetzung für Verfahren zur Anerkennung bzw. Anrechnung von erworbenen Kompetenzen festgestellt werden? Welche Auswirkungen haben kompetenzorientierte Qualifikationen und voraussichtlich auf Prüfungsmethoden und -verfahren? Welche Konsequenzen ergeben sich schließlich bezüglich der Qualitätssicherung?

6. Ausblick

Ein bereichsübergreifender Nationaler Qualifikationsrahmen kann eine wichtige institutionelle Voraussetzung bilden, die bildungspolitischen Makroziele Durchlässigkeit und Kompetenzorientierung von (nicht nur beruflichen) Qualifikationen zu erreichen - im Sinne des lebensbegleitenden Lernens und der Beschäftigungsfähigkeit der Bürger. Die Entwicklung eines NQR sollte von Anfang an unter Einbeziehung aller Akteure erfolgen, um eine nachhaltige Akzeptanz zu gewährleisten. Es könnte hilfreich sein, in diesen Prozess als Berater auch Experten und Akteure aus Nachbarländern mit dualen Strukturen einzubeziehen (Österreich, Schweiz, Dänemark, Niederlande).

Die Voraussetzungen für die Entwicklung eines solchen Instruments in Deutschland sind aufgrund einer Reihe bereits existierender Ansätze günstig, sei es in den Vorgaben für mehr Durchlässigkeit, wie sie im neuen BBiG enthalten sind, sei es in der kompetenzorientierten Gestaltung von akademischen Bildungsgängen oder im Modell-Programm zum Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte, sei es in den Arbeiten zu nationalen Bildungsstandards. Ein NQR könnte diese Entwicklungen im Sinne aller Nutzergruppen beschleunigen.

Quellen:

  • Bundesinstitut für Berufsbildung: Prüfbericht zu einem NQR für den Hauptausschuss (1/2006) vom 24.02.2006.
  • Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen, 2005, S. 38ff.
  • Europäischer Rat: Maastricht Communique on the Future Priorities of enhanced European Cooperation in Vocational Education and Training (Review of the Copenhagen Declaration of 30 November of 2002), 2004.
  • Kultusministerkonferenz: Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe, 2004.
  • Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung: Bildung für Europa. EQR und ECVET, 2005.
  • Rychen, D.S., Salganik, L.H.: A holistic model of competence. In: Dieselben (Hrsg.), Key Competencies for a Successful Life and a Well-Functioning Society, 2003.
  • Sloane, P.F.E: Kompetenzen und Kompetenzniveaus in der beruflichen Domäne von Wirtschaft und Verwaltung: Bildungsstandards, Kompetenzorientierung und Lernfelder. In: Bildungsstandards in der beruflichen Bildung II - Handlungserfordernisse, S. 3 - 19., 2005.

Stellungnahmen zum ersten Entwurf der Europäischen Kommission für einen Europäischen Qualifikationsrahmen vom 08.07.2005:

  • Bundesinstitut für Berufsbildung: Stellungnahme des Hauptausschuss (3/2005) vom 14.12.2005.
  • Bundesinstitut für Berufsbildung: Prüfbericht für den Hauptausschuss vom 01.12.2005.
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung / Kultusministerkonferenz: Erste Stellungnahme vom 15.11.2005.

Ausgewählte Publikationen des BIBB zum Thema

  • Clement, Ute; Le Mouillour, Isabelle; Walter, Matthias (Hrsg.)
    Standardisierung und Zertifizierung beruflicher Qualifikationen in Europa
  • Reuling, Jochen; Hanf, Georg
    OECD-Project "The role of qualifications systems in promoting lifelong learning"
    Länderporträt Deutschland
  • Grünewald, Uwe; Moraal, Dick
    Betriebliche Weiterbildung in Deutschland und Europa
  • Grünewald, Uwe
    Duale Ausbildungssysteme
    Institutionelle Rahmenbedingungen und Leistungsfähgikeit der dualen Ausbildung im Baugewerbe
    Berichte zur beruflichen Bildung; Heft 245
  • Koch, Richard
    Duale und schulische Berufsausbildung zwischen Bildungsnachfrage und Qualifikationsbedarf
    Ein deutsch-französischer Vergleich
  • Weiterbildung in der europäischen und deutschen Bauwirtschaft
    Ansätze und Strukturen
  • Ekbert Hering, Waldemar Pförtsch, Peter Wordelmann
    Internationalisierung des Mittelstandes. Strategien zur internationalen Qualifizierung in kleinen und mittleren Unternehmen
    Strategien zur internationalen Qualifizierung in kleinen und mitteleren Unternehmen
  • Irmgard Frank, Katrin Gutschow, Gesa Münchhausen
    Informelles Lernen.
    Verfahren zur Dokumentation und Anerkennung im Spannungsfeld von individuellen, betrieblichen und gesellschaftlichen Anforderungen
  • 1

    Dieser Beitrag basiert auf einer Vorlage für den Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung 1/2006.

  • 2

    http://ec.europa.eu/education/policies/2010/doc/consultation_eqf_de.pdf
    http://ec.europa.eu/education/policies/educ/eqf/index_en.html
    http://communities.trainingvillage.gr/eqf

  • 3

    Bundesministerium für Bildung und Forschung / Kultusministerkonferenz: Erste Stellungnahme zum ersten Entwurf eines EQR, 2005.

  • 4

    Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Auf dem Weg zu einem Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen, 2005, S. 38ff.

  • 5

    a.a.O.

  • 6

    Bundesinstitut für Berufsbildung: Prüfbericht zum 1. Entwurf eine EQR für den Hauptausschuss vom 01.12.2005.

  • 7

    Lernergebnis bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse, Fähigkeiten und/oder Kompetenzen, die eine Person nach Durchlaufen eines Lernprozesses erworben hat und/oder nachzuweisen in der Lage ist. Lernergebnisse sind Aussagen über das, was ein Lernender am Ende einer Lernperiode wissen, verstehen, können soll. In: EU-Kommission, EQR-Entwurf vom 08.07.2005:13.

  • 8

    Empfohlen wird folgende in der OECD verwendete Definition, die dem deutschen Verständnis von beruflicher Handlungskompetenz sehr nahe kommt: "Kompetenz kann als Befähigung definiert werden, komplexe Anforderungen in einem spezifischen Kontext (unter Nutzung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten) durch eine erfolgreiche Handlung entsprechen zu können. Kompetente Performanz oder effektive Handlung impliziert dabei die Mobilisierung von Wissen, kognitiven und praktischen Fertigkeiten sowie soziale und verhaltensbezogene Komponenten wie Einstellungen, Emotionen, Werte und Motivationen." In: Rychen, D.S./ Salganik, L. H.: A holistic model of competence (S. 41-62). In: dieselben (eds.), Key Competencies for a Successful Life and a Well-Functioning Society. 2003, S. 43.

  • 9

    Sloane, P.F.E: Kompetenzen und Kompetenzniveaus in der beruflichen Domäne von Wirtschaft und Verwaltung: Bildungsstandards, Kompetenzorientierung und Lernfelder. In: Bildungsstandards in der beruflichen Bildung II - Handlungserfordernisse, S. 3 - 19., 2005.

  • 10

    Empfohlen wird hier die Definition des EQR-Entwurfs vom 08.07.2005, S.14: "Eine Qualifikation ist erreicht, wenn eine zuständige Stelle entscheidet, dass der Lernstand einer Person den im Hinblick auf Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen spezifizierten Anforderungen entspricht."

  • 11

    Siehe u.a. Kultusministerkonferenz: Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe, 2004, S. 9ff.

  • 12

    Kuratorium der Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung: Bildung für Europa. EQR und ECVET, 2005

  • 13

    Tarifvertrag, Hierarchiestufen im Unternehmen, ISCO u.a.

  • 14

    Vollzeitschulen, Hochschulen, ISCED u.a

  • 15

    Europäischer Rat: Maastricht Communique on the Future Priorities of enhanced European Cooperation in Vocational Education and Training (Review of the Copenhagen Declaration of 30 November of 2002), 2004.

Erscheinungsdatum, Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 22.05.2006

URN: urn:nbn:de:0035-0176-7

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