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Die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt

Datenlage zu „Angebot“ und „Nachfrage“ in der Ausbildung

Naomi Gericke, Stephan Kroll, Klaus Troltsch und Joachim Gerd Ulrich

„Azubi-Notstand in Ostdeutschland“ („Bild“ vom 2. Juni 2008): Diese und andere Alarmmeldungen waren im Sommer 2008 Schlagzeilen der Tagespresse. Die Berichte klangen ungewohnt, war bislang doch allenfalls von einem großen Mangel an Lehrstellen und nicht von einem Mangel an Bewerbern die Rede. Doch viele ostdeutsche Betriebe berichteten, die eingehenden Bewerbungen inzwischen an einer oder an zwei Händen abzählen zu können, während sie in den Jahren zuvor noch davon überhäuft wurden.

Auch die am 13. Oktober 2008 vom Ausbildungspakt vorgelegte erste vorläufige Vermittlungsbilanz für das Berichtsjahr 2007/2008 deutete eine Wende auf dem Ausbildungsmarkt an: „In einigen […] Berufen wird es zunehmend schwierig, alle vorhandenen Ausbildungsplätze zu besetzen“. 1 Tatsächlich blieben in Ostdeutschland rund 2.800 betriebliche Ausbildungsstellen unbesetzt, so viele wie seit Anfang der 1990er-Jahre nicht mehr.

Ursächlich für die steigenden Besetzungsprobleme im Osten ist der massive demographische Einbruch. Die Zahl der Jugendlichen geht dramatisch zurück, und diese Entwicklung hat nun den Ausbildungsmarkt erreicht. 2008 wurden in Ostdeutschland nur noch 137.900 Ausbildungsstellenbewerber registriert, 48.500 (26%) weniger als noch ein Jahr zuvor. Darunter waren gerade einmal noch 56.700 zu finden, die frisch (d.h. im laufenden Vermittlungsjahr) von der Schule kamen; zehn Jahre zuvor waren das noch 143.600. Bei einem überwiegenden Teil der ostdeutschen Bewerber des Jahres 2008 handelte es sich um ältere, bislang oft erfolglose Jugendliche, die bereits seit längerem die Schule verlassen hatten (77.800).

Für die ostdeutschen Ausbildungsstellenbewerber führte die demographische Entwicklung in 2008 immerhin zu einer weiteren Verbesserung ihrer Ausbildungschancen (Abbildung 1). 54 % mündeten in eine Berufsausbildungsstelle (2007: 51%), und nur noch 3 % zählten Ende des Berichtsjahres zu den „Unversorgten“ (das sind Bewerber, die weder in eine Berufsausbildungsstelle noch in eine Alternative einmündeten). Ein Jahr zuvor hatte die Quote der Unversorgten noch 5 % betragen. Andererseits war die Ausbildungsbeteiligung der ostdeutschen Jugendlichen noch längst nicht so, wie man aufgrund dieser Zahlen und der oben genannten Zeitungsmeldungen vermuten könnte. Viele Bewerber waren zwar zunächst einmal „versorgt“, oft aber lediglich mit einer nicht voll qualifizierenden Alternative wie z.B. Praktikum oder Berufsvorbereitung. Ein Teil dieser „Alternativverbleiber“ wollte auch zum Ende des Berichtsjahres möglichst umgehend in eine Berufsausbildung wechseln. Somit lag die Zahl der Bewerber, die am Ende des Berichtsjahres immer noch nach einer betrieblichen Ausbildungsstelle suchten, mit 13.900 sehr deutlich über dem Umfang der noch unbesetzten Plätze (2.800), und die Zahl wäre noch viel größer ausgefallen, wären nicht 12.800 ostdeutsche Bewerber über voll qualifizierende außerbetriebliche Ausbildungsplätze versorgt worden. Die Daten für 2008 liefern somit ein schillerndes, zum Teil widersprüchlich erscheinendes Bild zur ostdeutschen Ausbildungsmarktlage: einerseits wachsende Probleme der Betriebe, Bewerber für ihre Ausbildungsplätze zu finden, andererseits weiterhin eine recht große Zahl von Jugendlichen, denen die Einmündung in eine betriebliche Berufsausbildung nicht gelingt.
Offenbar nehmen die Passungsprobleme zwischen Angebot und Nachfrage zu.

Ähnlich ambivalente Schlussfolgerungen deuten sich für den Westen an: Auch hier geht die Zahl der Jugendlichen bereits zurück, wenn auch nicht so rasant wie im Osten. Im Westen meldeten sich mit insgesamt 482.100 Ausbildungsstellenbewerbern 65.200 (-12%) weniger als zuvor. Die Zahl der nicht besetzten betrieblichen Ausbildungsstellen stieg auf 16.700, dem höchsten Wert seit 2002. Insbesondere im Süden Deutschland gab es bereits Regionen, in denen mehr gemeldete betriebliche Stellen als gemeldete Bewerber registriert wurden; in manchen Arbeitsagenturbezirken (z.B. München, Rosenheim) blieben über 10% der gemeldeten betrieblichen Stellen unbesetzt. Dennoch waren im Westen am Ende des Berichtsjahres noch 82.400 Ausbildungsstellenbewerber auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, darunter 10.100 Unversorgte (ohne bislang alternative Verbleibsmöglichkeit) und 72.300, die aus alternativen Verbleibsformen (z.B. Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen) weiter suchten.

Der Bundesagentur für Arbeit wurden im Berichtsjahr 2008 bundesweit über 10.000 betriebliche Ausbildungsstellen mehr zur Vermittlung angeboten als 2007 (Ost: +4.000, West: +6.300). Dies lässt darauf hoffen, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge in 2008 wie schon in den beiden Vorjahren gestiegen ist. Für diese Hoffnung spricht auch, dass Industrie & Handel, Handwerk und die Freien Berufe bis Ende September bundesweit rund 9.200 neue Ausbildungsverträge mehr registrierten. In den Angaben von Industrie & Handel, Handwerk und der Freien Berufe sind zwar sowohl betriebliche als auch außerbetriebliche Verträge enthalten.
Da aber für 2008 eher mit einem Rückgang der außerbetrieblichen Ausbildung zu rechnen ist (die Bundesagentur für Arbeit vermeldete bei den gemeldeten außerbetrieblichen Stellen ein Minus von 9.200), dürfte das Plus bei den bislang eingetragenen Ausbildungsverhältnissen der betrieblichen Seite geschuldet sein.
Endgültige Klarheit, wie viele neue Ausbildungsverträge im Zeitraum vom 01. Oktober 2007bis zum 30. September 2008 abgeschlossen wurden, gibt es aber erst im Dezember.
Dann wird das BIBB turnusgemäß seine Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge bei den für die Berufsausbildung zuständigen Stellen abgeschlossen haben. Dazu zählen neben Industrie, Handel, Handwerk und den Freien Berufen auch die Landwirtschaft, der Öffentliche Dienst, die Hauswirtschaft und die Seeschifffahrt. Eine frühzeitigere abschließende Bilanz ist leider nicht möglich, da viele Ausbildungsverträge, die im oben genannten Erfassungszeitraum abgeschlossen wurden, erst zwischen Anfang Oktober und Ende November bei den zuständigen Stellen eingetragen und auch erst dann gezählt werden können. (Ergebnisse im Jahr 2007)

Aufgrund der Meldungen zum Bewerbermangel insbesondere in den neuen Bundesländern und den sich andeutenden zunehmenden Passungsproblemen zwischen Ausbildungsangebot und –nachfrage wurde das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im August 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) um eine Expertise zur aktuellen und zukünftigen Situation auf dem Ausbildungsmarkt gebeten. Dabei sollte der Schwerpunkt auf die neuen Länder gelegt werden. Nachfolgend werden die Ergebnisse der Expertise veröffentlicht.

Die Ergebnisse im Überblick

  • Die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt in den neuen Bundesländern wurde 2008 erstmalig durch den massiven demografischen Einbruch mitgeprägt, der sich in den kommenden Jahren fortsetzen und zu einem beträchtlichen Nachwuchsmangel für die Betriebe führen wird. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellenbewerber lag Ende September 2008 nur noch bei rund 138.000, dies bedeutet einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr um rund 50.000. Gegenüber 1999, als noch rd. 250.000 Bewerber registriert wurden, hat sich die Zahl bereits nahezu halbiert.
  • Allerdings sind nicht alle Jugendlichen, die nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz suchen, bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet. Das Nachfragepotential, definiert als Summe aller Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung interessieren (Altbewerber sind hier mit eingerechnet), dürfte 2008 noch bei rund 160.000 gelegen haben, sofern man alle Schulabsolventen allgemeinbildender und beruflicher Schulen –
    also auch solche ohne Abschluss – einbezieht. Es beträgt aber nur noch rd. 136.000, sofern man sich bei den Abgängern aus den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen allein auf die Absolventen mit Abschluss konzentriert. Ein Vergleich mit der im letzten Jahr abgeschlossenen Zahl der neuen Ausbildungsverträge (rd. 125.000) macht deutlich, dass für die Betriebe kaum noch Auswahlreserven bestehen. Dies gilt umso mehr, als die räumliche Mobilität der Ausbildungsplatzbewerber aus Ostdeutschland bislang ausgesprochen hoch war und inzwischen ausgeprägte Traditionen bestehen, sich auch in Westdeutschland um einen Ausbildungsplatz zu bemühen.
  • Das Nachfragepotential im Jahr 2009 dürfte noch bei rund 111.000 liegen (ausbildungsinteressierte Absolventen aus allgemeinbildenden und beruflichen Schulen mit Abschluss, Altbewerber aus früheren Schulentlassjahren), um im anschließenden Jahr 2010 auf 91.000 und 2011 schließlich auf nur noch 79.000 abzusacken.
  • Jugendliche ohne bzw. mit schwächeren Abschlüssen scheinen trotz der verschärften Marktlage nur bedingt den Rückgang an qualifizierten Bewerbern ausgleichen zu können. Die Betriebe suchen dezidiert nach „ausreichend geeigneten“ Auszubildenden und scheinen nur begrenzt bereit zu sein, aus ihrer Sicht „nicht ausbildungsreife“ Bewerber an eine Ausbildung heranzuführen.
  • Insgesamt zeigt sich in Ostdeutschland auf Seiten der Betriebe eine Unsicherheit bezüglich des Angebots von Ausbildungsstellen. Mit 16,3 % konnte im März/April 2008 nur etwa jeder sechste ostdeutsche Betrieb mit Sicherheit sagen, dass Jugendliche ausgebildet werden sollen. Unter den ostdeutschen Handwerksbetrieben sinkt dieser Wert noch einmal auf 13%. Einer der Gründe liegt darin, dass rund 64 % der Handwerksbetriebe in den neuen Bundesländern ihr Angebot an Ausbildungsstellen eher kurzfristig nach Bedarf festlegen. Deutlich scheint jedoch auch, dass sich ostdeutsche Handwerksbetriebe über ihren Fachkräftebedarf in den nächsten zwei Jahren im Durchschnitt relativ gewiss sind. Die Strategien der Betriebe zur Rekrutierung von Fachkräften zeigen, dass diese eher versuchen, ihren Bedarf über Fachkräfte mit mehrjähriger Berufserfahrung zu decken, anstatt über eigene Auszubildende. Zudem setzen sie zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs intensiver auf die Weiterbildung von eigenen un- /angelernten Arbeitskräften.