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Stärkster Zuwachs bei den neuen Ausbildungsverträgen seit der Wiedervereinigung

BIBB-Erhebung 2006 über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge

Joachim Gerd Ulrich, Simone Flemming, Ralf-Olaf Granath, Elisabeth M. Krekel

Der wirtschaftliche Aufschwung und die positive Beschäftigungsentwicklung haben auch dem Ausbildungsmarkt und den Initiativen zur Steigerung des Lehrstellenangebots Rückenwind verschafft. Mit 576.378 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen wurden im Jahr 2006 rund 26.200 bzw. +4,8 % Verträge mehr gezählt als 2005. Dies ist der stärkste zwischenjährliche Zuwachs seit der Wiedervereinigung.

Veröffentlicht: 15.12.2006 URN: urn:nbn:de:0035-0194-1

Die Entwicklung in den einzelnen Zuständigkeitsbereichen

Insbesondere die großen Bereiche Industrie/Handel und Handwerk konnten Steigerungen verzeichnen. Industrie und Handel vermeldeten ein Plus von 20.770 bzw. +6,6 % zusätzlichen Neuabschlüssen, das Handwerk einen Zuwachs von 5.579 bzw. +3,6 %. In Industrie und Handel wurden insgesamt 336.935 Verträge abgeschlossen, im Handwerk 162.604.

Uneinheitlich verlief die Entwicklung in den kleineren Bereichen.
Die Landwirtschaft registrierte bei einem Gesamtumfang von 15.813 Neuabschlüssen rund 1.000 Verträge mehr (+7,0 %) als noch vor einem Jahr. Bei den Freien Berufen verringerte sich dagegen die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit einem Minus von 1.507 bzw. 3,5 % recht deutlich und erreichte nur noch 42.110.

Die negative Entwicklung in den Freien Berufen ist insbesondere auf die stark gesunkene Zahl der Neuabschlüsse in den Apotheken, Arzt- und Zahnarztpraxen zurückzuführen.
Die Juristen, Steuerberater und Tierärzte schlossen dagegen ähnlich viele Lehrverträge ab wie im Vorjahr.

In die Berufe des Öffentlichen Dienstes mündeten dieses Jahr 14.307 Ausbildungsplatzbewerber ein, dies waren 136 bzw. 1,0 % mehr als 2005. Die Zahl der Neuabschlüsse in der Hauswirtschaft erhöhte sich um 200 Verträge (4,9 %) und lag in diesem Jahr bei 4.320. Im kleinsten Ausbildungsbereich, der Seeschifffahrt, wurden 289 Lehrverträge gezählt, neun weniger als in 2005. Bei der Interpretation der Ergebnisse nach den verschiedenen Zuständigkeitsbereichen ist zu berücksichtigen, dass die tatsächliche Ausbildungsleistung in einzelnen Bereichen über die hier genannten Zahlen hinausgeht. So bildet der Öffentliche Dienst nicht nur in den Berufen aus, für die er unmittelbar zuständig ist und auf die sich die hier genannte Zahl von rund 14.300 Neuabschlüssen bezieht. Vielmehr bietet er auch viele Ausbildungsplätze in Berufen an, deren Zuständigkeiten bei Industrie/Handel und Handwerk liegen und deren Verträge auch dort registriert werden. Schätzungen gehen davon aus, dass die tatsächliche Ausbildungsleistung des Öffentlichen Dienstes in anerkannten Ausbildungsberufen etwa doppelt so hoch ausfällt wie oben angegeben. Hinzu kommen schließlich noch die Ausbildungsstellen für Beamtenanwärter. Auch für die Freien Berufe gilt, dass sie vielfach in Berufen ausbilden, deren Verträge bei Industrie und Handel gezählt werden.

Hintergrundinformationen zur BIBB-Erhebung zum 30.09.

Berücksichtigt werden alle Ausbildungsverträge, die zwischen dem 01. Oktober des Vorjahres und dem 30. September des laufenden Jahres abgeschlossen wurden. Die Vertragszahlen werden differenziert für Einzelberufe auf der Ebene der Arbeitsagenturbezirke erhoben. Anschlussverträge werden hierbei gesondert erfasst und im Gegensatz zur Berufsbildungsstatistik des Statistischen Bundesamtes (StBA) nicht zu der Gesamtsumme der Neuabschlüsse hinzugerechnet, weil die Anschlussverträge in der Regel eine Ausbildungsdauer von 24 Monaten unterschreiten.1 Die Meldungen über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge werden bis Ende November/Anfang Dezember von den zuständigen Stellen an das BIBB übermittelt - erste Auswertungsergebnisse liegen dann bereits Mitte Dezember vor und finden für den Berufsbildungsbericht der Bundesregierung Verwendung. Die gesetzliche Grundlage für die BIBB-Erhebung ist seit April 2005 § 86 des novellierten Berufsbildungsgesetzes (BBiG).

Gründe für die positive Entwicklung

Wie die jüngere Vergangenheit insgesamt, so zeigt das diesjährige Ergebnis erneut, dass der Ausbildungsmarkt stark von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhängig ist. Dies verwundert auch nicht: Denn der Umfang der Ausbildungsplatzangebote richtet sich im Wesentlichen nach dem Personalbedarf der Betriebe. Er steht damit auch statistisch in einem engen Zusammenhang mit der Zahl der Beschäftigungsverhältnisse.

Dieses Jahr gingen nach einer langen Durststrecke endlich wieder positive Impulse vom Arbeitsmarkt aus: Nachdem allein zwischen September 2000 und September 2005 rund 1,7 Mio. sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren gegangen waren (und im Gefolge dessen sich auch die Zahl der neuen Ausbildungsverträge stark verringerte), nahm die Zahl der Beschäftigten zwischen September 2005 und September 2006 um 317.000 zu. Die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt griff auch den zahlreichen Initiativen und Programmen zur Stabilisierung des Ausbildungsplatzangebots (u.a. Ausbildungspakt, JOBSTARTER) unter die Arme: Der Zuwachs bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen um rund 25.500 war jedenfalls noch deutlich größer, als allein aufgrund der positiven Impulse des Beschäftigungssystems zu erwarten gewesen wäre. Nicht zuletzt dieser - zusätzliche - Effekt kann als ein Zeichen gewertet werden, dass sich die Anstrengungen und Mühen dieser Programme und Initiativen ausgezahlt haben.

Hält der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt an, so besteht gute Hoffnung, dass es sich bei dem diesjährigen Zuwachs bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen nicht nur um ein einmaliges Strohfeuer handelt, sondern um den Wendepunkt hin zu dauerhaft positiveren Ausbildungsmarktverhältnissen.

Die Entwicklung nach Regionen

Erfreulich ist auch, dass es in diesem Jahr in West- und Ostdeutschland gleichermaßen zu einer positiven Entwicklung kam. In Westdeutschland wurden bei insgesamt 452.440 Abschlüssen 18.278 bzw. 4,2 % mehr Verträge gezählt als im Vorjahr, in Ostdeutschland betrug das Plus bei einem Gesamtumfang von 123.938 Verträgen 7.920 bzw. 6,8 %. Der relative Zuwachs fiel in Ostdeutschland damit sogar noch höher aus als im Westen. Einzelne Regionen Ostdeutschlands profitierten allerdings rein rechnerisch davon, dass staatlich finanzierte Ausbildungsplätze aus den Förderprogrammen 2005 zum Teil erst ab dem 01. Oktober 2005 vertragswirksam wurden und somit in den Erfassungszeitraum der diesjährigen Erhebung eingerechnet wurden.2 Doch dürfte dieser rein statistische Effekt die insgesamt positive Entwicklung in den neuen Ländern und Berlin nur zum Teil erklären.

Bis auf Mecklenburg-Vorpommern, wo rund 480 Lehrverträge weniger abgeschlossen wurden, konnten aus allen Bundesländern positive Veränderungsraten vermeldet werden. Besonders starke prozentuale Zuwächse verbuchten Brandenburg (+19,2 %), Sachsen (+9,0 %), Thüringen (+7,5 %), Schleswig-Holstein (+6,9 %), Hamburg (+6,4 %), Rheinland-Pfalz (+6,0 %) und Berlin (+5,9 %).

Differenziert man nach den 176 Arbeitsagenturbezirken (Berlin ist dabei zu einer Region zusammengefasst), so zeigt sich, dass es in insgesamt 155 Regionen zu einer positiven Vertragsentwicklung gekommen ist. Ein Jahr zuvor waren es nur 31 Bezirke, die einen positiven Trend zu verzeichnen hatten

Entwicklung bei den rein betrieblichen Verträgen

Leider kann in der BIBB-Erhebung noch nicht in ausreichendem Maße zwischen rein betrieblichen und den überwiegend öffentlich finanzierten ("außerbetrieblichen") Ausbildungsverträgen unterschieden werden. Ersten Schätzungen zufolge dürfte die positive Entwicklung aber vor allem auf eine deutliche Zunahme der betrieblichen Ausbildungsverträge zurückzuführen sein.

Trotz des Vertragszuwachses bleibt die Ausbildungssituation sehr schwierig

Trotz des in diesem Jahr sehr erfreulichen Ergebnisses bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen bleibt die Marktsituation für die Jugendlichen ausgesprochen schwierig. Zum einen sind in den vergangenen Jahren im Zuge des Beschäftigungsabbaus sehr viele Ausbildungsplatzangebote verloren gegangen. Und zum anderen musste der Markt aufgrund der demographischen Entwicklung stetig steigende Absolventenzahlen aus den allgemein bildenden Schulen verkraften. Beide Entwicklungen zusammen genommen führten zu einer langjährigen Unterversorgung an Ausbildungsplatzangeboten.

Wie schwierig die gegenwärtige Situation immer noch ist, lässt sich rein rechnerisch verdeutlichen, wenn man die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge auf den Umfang der Abgänger aus den allgemein bildenden Schulen hin prozentuiert. Standen Anfang der neunziger Jahre noch weit mehr als 70 neue Lehrverträge 100 Schulabsolventen gegenüber, waren es im 2005 nur noch knapp 59.

In diesem Jahr stieg die Quote zwar wieder auf gut 61 an. Doch liegt sie damit weiterhin deutlich unter den in früheren Jahren erzielten Werten.

Aufgrund der negativen Entwicklung der vergangenen Jahre baute sich eine immer größer werdende Bugwelle von Altbewerbern auf, die zusammen mit den frischen Schulabgängern um die Lehrstellen konkurrieren. Im Jahr 2006 war erstmalig mehr als jeder zweite bei der Bundesagentur für Arbeit registrierte Ausbildungsstellenbewerber ein "Altbewerber", also ein Jugendlicher, der die Schule bereits vor dem aktuellen Vermittlungsjahr verlassen hatte. Da die Zahl der Altbewerber in den letzten Jahren so massiv gestiegen ist, sind die Verhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt trotz des diesjährigen Vertragszuwachses leider nicht weniger angespannt als in den vergangenen Jahren.3

Repräsentative Untersuchungen zeigen, dass die Bewerbungschancen von Altbewerbern, die bereits in früheren Jahren mit einer Berufsausbildung beginnen wollten, im Vergleich zu den frischen Schulabgängern tendenziell ungünstiger ausfallen.

Ausblick auf die Schulabsolventenzahlen der kommenden Jahre

Wie die Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, stehen West- und Ostdeutschland, was die künftigen Absolventen aus den allgemeinbildenden Schulen betrifft, sehr unterschiedliche Entwicklungen bevor.

Im Osten sinkt die Zahl der Absolventen aus den allgemein bildenden Schulen bereits seit einiger Zeit, doch wird sich der Rückgang ab dem kommenden Jahr drastisch beschleunigen. 2011 wird der Tiefstand erreicht. Mit dann nur noch 109.600 Schulabgängern wird noch nicht einmal die Hälfte des Wertes des Jahres 2000 (234.900 Absolventen) erreicht. Im kommenden Jahr 2007 werden in Ostdeutschland immerhin noch 183.600 Jugendliche ihr Abgangszeugnis aus den allgemeinbildenden Schulen erhalten.
Dies sind 14.100 weniger als in diesem Jahr. Mittelfristig wird sich die Situation auf dem ostdeutschen Ausbildungsmarkt aus Sicht der Jugendlichen aufgrund der demographischen Entwicklung entspannen. Der Anteil der ersatzweise angebotenen außerbetrieblichen Ausbildungsplätze wird zurückgehen, und es werden weniger Jugendliche in den Westen wechseln müssen, um ein passendes Ausbildungsangebot zu erhalten. Allerdings bleibt zu betonen, dass sich mit den vielen außerbetrieblichen Ausbildungsanfängern, den Ausbildungspendlern in den Westen und der hohen Zahl an Altbewerbern ein großer Puffer gebildet hat, der die Effekte der demographisch bedingten Nachfragerückgänge noch einige Jahre lang dämpfen wird.

Im Westen wird es bis 2015 in jedem Jahr mehr Schulabgänger geben als im Jahr 2000, als 683.800 Jugendliche die allgemein bildenden Schulen verließen. Der demographisch bedingte Höhepunkt wird allerdings bereits im nächsten Jahr erreicht, wenn 754.300 Jugendliche ihre allgemeinbildende Schulzeit (erstmalig) beenden (dies sind 10.600 mehr als in 2006). Nach 2007 sinkt die Zahl der Schulabgänger aufgrund der demographischen Lage auch im Westen. Allerdings wird es im Zusammenhang mit der Schulzeitumstellung von 13 auf 12 Jahre in einigen Jahren (2011, 2013) noch einmal starke Ausschläge nach oben geben. In diesen Jahren sind in einigen Ländern des Westens zwei Abiturientenjahrgänge zu verkraften. Für den Lehrstellenmarkt bedeutet die Entwicklung der Schulabgängerzahlen, dass eine demographisch bedingte grundlegende Entspannung zunächst noch nicht in Sicht ist. Erst 2018 wird die Zahl der Schulabgänger in Westdeutschland unter den Wert von 2000 sinken.

Literaturhinweise

  • 1

    Zu den Unterschieden zwischen der Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30.9. und der Statistik zum 31.12. siehe: https://www.bibb.de/de/7298.php .

  • 2 So korrelieren die Veränderungsraten in den 35 Regionen Ostdeutschlands der Jahre 2005 und 2006 merklich negativ miteinander (r = -0,48), insbesondere in jenen drei Ländern, die in diesem Jahr besonders hohe relative Zuwächse verzeichnen konnten (r = -0,56). Dies bedeutet, dass gerade in jenen Regionen, in denen 2005 besonders negative Raten auftraten, in diesem Jahr überdurchschnittlich hohe positive Veränderungsraten beobachtet werden konnten. Dies deutet darauf hin, dass zusätzlich bereit gestellte Plätze des Jahres zum Teil nicht in 2005, sondern in 2006 vertragswirksam wurden.
  • 3

    Zum Umfang der Altbewerber und den weiteren Ergebnissen der diesjährigen Vermittlungsbilanz der Berufsberatungsstellen der Bundesagentur für Arbeit siehe auch: http://www.bibb.de/de/27399.htm