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Lage auf dem Lehrstellenmarkt weiterhin sehr angespannt

Weniger Bewerber als im Vorjahr münden in eine Lehrstelle ein

Joachim Gerd Ulrich, Elisabeth M. Krekel, Simone Flemming

Veröffentlicht: 15.11.2005 URN: urn:nbn:de:0035-0161-5

Wie bereits in den Vorjahren, so weisen die - zurzeit noch vorläufigen - Ergebnisse der Berufsberatungsstatistik für das Vermittlungsjahr 2004/2005 eine durchmischte Bilanz auf. Erfreulich ist, dass die Zahl der am 30.09. noch nicht vermittelten Lehrstellenbewerber im Osten abnahm und bundesweit mit 40.900 um 3.200 Personen niedriger ausfiel als 2004. Der Rückgang kam zustande, obwohl die Gesamtzahl aller registrierten Bewerber um 4.600 auf nunmehr 740.700 zunahm.

Doch ist der quantitative Rückgang bei den noch nicht vermittelten Bewerbern die Folge einer erneut gestiegenen Zahl von Jugendlichen, die - meist nach erfolgloser Suche - in eine Alternative zu einer Lehrstelle einmündeten (berufsvorbereitende Maßnahme, Suche oder Aufnahme einer Arbeitsstelle, Praktikum). Ihr Umfang nahm um 3.900 auf nunmehr 332.400 zu. Der Anteil derjenigen, die einen betrieblichen oder außerbetrieblichen Lehrvertrag unterschrieben, sank dagegen von 363.600 auf 360.400. Damit mündete noch nicht einmal jeder zweite der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Ausbildungsplatzbewerber in eine Lehrstelle ein.

Unter den alternativ verbliebenen Bewerbern stieg insbesondere der Anteil derjenigen, die sich ersatzweise um einen Arbeitsplatz bemühten (+ 5.700 auf 82.600). Dies ist insofern bedenklich, als es sich bei dieser Teilgruppe im Schnitt um bereits ältere Bewerber handelt und zu befürchten ist, dass sie sich auf Dauer von dem Ziel verabschieden, eine Berufsausbildungsstelle zu finden.

Gemeldete Ausbildungsstellen

Die Zahl der Ausbildungsstellen, die der Bundesagentur für Arbeit zur Vermittlung angeboten wurden, sank im Jahr 2005 um 48.400 bzw. 9,3 % auf nunmehr 471.500. Die gemeldeten Ausbildungsstellen haben in Ostdeutschland (-10,8 %) stärker abgenommen als in Westdeutschland (-8,9 %). Weniger Stellen als im Vorjahr wurden in insgesamt 162 der bundesweit 176 Arbeitsagenturbezirke registriert (Berlin ist hierbei zu einer Region zusammengefasst). Aus der Entwicklung bei den gemeldeten Stellen lässt sich allerdings nicht ableiten, wie sich die Zahl aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge verändern wird. Denn die Betriebe sind ebenso wenig wie die Jugendlichen dazu verpflichtet, ihre Ausbildungswünsche der Bundesagentur für Arbeit mitzuteilen. So wurden beispielsweise im Jahr 2004 der Bundesagentur bundesweit 26.800 Stellen weniger gemeldet, während die tatsächliche Zahl der neuen Lehrverträge um 15.300 zunahm.

Bedenklich stimmt dieses Jahr jedoch, dass auch Industrie, Handel und Handwerk bei ihrer Zwischenzählung der neu eingetragenen Lehrverhältnisse zum 30. September auf ein niedrigeres Ergebnis als im Vorjahr kommen. 2004 hatten sie ein Plus von 13.200 ausgewiesen. Der positive Trend stimmte damals - da in Industrie, Handel und Handwerk mehr als 85 % aller Lehrverträge registriert werden - recht gut mit dem späteren Gesamtergebnis für alle Ausbildungsbereiche überein. Als Zwischenergebnis für dieses Jahr melden die drei Wirtschaftsbereiche nun 418.300 neue Lehrverhältnisse, während sie für 2004 noch 445.200 Ausbildungsverhältnisse ausgewiesen hatten. Die doch recht deutliche Differenz (-26.900) lässt vermuten, dass die Ende Dezember 2005 feststehende Zahl aller Neuabschlüsse merklich niedriger ausfallen könnte als in 2004.

Endgültige Klarheit, wie viele neue Ausbildungsverträge im Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. September 2005 abgeschlossen wurden, gibt es erst im Dezember. Dann wird das BIBB turnusgemäß seine Erhebung bei den für die Berufsbildung zuständigen Stellen abgeschlossen haben. Eine frühzeitigere Bilanz ist nicht möglich, da viele Ausbildungsverträge, die im oben genannten Erfassungszeitraum abgeschlossen wurden, erst zwischen Anfang Oktober und Ende November bei den zuständigen Stellen eingetragen und auch erst dann gezählt werden können.

Industrie, Handel und Handwerk nennen als Gründe für den Rückgang der Vertragsabschlüsse die anhaltende Rezession am Binnenmarkt und den starken Beschäftigungsabbau insbesondere im Handwerk (siehe dazu auch unten). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass in diesem Jahr deutlich weniger Lehrstellen durch fertig ausgebildete Jugendliche frei wurden als noch im letzten Jahr. Denn vor rund drei Jahren - im Jahr 2002, als die meisten der diesjährigen Ausbildungsabsolventen mit ihrer Lehre begannen - waren 41.900 Lehrstellen weniger besetzt worden als noch ein Jahr zuvor. Dies hatte zur Folge, dass im Jahr 2005 der "Nachrückerbedarf" wesentlich niedriger ausfiel als im Vorjahr.

Ferner ist zu beachten, dass auch die Zahl der überwiegend öffentlich finanzierten Ausbildungsstellen (außerbetriebliche Ausbildung), welche die Bundesagentur für Arbeit, Bund und Länder ersatzweise für markt- und sozial benachteiligte Jugendliche sowie für behinderte Personen schufen, gegenüber dem Vorjahr um 7.200 abgenommen hat. Dieser Rückgang betraf allerdings ausschließlich den Osten Deutschlands.

Die Zahl der rein betrieblichen Lehrstellenmeldungen sank um 41.200 auf 422.000. Trotz bereits rückläufiger Schulabgängerzahlen in Ostdeutschland ist der dortige betriebliche Lehrstellenmangel weiterhin groß. In mehr als vier Fünfteln der 35 ostdeutschen Arbeitsagenturbezirke standen weniger als 40 gemeldete betriebliche Lehrstellen 100 registrierten Ausbildungsplatzbewerbern gegenüber, in mehr als der Hälfte sogar weniger als 30.

In Westdeutschland gibt es dagegen weiterhin einige Regionen, in denen die Zahl der gemeldeten betrieblichen Lehrstellen immer noch den Umfang der gemeldeten Bewerber übertrifft. Die allgemein günstigere Lage in den alten Ländern ist jedoch auch Folge der niedrigeren Einschaltquote des Arbeitsamtes durch Lehrstellensucher. Rein rechnerisch ließen sich in den westlichen Regionen durchschnittlich 75 von 100 Schulabgängern als Lehrstellenbewerber registrieren, im Osten waren es dagegen 98.

Gemeldete Berufsausbildungsstellen, die unbesetzt blieben

Nicht besetzt werden konnten bis zum Ende des Vermittlungsjahres 12.600 Plätze, 700 oder 5,5 % weniger als im Vorjahr. Damit wurde das der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Ausbildungsplatzangebot durch die Jugendlichen so intensiv ausgeschöpft wie noch nie im wiedervereinigten Deutschland. In Westdeutschland waren nur noch 11.800 Stellen offen (-6,0 %), während sich die Anzahl der unbesetzten Stellen in Ostdeutschland mit exakt 850 im Vergleich zum Vorjahr (845) praktisch kaum veränderte.

Wie in den Jahren zuvor blieben Ausbildungsstellen in den Berufen des Handwerks häufiger unbesetzt (3,4 % offene Stellen) als in den Berufen von Industrie/Handel (2,5 %) und in den Berufen des öffentlichen Dienstes (0,6 %). Den noch offenen Lehrstellen stand jedoch in fast allen Berufsbereichen eine größere Zahl von noch nicht vermittelten Bewerbern gegenüber. Mehr unbesetzte Stellen als noch nicht vermittelte Bewerber gab es im Wesentlichen nur im Fleischerhandwerk und bei den Gebäudereinigern.

Gemeldete Ausbildungsstellenbewerber

Die Zahl der Jugendlichen, die bei den Arbeitsagenturen als Ausbildungsstellenbewerber registriert wurden, stieg im Vergleich zum Vorjahr um 4.600 oder 0,6 % an und lag nun bei 740.700. Diese Entwicklung ist allein auf Westdeutschland zurückzuführen. In den alten Ländern wurden 15.200 (+ 2,9 %) mehr Bewerber gezählt als 2004. Hauptursachen dürften die weiterhin steigende Zahl der Schulabgänger (+ 8.700) und eine wachsende Zahl von erfolglosen Bewerbern aus den Vorjahren sein. In Ostdeutschland nahm die Bewerberzahl dagegen recht deutlich ab (-10.400 auf 202.500) - und zwar in einem Maße, das die sinkende Schulabgängerzahl (-6.100 gegenüber 2004) noch übertrifft.

Die Bewerber konzentrierten ihren primären Berufswunsch weiterhin auf nur wenige Berufsgruppen: 119.200 wollten sich zu Warenkaufleuten (z.B. Einzelhandelskaufmann/-frau), 104.200 zu Bürofachkräften (z.B. Kaufmann/-frau für Bürokommunikation), 49.600 zu Mechanikern/-innen (z.B. KFZ-Mechatroniker/-in), 44.300 zu Fachkräften in Arztpraxen (z.B. Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r) und 30.100 zu Friseuren/-innen ausbilden lassen. Das sind in der Summe 347.400 bzw. 47 % aller 740.700 gemeldeten Bewerber.

Durch die starke Konzentration wird das Vermittlungsgeschäft der Arbeitsagenturen erheblich erschwert. So standen den 347.400 Bewerbern in den hier genannten Berufen nur 193.700 entsprechende Stellenmeldungen gegenüber, die Differenz zur Zahl der Bewerber beträgt 153.600. Allerdings zeigen sich die Jugendlichen durchaus flexibel: Nach den Ergebnissen der Ende 2004 durchgeführten BA/BIBB-Lehrstellenbewerberbefragung hatten sich 70 % derer, die auf Ausbildungsplatzsuche waren, letztlich auf mehr als nur einen Beruf beworben, 44 % sogar auf vier Berufe und mehr.

Bewerber, die am Ende des Geschäftjahres weiterhin ein Lehrstelle suchen

Die offizielle Zahl der Lehrstellenbewerber, die am 30. September 2005 weiterhin nach einer Lehrstelle suchten, lag bei 88.100.

Darunter befanden sich 40.900, die als "noch nicht vermittelt" galten, und 47.200, die ersatzweise in eine Alternative zu einer Lehrstelle eingemündet waren, ihren Vermittlungswunsch aber weiterhin aufrechterhielten.

Gegenüber 2004 ist damit die Zahl der Bewerber, die auch noch am Ende des Geschäftsjahres entgegen ihren Wünschen nicht mit einer Berufsausbildung beginnen konnten, etwas gesunken (-4.400). Gleichwohl fällt sie im Vergleich zum Umfang früherer Jahre immer noch hoch aus. Dies gilt für beide Größen: die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber und die Zahl der Bewerber, die weiterhin die Vermittlung in eine Lehrstelle wünschen.

Bewerber, die am Ende des Geschäftjahres weiterhin ein Lehrstelle suchen

Die offizielle Zahl der Lehrstellenbewerber, die am 30. September 2005 weiterhin nach einer Lehrstelle suchten, lag bei 88.100.

Darunter befanden sich 40.900, die als "noch nicht vermittelt" galten, und 47.200, die ersatzweise in eine Alternative zu einer Lehrstelle eingemündet waren, ihren Vermittlungswunsch aber weiterhin aufrechterhielten.

Gegenüber 2004 ist damit die Zahl der Bewerber, die auch noch am Ende des Geschäftsjahres entgegen ihren Wünschen nicht mit einer Berufsausbildung beginnen konnten, etwas gesunken (-4.400). Gleichwohl fällt sie im Vergleich zum Umfang früherer Jahre immer noch hoch aus. Dies gilt für beide Größen: die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber und die Zahl der Bewerber, die weiterhin die Vermittlung in eine Lehrstelle wünschen.

Noch nicht vermittelte Bewerber

Noch nicht vermittelte Bewerber

Von den 40.900 "noch nicht vermittelten Bewerbern" stammen 29.700 aus den alten und 11.200 aus den neuen Ländern. Der relative Anteil der Unvermittelten fällt inzwischen in West und Ost mit 5,4 % bzw. 5,5 % nahezu gleich groß aus.

Wie in den Vorjahren waren

  • unter den Bewerbern mit Hauptschulabschluss merklich häufiger noch nicht Vermittelte zu finden (6,3 %) als unter den Bewerbern mit Hochschulreife (3,9 %),
  • unter den türkischen Jugendlichen (7,4 %) öfter als unter den griechischen (6,7 %) oder deutschen (5,4 %) Jugendlichen und
  • unter den Bewerbern, welche die Schule bereits im Vorjahr oder noch früher verließen, häufiger (6,3 %) als unter den Schulabgängern des Jahres 2004 (4,8 %).

Noch nicht vermittelte Bewerber und Bewerber, die trotz alternativen Verbleibs ihren Vermittlungswunsch nach einer Lehrstelle aufrechterhalten

Bund, Länder, Arbeitsverwaltung und Wirtschaft haben für das diesjährige Nachvermittlungsgeschäft wiederum umfangreiche Maßnahmen beschlossen, um Bewerbern ohne Lehrstelle doch noch eine Ausbildungschance in einem Betrieb zu ermöglichen. Im Osten stehen noch knapp 10.000 Plätze aus dem Bund-Länder-Programm und ergänzenden Maßnahmen der Länder gegenüber. Eine besondere Rolle spielen die betriebsnahen Einstiegsqualifizierungen, mit der die Berufsvorbereitung verstärkt in die Betriebe verlagert wird. Davon werden aber vor allem die noch nicht vermittelten Bewerber profitieren, und nicht diejenigen, die ersatzweise in eine Überbrückungsmaßnahme einmündeten. Denn diese gelten zunächst einmal als versorgt - selbst wenn sie ihren Vermittlungswunsch aufrechterhalten.

Alternativ verbliebene Bewerber, die ihren Vermittlungswunsch aufrechterhielten

Bereits seit einigen Jahren übertrifft die Zahl der Bewerber, die in eine Alternative zu einer Berufsausbildung einmünden, aber auch ganz offiziell weiterhin nach einer Lehrstelle suchen, die Zahl der "noch nicht vermittelten Bewerber". Die meisten dieser 47.200 Bewerber hatten sich alternativ um eine Arbeitsstelle bemüht (16.300 bzw. 34,6 %) oder hatten ersatzweise eine berufsvorbereitende Maßnahme begonnen (15.700 bzw. 33,2 %).

Gleich, was diese Jugendlichen alternativ zu einer Lehre begonnen hatten: Sie alle werden nicht zu den "noch nicht vermittelten Bewerbern" gezählt und damit auch nicht zu den offiziell ausgewiesenen Ausbildungsplatznachfragern des Jahres 2005. Insbesondere der zuletzt genannte Punkt ist fragwürdig. Denn damit wird Jugendlichen nur deshalb das Nachfragermerkmal aberkannt, weil sie trotz erfolgloser Lehrstellensuche nicht auf der Straße stehen möchten und sich selbst um eine Überbrückungsmaßnahme bemühen. Aus Sicht der Forschung sollte die Berufsbildungsstatistik hier revidiert werden. Dies gilt umso mehr, als auch § 86 des reformierten Berufsbildungsgesetzes verlangt, der Berufsbildungsbericht solle die Zahl der "bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Ausbildungsplätze suchenden Personen" angeben und nicht nur den Umfang der noch nicht vermittelten Bewerber.

Sonstige Bewerber, die in eine Alternative oder eine Überbrückungsmaßnahme einmündeten

Die restliche Zahl der Bewerber, die in eine Alternative oder eine Überbrückungsmaßnahme zu einer Berufsausbildung im dualen System einmündeten (ohne den Vermittlungswunsch aufrechtzuerhalten), lag bei 285.200. Die meisten von ihnen (120.100) besuchten eine Schule (allgemein bildende Schule, Berufsgrundschuljahr, Berufsfachschule, Hochschule, sonstige berufsbildende Schule). 66.300 hatten sich um eine Arbeitsstelle bemüht, 17.500 befanden sich in einer berufsvorbereitenden Maßnahme. Unter die Alternativverbleiber werden auch 18.200 gerechnet, die nach Vermittlungsvorschlag unbekannt verblieben waren.

Aus der bloßen Tatsache, dass diese Bewerber in eine Alternative zu einer Lehre einmündeten, ohne ihren Vermittlungswunsch offiziell aufrechtzuerhalten, lässt sich nicht schließen, dass sich alle diese Jugendlichen freiwillig umorientierten. Viele dürften nach erfolgloser Suche und dem ersatzweisen Beginn einer Alternative zunächst einmal den Wunsch haben, diese Alternative auch zu Ende zu bringen. Darauf deuten die Ergebnisse der BA/BIBB-Bewerberbefragung Ende 2004 hin. Damals hatten von allen Alternativverbleibern - gleich, ob sie ihren Vermittlungswunsch offiziell aufrechterhielten oder nicht - mehr als 109.000 angegeben, im Wesentlichen nur deshalb etwas anderes als eine Lehre begonnen zu haben, weil ihre Lehrstellenbewerbungen erfolglos geblieben waren. Sie alle hatten mindestens 20 schriftliche Bewerbungen versandt, im Durchschnitt (Median) sogar 40. Rechnet man die damalige Zahl derjenigen ab, die ihren Vermittlungswunsch offiziell aufrechterhielten (über 48.000), so blieben 2004 mehr als 60.000 Alternativverbleiber übrig, die vor allem wegen erfolgloser Bewerbungen eine Alternative begannen, diese dann aber einige Wochen nach Beginn des neuen Lehrjahres auch abschließen wollten.

Überträgt man die rechnerischen Relationen der BA/BIBB-Lehrstellenbewerberbefragung 2004 auf die aktuelle Situation 2005, so dürfte nach vorsichtigen Schätzungen die Gesamtzahl aller "latenten Bewerber" wiederum bei rund 110.000 liegen. Davon befindet sich etwa die Hälfte in schulischen oder berufsvorbereitenden Bildungsgängen, mehr als 30.000 arbeiten bzw. sind auf Arbeitssuche und die übrigen machen "Sonstiges" (z.B. freiwilliges soziales Jahr) bzw. stammen aus den Kreis derer, die "nach Vermittlungsvorschlag unbekannt verblieben" waren.

Die Lehrstellenlücke

Die rechnerische Lücke fehlender Lehrstellen allein über die Differenz zwischen der Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber und der Zahl der noch offenen Plätze zu berechnen, wie dies bisher üblich war, vermittelt zwar den Eindruck einer immer noch halbwegs ausgeglichenen Bilanz zwischen Angebot und Nachfrage. Doch dieser Eindruck darf nicht zur Schlussfolgerung führen, das duale System sei zurzeit in der Lage, die Nachfrage der Jugendlichen nach Berufsausbildung quantitativ ausreichend zu befriedigen.

Addiert man zur Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber die offizielle Zahl der Bewerber hinzu, die bei alternativem Verbleib weiterhin vermittelt werden wollen, so kommt man für 2005 auf eine Summe von 88.100 Bewerbern, die nach offiziellen Angaben der Bundesagentur für Arbeit Ende September weiterhin auf Lehrstellensuche waren. Der rechnerische Abstand zu den 12.600 noch unbesetzten Plätzen beträgt dann 75.500.

Die Ergebnisse der BA/BIBB-Bewerberbefragungen lassen sogar vermuten, dass der Umfang der erfolglosen Bewerber auf dem Ausbildungsstellenmarkt noch deutlich größer ist. Die übliche Berechnung der Differenz zwischen der Zahl der noch offenen Lehrstellen und der noch nicht vermittelten Bewerber ist somit nicht geeignet, die tatsächliche Lücke auszuweisen. Sie ist allenfalls als Orientierungsmaß für das Bemühen gedacht, Jugendliche auch kurzfristig nicht ohne Perspektive zu belassen und sie zunächst einmal "von der Straße zu holen".

Lehrstellenmarkt und die Entwicklung im Beschäftigungssystem

Das duale Ausbildungssystem in Deutschland verbindet Arbeit und Lernen. Damit sind große didaktische Vorteile und auch Vorteile für die späteren Berufschancen der Ausbildungsabsolventen verbunden.

Die diesjährigen Ergebnisse der Berufsberatungsstatistik belegen aber erneut, dass ein solches System zwingend auf ein funktionierendes Beschäftigungssystem angewiesen ist. So korreliert die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplatzangebote in den Regionen stark mit der allgemeinen Beschäftigungslage vor Ort. In Arbeitsagenturbezirken mit hoher Arbeitslosigkeit muss dementsprechend auch ein substanzieller Mangel an betrieblichen Lehrstellen hingenommen werden.

Bund, Länder und Bundesagentur für Arbeit reagieren auf diese Situation unter anderem damit, dass sie verstärkt außerbetriebliche Plätze (= überwiegend öffentlich finanziert) zur Verfügung stellen. Wie zielgenau sie dabei vorgehen, zeigt die links abgebildete Tabelle: Fehlende betriebliche Lehrstellen werden stets so kompensiert, dass im Schnitt in allen Regionen etwa 50 Ausbildungsplätze je 100 Schulabgänger zur Verfügung stehen, sei es in betrieblicher oder in außerbetrieblicher Form. Damit gelingt es, die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber in allen Regionen relativ niedrig zu halten. Diese erfreulichen Ergebnisse dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der offiziell noch nicht vermittelten Bewerber vor allem deshalb immer noch relativ niedrig gehalten werden kann, weil erfolglose Jugendliche verstärkt in Alternativen einmünden.

Abschließende Bemerkungen

Bei der Interpretation der Daten der Arbeitsagenturen ist stets zu berücksichtigen, dass sie nur einen Teilausschnitt des Lehrstellenmarktes widerspiegeln. Dies gilt für beide Seiten, für die Nachfrage- wie auch für die Angebotsseite.

Auf der Nachfrageseite dürften auch in diesem Jahr rund 200.000 Jugendliche ihre Lehrstelle gefunden haben, ohne sich bei der Bundesagentur für Arbeit als Lehrstellenbewerber registrieren zu lassen. Wie viele Jugendliche erfolglos nach einer Lehrstelle suchten, ohne auf die Dienste der Bundesagentur für Arbeit zurückgegriffen zu haben, ist nicht exakt abzuschätzen. Allerdings ist in diesen Fällen ohnehin die kritische Frage zu stellen, ob diese Jugendlichen für eine Lehre überhaupt geeignet waren bzw. ob sie sich tatsächlich genügend intensiv um eine Lehrstelle bemühten. Bei den 740.700 Jugendlichen, die 2005 offiziell als Bewerber von der Berufsberatung geführt wurden, wurde die grundsätzliche Eignung, eine Berufsausbildung zu beginnen ("Ausbildungsreife - auch unter den Fachleuten ein heißes Eisen"), dagegen von der Bundesagentur für Arbeit abgeklärt.

Auch auf der Angebotsseite ist unklar, wie groß der Markt außerhalb des von der Bundesagentur für Arbeit erfassten Ausschnitts ist. Nach den hochgerechneten Ergebnissen des IAB-Betriebspanels wurden 2003 62 % der westdeutschen und 70 % der ostdeutschen Ausbildungsstellen den Arbeitsagenturen zur Vermittlung angeboten; dies wären insgesamt rund 461.000 Stellen. Die Bundesagentur für Arbeit wies aber für 2003 546.700 Plätze aus, die ihr gemeldet worden waren. Demnach wäre die Einschaltquote deutlich höher gewesen und hätte nahe an das offiziell ausgewiesene Gesamtangebot von 572.500 herangereicht. Die Diskrepanzen zwischen den hochgerechneten Stichprobenergebnissen und der Berufsberatungsstatistik können leider nicht aufgeklärt werden.

Aus dem IAB-Betriebspanel lassen sich auch Hinweise zum Umfang an Lehrstellen ableiten, die unbesetzt blieben, ohne der Bundesagentur für Arbeit gemeldet worden zu sein. Nach den hochgerechneten Ergebnissen konnten die Betriebe im Jahr 2003 insgesamt 68.200 Ausbildungsplätze nicht besetzen, darunter 59.100 im Westen und 9.100 im Osten Deutschlands - in den meisten Fällen deshalb, weil sie keinen geeigneten Bewerber gefunden hatten. Die Bundesagentur für Arbeit hatte dagegen zum Ende des Geschäftsjahres 2003 bundesweit nur noch 14.800 offene Lehrstellen registriert, darunter 12.500 im Westen und 800 im Osten. Bei den Ergebnissen des IAB-Betriebspanels ist allerdings zu berücksichtigen, dass unter den betrieblichen Ausbildungsplätzen auch Ausbildungsverhältnisse außerhalb BBiG/HwO mitgezählt werden; deren Anteil dürfte etwa 15 % ausmachen. Zudem liegen keine näheren Informationen dazu vor, wie intensiv diejenigen Betriebe nach Auszubildenden suchten, die ihre offenen Plätze nicht besetzen konnten. Da ein großer Teil von ihnen darauf verzichtete, diese Stellen den Arbeitsagenturen zu melden, hatte die Berufsberatung auch keine Möglichkeit, die Betriebe bei der Suche nach einem geeigneten Bewerber zu unterstützen.

Die Bundesregierung hat mit der im April 2005 in Kraft gesetzten Reform des Berufsbildungsgesetzes neue Wege eröffnet, erfolglose Lehrstellenbewerber über eine voll qualifizierende berufsfachschulische Ausbildung zu einem anerkannten Berufsabschluss zu verhelfen. Damit eröffnet sich die Chance, trotz weiterhin schwieriger Wirtschaftslage und hoher Arbeitslosenzahl wieder mehr Jugendliche in Berufsausbildung zu bringen. Leider liegen zurzeit jedoch noch keine Zahlen vor, wie viele Jugendliche in diesem Jahr von den neuen Möglichkeiten profitieren konnten.

Literaturhinweise

  • Bellmann, Lutz; Hartung, Silke
    Warum bleiben Ausbildungsstellen unbesetzt? (Arbeitspapier aus dem IAB)
    Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2005
  • Brosi, Walter
    Aktuelle Probleme der dualen Ausbildung in Deutschland
    In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.)
    "Wir brauchen hier jeden, hoffnungslose Fälle können wir uns nicht erlauben!" Wege zur Sicherung der beruflichen Zukunft in Deutschland
    Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, 2005. S. 41-60.
  • Eberhard, Verena; Krewerth, Andreas; Ulrich, Joachim Gerd
    "Man muss geradezu perfekt sein, um eine Ausbildungsstelle zu bekommen." Die Situation aus Sicht der Lehrstellenbewerber
    In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 3/2005. S. 10-13.
  • Pahl, Veronika
    Das neue Berufsbildungsgesetz
    In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.)
    "Wir brauchen hier jeden, hoffnungslose Fälle können wir uns nicht erlauben!" Wege zur Sicherung der beruflichen Zukunft in Deutschland
    Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, 2005. S. 217-227.
  • Troltsch, Klaus; Krekel, Elisabeth M.; Ulrich, Joachim Gerd
    Wege und Instrumente zur Steigerung und Stabilisierung der betrieblichen Ausbildungsbeteiligung - Ergebnisse von Expertengesprächen in Betrieben
    In: Krekel, Elisabeth M.; Walden, Günter (Hrsg.)
    Zukunft der Berufsausbildung in Deutschland: Empirische Untersuchungen und Schlussfolgerungen
    (Berichte zur beruflichen Bildung, Heft 273). Bielefeld: Bertelsmann. S. 53-93.
  • Ulrich, Joachim Gerd
    Wege zwischen dem Verlassen der allgemein bildenden Schule und dem Beginn einer beruflichen Ausbildung. Ein Rückblick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre
    In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste (ibv), Nr. 23/04 vom 24. November 2004. S. 49-60.
  • Ulrich, Joachim Gerd
    Wer ist schuld an der Ausbildungsmisere? Diskussion der Lehrstellenprobleme aus attributionstheoretischer Sicht
    In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 3/2004. S. 15-19.
  • Ulrich, Joachim Gerd
    Probleme bei der Bestimmung von Ausbildungsplatznachfrage und Ausbildungsplatzangebot. Definitionen, Operationalisierungen, Messprobleme
    In: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.)
    Der Ausbildungsmarkt und seine Einflussfaktoren. Dokumentation der Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz vom 01./02. Juli 2004
    Bonn: BIBB. S. 5-36.

Erscheinungsdatum, Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 15.11.2005

URN: urn:nbn:de:0035-0161-5

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