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Deutlicher Zuwachs bei den betrieblichen Ausbildungsverträgen

Joachim Gerd Ulrich, Simone Flemming, Ralf-Olaf Granath, Elisabeth M. Krekel

Veröffentlicht: 14.12.2004 URN: urn:nbn:de:0035-0100-1

Rund 15.300 neue Ausbildungsverträge mehr als im Vorjahr: Das ist das Ergebnis der BIBB-Lehrvertragszählung für 2004 01. Zuwächse gab es in fast allen Ausbildungsbereichen: In Industrie und Handel (+ 14.194 bzw. + 4,6 %), im Handwerk (+ 2.507 bzw. + 1,5 %) im Öffentlichen Dienst (+ 1.308 bzw. + 9,5 %), in der Landwirtschaft (+ 181) und in der Seeschifffahrt (+ 49).

Lediglich bei den Freien Berufen wurden 2004 deutlich weniger Lehrverträge registriert (- 2.870 bzw. -5,8 %). Hiervon sind besonders die Notare und Rechtsanwälte betroffen, während bei den Apothekern und Tierärzten Zuwächse verzeichnet werden konnten. Der leichte Rückgang in der Hauswirtschaft (-23) ist nur marginal. Insgesamt wurden 572.980 neue Ausbildungsverträge gezählt, im Jahr 2003 waren es 557.634 gewesen.

Noch stärkerer Zuwachs bei den rein betrieblichen Verträgen

Leider kann in der BIBB-Erhebung nicht unmittelbar zwischen rein betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsverträgen unterschieden werden. Es lassen sich jedoch mit Hilfe der Daten der Bundesagentur für Arbeit Schätzungen vornehmen.
Diese deuten darauf hin, dass der Zuwachs allein durch die Entwicklung bei den betrieblichen Ausbildungsverträgen zu Stande gekommen ist.

Bundesweit hat es demnach im Jahr 2004 knapp 520.000 betriebliche Lehrverträge gegeben; im Jahr zuvor waren dies 497.000. In Industrie und Handel ist die Zahl der rein betrieblichen Verträge wahrscheinlich um über 18.000 (+ 6,7 %) und im Handwerk um mehr als 4.000 (+ 3,0 %) gestiegen; der Zuwachs allein in diesen beiden Ausbildungsbereichen dürfte somit zwischen 22.000 und 23.000 betragen.

Diese sehr positive Entwicklung kam zu Stande, obwohl sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht wesentlich verbesserte. Normalerweise ist ein Anstieg bei den betrieblichen Ausbildungsverträgen nur dann zu erwarten, wenn die Wirtschaft wieder spürbar wächst und der Fachkräftebedarf der Betriebe ansteigt.

Dass es dieses Jahr dennoch zu einem Zuwachs bei den betrieblichen Lehrverträgen kam, zeichnete sich erst in der zweiten Hälfte des Vermittlungsjahres ab. Er dürfte eindeutig auf die Verabredungen zurückzuführen sein, die im Rahmen des Ausbildungspaktes (http://www.bmbf.de/de/2295.php) getroffen wurden.

Ergebnisse nach Ländern

Was die Gesamtzahl aller Ausbildungsverträge angeht, so kam es im Jahr 2004 nicht in allen sechzehn Bundesländern zu Steigerungen. Die Veränderungsraten schwanken zwischen - 3,8 % in Mecklenburg-Vorpommern und + 8,6 % in Bremen. Die Rückgänge, die neben Mecklenburg-Vorpommern auch in Brandenburg (- 3,1 %), Sachsen (- 0,2 %) und Thüringen (- 0,5 %) zu beobachten waren, sind aber allein durch die geringere Zahl außerbetrieblicher Angebote bedingt.

Bei den rein betrieblichen Verträgen dürfte es nach den aktuell vorliegenden Schätzungen in allen sechzehn Ländern Zuwächse gegeben haben: Mit Veränderungsraten zwischen + 1,7 % in Bayern und zehn und mehr Prozent in Berlin, Bremen und Sachsen-Anhalt.

Die Zahl der außerbetrieblichen Angebote ging in allen sechzehn Ländern relativ deutlich zurück. Bundesweit dürfte sich das Minus etwa auf 7.000 Plätze summieren. Am stärksten (um -4.800) sanken die außerbetrieblichen Ausbildungsverträge, die nach § 241 (2) SGB III mit sozial Benachteiligten und Lernbeeinträchtigten abgeschlossen werden.

Die Abnahme bei den außerbetrieblichen Ausbildungsstellen ist zum Teil dadurch bedingt, dass diese nur nachrangig und kompensatorisch für fehlende betriebliche Angebote eingesetzt werden sollen. So ist inzwischen die außerbetriebliche Ausbildung, die über das Sofortprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit finanziert wurde, eingestellt worden. Zum Teil hängt der Rückgang aber auch mit einer zeitlich etwas späteren Besetzung der Angebote zusammen und wird bis Ende des Kalenderjahres zumindest partiell wieder aufgeholt sein.

Trotz des Anstiegs noch keine Entlastung auf dem Lehrstellenmarkt

Trotz des beachtlichen Anstiegs bei den betrieblichen Ausbildungsverträgen bleibt der Lehrstellenmarkt weiterhin sehr angespannt. Denn die Zahl der Abgänger aus allgemein bildenden Schulen steigt seit Anfang der neunziger Jahre an und nahm 2004 um rund 22.500 auf nunmehr 952.300 zu. Wegen des demographisch bedingten Zuwachses entfielen im Jahr 2004 auf jeden Schulabgänger rechnerisch nicht mehr Ausbildungsplatzangebote als ein Jahr zuvor.

Die Angebotsquote (das ist die rechnerische Zahl der Ausbildungsplatzangebote je 100 Schulabgänger) lag bei 61,6 %. Noch im Jahr 2001 hatte sie bei über 70 % gelegen, Anfang der neunziger Jahre sogar über 80 %

Hinzu kommt, dass wegen der seit Jahren schwierigen Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt vermehrt Jugendliche aus früheren Schulentlassjahrgängen nachfragen (so genannte "Altbewerber") und in Konkurrenz zu den aktuellen Schulabgängern treten.

Wie stark die Zahl der Altbewerber inzwischen angewachsen ist, lässt sich nicht exakt quantifizieren.

Die Bundesagentur für Arbeit registriert aber seit einigen Jahren stark wachsende Anteile von Ausbildungsstellenbewerbern, die die Schule nicht im aktuellen Vermittlungsjahr, sondern bereits im Jahr zuvor oder noch früher verlassen haben. Im Westen stieg der Anteil von 1992 bis 2004 um fast zehn Prozentpunke auf zuletzt 45,3 %, im Osten von 1997 (frühere Daten liegen nicht vor) bis 2004 um 13 Prozentpunkte auf 48,0 %.

Angebots-Nachfrage-Relation auf einem Tiefstand

All diese Entwicklungen führten dazu, dass im Jahr 2004 trotz des Anstiegs bei den neuen Lehrverträgen nicht weniger, sondern deutlich mehr noch nicht vermittelte Bewerber registriert wurden. Zum 30. September, dem offiziellen Ende des Geschäftsjahres 2004, waren es 44.600 und damit rund 9.600 mehr als im Jahr zuvor.

Aufgrund des starken Bewerberandrangs verschlechterte sich auch die sogenannte Angebots-Nachfrage-Relation.
Sie sank von 96,6 auf 95,0 und fiel damit so niedrig aus wie nie zuvor im wiedervereinigten Deutschland.

Angebots-Nachfrage-Relation: Hierunter versteht man die Zahl der Ausbildungsplatzangebote je 100 Ausbildungsplatznachfrager. Das Ausbildungsplatzangebot wird dabei errechnet aus der Summe der neuen Lehrverträge ("realisiertes Angebot") und der zum 30. September noch nicht besetzten Ausbildungsplätze. Spiegelbildlich bestimmt sich die Ausbildungsplatznachfrage über die Zahl der neuen Ausbildungsverträge ("realisierte Nachfrage") zuzüglich der Zahl der am 30. September noch nicht vermittelten Bewerber. Bei der Berechnung der Angebots-Nachfrage-Relation sind Ausbildungsstellenbewerber nicht mit eingerechnet, die nach Informationen der Bundesagentur für Arbeit wegen fehlendem Bewerbungserfolgs auf Alternativen und Warteschleifen ausgewichen sind (und somit erst einmal als "versorgt" gelten), aber weiterhin in eine Lehrstelle vermittelt werden möchten. Ihre Zahl bezifferte sich im Jahr 2004 auf 48.712.

Ausblick auf die Entwicklung der kommenden Jahre

Die Zahl der Absolventen aus den allgemein bildenden Schulen wird nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2005 um rund 2.500 und ein Jahr später nochmals um 1.400 auf 956.300 ansteigen. 2007 wird es zunächst nur zu einem mäßigen Rückgang kommen (um rd. 5.200). Ab 2008 wird dann aber die Zahl der Schulabgänger recht deutlich sinken. Ost und West verzeichnen dabei sehr unterschiedliche Entwicklungen:

In den neuen Ländern und Berlin sind bereits seit 2002 leicht sinkende Schulabgängerzahlen zu verzeichnen. Ab 2006 werden sie dann regelrecht einbrechen. Im Jahr 2010 wird der Umfang der Jugendlichen, die die Schulen verlassen, noch nicht einmal die Hälfte der Abgangsstärke des Jahres 2000 erreichen. Es werden dann nur noch 116.700 Schulabgänger gezählt (2000: 234.900).

Im Westen wird die Zahl der Schulabsolventen bis 2007 relativ stark ansteigen und wird mit 763.300 um mehr als 30.000 höher liegen als im Jahr 2004 (733.000). Zwar wird die Zahl dann erst einmal wieder sinken, aber nur in einem recht geringen Maße. Immerhin bis 2014 wird es in den alten Ländern in jedem Jahr mehr Schulabgänger aus allgemein bildenden Schulen geben als im Jahr 2004.

Für den Ausbildungsstellenmarkt bedeutet dies, dass sich die Jugendlichen im Westen auch in den kommenden Jahren auf einen relativ engen Lehrstellenmarkt einstellen müssen - sofern es nicht weiterhin zu einem sehr deutlichen Anstieg des Ausbildungsplatzangebotes kommt. Im Osten werden es dagegen die Betriebe sein, die mit schwierigen Verhältnissen rechnen müssen: Sie werden alsbald große Probleme haben, Auszubildende zu finden und ihren Fachkräftebedarf mit Nachwuchskräften abzudecken.

Literaturhinweise

  • Brosi, Walter; Troltsch, Klaus
    Ausbildungsbeteiligung der Jugendlichen und Fachkräftebedarf der Wirtschaft (Forschung Spezial, Heft 8). Bielefeld: W. Bertelsmann, 2004
  • Ulrich, Joachim Gerd
    Wege zwischen dem Verlassen der allgemein bildenden Schule und dem Beginn einer beruflichen Ausbildung. Ein Rückblick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre. In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste (ibv), Nr. 23 vom 24. November 2004. S. 49-60
  • Ulrich, Joachim Gerd; Ehrenthal, Bettina; Krekel, Elisabeth M.
    Durchwachsene Bilanz in der Ausbildungsvermittlungsstatistik. In: Bildungspraxis. Zeitschrift für die technische Aus- und Weiterbildung. Nr. 4/2004. S. 10-13
  • Ulrich, Joachim Gerd
    Wer ist schuld an der Ausbildungsmisere? Diskussion der Lehrstellenprobleme aus attributionstheoretischer Sicht (2004). In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 33. Jg., Heft 3/2004, S. 15-19.
  • Ulrich, Joachim Gerd
    Ergänzende Hinweise aus der Lehrstellenbewerberbefragung 2002 zur Interpretation der Berufsbildungsstatistik: das Problem der latenten Nachfrage In: Informationen für die Beratungs- und Vermittlungsdienste (ibv), Nr. 13/03 vom 25. Juni 2003, S. 1.775-1.784

Ausgewählte Publikationen des BIBB zum Thema

  • Brosi, Walter; Troltsch, Klaus; Ulrich, Joachim
    Nachfrage Jugendlicher nach Ausbildungsplätzen
    Analysen und Prognosen 2000 - 2015
    Forschung spezial ; Heft 2
  • Koch, Richard
    Duale und schulische Berufsausbildung zwischen Bildungsnachfrage und Qualifikationsbedarf
    Ein deutsch-französischer Vergleich
  • Bucher; Puhlmann, Angelika
    Demographische Entwicklung und mögliche Konsequenzen für die berufliche Bildung
    Kolloquien im BIBB, Heft 2
  • Schweikert, Klaus
    Aus einem Holz? Lehrlinge in Deutschland
    Eine Ost-West-Längsschnittuntersuchung
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    URL: http://www.bibb.de/de/15229.htm

Erscheinungsdatum, Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 14.12.2004

URN: urn:nbn:de:0035-0100-1

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