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Gesetzgebung in der Diskussion

Bundeseinheitlichkeit in der Beruflichen Bildung

Thomas Klubertz: Plädoyer für die Bundeszuständigkeit im Bereich der beruflichen Bildung*

Ohne Tabuthemen hat die im Oktober 2003 von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung mit der Überprüfung der Zuordnung der Gesetzgebungszuständigkeiten von Bund und Ländern begonnen. Dabei steht auch die außerschulische berufliche Bildung auf dem Prüfstand.

Veröffentlicht: 15.07.2004 URN: urn:nbn:de:0035-0062-6

Im Rahmen ihrer Stellungnahmen zur Vorbereitung der dritten Sitzung der Kommission im Dezember 2003 in Berlin sprachen sich gleich zwei der hinzugezogenen Sachverständigen für eine Übertragung der Zuständigkeit für die außerschulische Bildung auf die Länder aus (Prof. Dr. Rupert Scholz, Prof. Dr. Fritz W. Scharpf). Andere formulierten eher allgemein, das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Absatz 1 Nr. 11 Grundgesetz) bedürfe keineswegs in seiner Gesamtheit der bundeseinheitlichen Regelung (Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig). Lediglich ein Sachverständiger wies auf die Bedeutung der beruflichen Bildung für die Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet hin und sprach sich ausdrücklich für den Fortbestand der Bundeskompetenz in diesem Bereich aus (Prof. Dr. Peter M. Huber). Auch die Regierungschefs der Länder hatten bereits im März 2003 in einem gemeinsamen Papier Zuständigkeiten im Bereich der beruflichen Bildung eingefordert. Auf diese Forderung kam der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg Erwin Teufel Mitte Januar 2004 im RHEINISCHEN MERKUR (Ausgabe 2/2004) zurück.

Die allgemeine Forderung der Ministerpräsidenten nach mehr Kompetenzen für die Landesgesetzgeber erscheint verfassungspolitisch zwar nachvollziehbar. Die Übertragung der Kompetenz für den Bereich der beruflichen Bildung auf die Länder wäre bildungspolitisch aber mit erheblichen Nachteilen verbunden.

Wesentlicher Zweck des Berufsbildungsgesetzes vom 14. 08. 1969 (BBiG) war die Beseitigung einer Rechtszersplitterung durch divergierende Länderregelungen (BT-Drucks. V/4260, S. 3). Insbesondere durch den in §28 Absatz 1 BBiG festgelegten Ausschließlichkeitsgrundsatz sollte sichergestellt werden, dass die Qualität der Berufsausbildung durch einheitliche Ausbildungsinhalte den Anforderungen in den Berufen entspricht und zugleich für den Arbeitnehmer ein hohes Maß an Mobilität und bedarfsnaher Anpassungsvoraussetzung gewährleistet wird. Die bundeseinheitliche Regelung der Berufsbildung erwies sich in der Folgezeit nicht zuletzt wegen der aus ihr resultierenden Transparenz auch als wirtschaftlicher Standortvorteil. Als 1994 Art. 72 Absatz 2 des Grundgesetzes mit dem Ziel novelliert wurde, die konkurrierende Gesetzgebung durch den Bund zu begrenzen, wurde ausdrücklich das Kriterium "Wahrung der Wirtschaftseinheit" von der alten in die neue Gesetzesfassung übernommen. In einer Protokollerklärung heißt es hierzu: "Die Neufassung des Artikel 72 Grundgesetz lässt die sachlichen Regelungskompetenzen des Bundes für die berufliche Bildung unberührt. ... Die Voraussetzungen einer bundesgesetzlichen Regelung der beruflichen Bildung durch Gesetz werden auch künftig vorliegen, weil dies zur Wahrung der Rechtsoder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist." (BT-Drucks. 12/8165, S. 31 f.)

Daran anknüpfend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Altenpflegegesetz (AltPflG) vom 24.10. 2002 (Az.: 2 BvF 1/01) ausgeführt: "Zur Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets und damit zur Wahrung der Wirtschaftseinheit ist ein Bundesgesetz jedenfalls dann erforderlich, wenn es die Einheitlichkeit der beruflichen Ausbildung sicherstellen oder wenn es für gleiche Zugangsmöglichkeiten zu Berufen oder Gewerben in allen Ländern sorgen muss, unabhängig davon, wo die Berufsgruppe selbst kompetentiell einzuordnen ist. Zwar kann jedes Land solche Angelegenheiten - auch auf hohem professionellen Niveau - regeln, ohne die Interessen der anderen Länder zu beeinträchtigen. Unterschiedliche Ausbildungs- und Zulassungsvoraussetzungen können aber im deutschen Wirtschaftsgebiet störende Grenzen aufrichten, sie können eine Ballung oder Ausdünnung des Nachwuchses in bestimmten Regionen bewirken, sie können das Niveau der Ausbildung beeinträchtigen und damit erhebliche Nachteile für die Chancen des Nachwuchses sowie für die Berufssituation im Gesamtstaat begründen."

Inzwischen kann die Betrachtung nicht mehr auf das deutsche Wirtschaftsgebiet beschränkt bleiben. Zwar liegt die Kompetenz für die berufliche Bildung nach Art. 150 des EG-Vertrages weiterhin bei den Mitgliedsstaaten. Gleichwohl streben die Mitgliedsstaaten zur Beseitigung von Mobilitätshemmnissen an, bis zum Jahr 2010 die Kompatibilität der Systeme der allgemeinen und der beruflichen Bildung sowie größtmögliche Transparenz als Voraussetzung der rechtswirksamen Anerkennung erworbener Qualifikationen an jedem Ort der Europäischen Union zu schaffen. Eine Angleichung der Systeme auf europäischer Ebene hat damit längst begonnen. Europäische Berufsbilder werden in verschiedenen Bereichen erarbeitet (z. B. Kaufmann im Verkehrsservice als Ausbildungsberufsbild oder Solateur als Fortbildungsberuf). Der deutsche Kfz-Mechatroniker entspricht bereits dem in einem Leonardo-Projekt erarbeiteten europäischen Berufsbild. Teilweise resultieren europäische Berufsstandards sogar aus Entwicklungen in anderen Kompetenzbereichen (z. B. Berufskraftfahrer).

Eine Aufgabe der Bundeseinheitlichkeit in der außerschulischen Berufsbildung wäre unvermeidbar mit dem Verlust an Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten bei der beschriebenen europäischen Entwicklung verbunden. Schon heute verfügt das deutsche Berufsausbildungssystem bei der Europäischen Kommission nicht über die ihm zustehende Wertschätzung. Das findet auch seinen Niederschlag in dem Richtlinienvorschlag zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise, nach der die deutsche Berufsausbildung (dual/vollzeitschulisch) in die zweitniedrigste von fünf Niveaustufen eingeordnet wird. Die Zerstückelung in bis zu 16 verschiedene Ausbildungsvarianten und Qualitätsniveaus im selben Beruf würde die deutsche Position weiter schwächen und damit auch die Chancen deutscher Arbeitnehmer auf dem europäischen Arbeitsmarkt erheblich reduzieren.

Aus diesen Gründen haben Arbeitgeber (BDI, BDA, BfB, BGA, DBV, HDE, DIHK, ZDH), Arbeitnehmer (u. a. DGB, DBB, GEW, IG Bau, IG BCE, IG Metall, ver.di), Vertreter des Bundes (BMWA, BMBF, BMI) und der Länder im Rahmen der Sitzung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung am 12.12. 2003 an alle Beteiligten appelliert (siehe Kasten rechts), sich nachdrücklich für die Beibehaltung der bestehenden Zuständigkeiten im Bereich der beruflichen Bildung einzusetzen. Bleibt zu hoffen, dass der Appell Gehör findet.

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  • 1 ) erschienen in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), Jg. 33 (2004), Heft 1, S. 56f.

Erscheinungsdatum und Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 15.07.2004

URN: urn:nbn:de:0035-0062-6

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