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Weniger komplexe Ausbildungen als Perspektivmodell?

Jung, benachteiligt, ausbildungslos: Weniger komplexe Ausbildungen als Perspektivmodell?

Eines der wichtigen Ziele der Bildungs- und Berufsbildungspolitik ist es, jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen. Die derzeit angespannte Ausbildungssituation erschwert es insbesondere jungen Menschen mit sogenannten "schlechteren Startchancen" einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden. Aktuell wird die Einführung weniger komplexer, auch zweijähriger und gestufter Ausbildungsberufe diskutiert, um die Ausbildungschancen dieser Zielgruppe zu erhöhen. Können weniger komplexe Ausbildungen und kürzere Ausbildungszeiten als Perspektivmodell gesehen werden?

Veröffentlicht: 13.08.2003 URN: urn:nbn:de:0035-0004-2

Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge ging 2002 im Vergleich zum Vorjahr in einer unerwarteten Größenordnung zurück: die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge lag mit 572.227 im Vergleich zum Vorjahr um rund 42.000 niedriger. Eine deutliche Verbesserung des Ausbildungsstellenmarktes wird voraussichtlich auch im Ausbildungsjahr 2003 nicht zu erwarten sein. Die schwache konjunkturelle Entwicklung und eine schwierige Einschätzung des zukünftig erforderlichen Bedarfs an Fachkräften sind hier als Hauptgründe zu nennen. Diese Entwicklung ist insoweit besorgniserregend, als die Berufsausbildung für den Einzelnen die Basis der Sicherung langfristiger Beschäftigungsfähigkeit bedeutet und für die Gesellschaft zeitgemäß ausgebildeten, qualifizierten Fachkräftenachwuchs bereit hält. Daneben erfüllt die Berufsausbildung eine wichtige Funktion der sozialen und gesellschaftlichen Integration sowie der individuellen Förderung.

Aufgrund der augenblicklich angespannten Ausbildungssituation ist es gerade für junge Menschen mit sogenannten "schlechteren Startchancen", so beispielsweise Jugendliche ohne Schulabschluss oder mit schwachem Schulabschluss, besonders schwer, einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden.

Vor dem Hintergrund, dass die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes für Personen ohne Berufsausbildung immer geringer wird, tragen insbesondere Ungelernte ein wesentlich höheres Risiko der Arbeitslosigkeit. Bei näherer Betrachtung der qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten kann festgestellt werden, dass eine gute Ausbildung immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ist. Bei den Ungelernten ist fast jeder vierte von Arbeitslosigkeit betroffen, bei Erwerbspersonen mit beruflicher Ausbildung sind dies jedoch nur 5,7 % .

Aus berufsbildungspolitischer Sicht werden aktuell verschiedene Möglichkeiten diskutiert, auf welchem Wege Jugendliche mit schlechteren Ausgangsvoraussetzungen gezielt in das Ausbildungssystem integriert werden können. Neben bereits realisierten Aktivitäten, insbesondere auch die Berufsausbildungsvorbereitung betreffend, steht aktuell ein möglicher Ansatz der Realisierung neuer Berufsfelder mit weniger komplexen Anforderungen im Sinne einer "Ausbildung für einfache Berufe", gegebenenfalls verbunden mit einer nur zweijährigen Ausbildungszeit, im Zentrum der Diskussion.

Die Schaffung weniger komplexer, auch zweijähriger und gestufter Ausbildungen bei Neuordnungsverfahren ist aktuell auch Gegenstand der Ausbildungsoffensive 2003 der Bundesregierung.

Weniger komplexe Ausbildungen als Perspektivmodell?

Das Thema "Ausbildungsordnungen mit weniger komplexen Anforderungen" sowie "zweijährige Ausbildung" wird derzeit unter ganz unterschiedlichen Aspekten kontrovers diskutiert: Ausbildungsgänge in einfachen Berufen könnten jungen Menschen das Angebot einer Grundqualifizierung bieten, jedoch ist gleichermaßen die Frage nach geeigneten Tätigkeitsfeldern sowie Übernahmemöglichkeiten im Anschluss an die Ausbildung relevant. Des Weiteren dürfen diese Ausbildungsgänge über eine Absenkung der Leistungsanforderungen nicht zur Schaffung sogenannter "Benachteiligtenberufe" führen.

Es bleibt ferner die Frage zu klären, inwieweit über ein Angebot zweijähriger Ausbildungsgänge auch netto eine Steigerung der Anzahl der Ausbildungsplätze erreicht werden könnte, ohne dass im Gegenzug bei den drei- bis dreieinhalbjährigen Ausbildungsgängen eine Verringerung des Angebotes erfolgt.

Weiterhin liegen derzeit nicht sehr viele empirische Untersuchungen über eine Analyse dieses Sachverhaltes vor. Die letzte umfassende Analyse aus dem Jahre 1993 kommt zu dem Schluss, dass für zweijährige Ausbildungsgänge kein dringender, allgemeiner Bedarf bestehe.
Eine aktuelle Untersuchung aus dem Jahr 2002 (IW-Umfrage bei 633 Unternehmen) hat jedoch ermittelt, dass 62 % der befragten Unternehmen verkürzte Ausbildungsberufe begrüßen würden. Hiermit ist allerdings noch keine Aussage über die Einschätzung anschließender Beschäftigungsmöglichkeiten getroffen. Auch ist ungeklärt, ob zweijährige Ausbildungsberufe überhaupt bei den betroffenen Jugendlichen auf Akzeptanz treffen. Ein wichtiges Kriterium dafür ist sicherlich die Erweiterbarkeit und Anschlussfähigkeit solcher zweijährigen Ausbildungsberufe.

Der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) als beratendes Gremium der Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Berufsbildung hat sich aktuell mit dem Thema "Ausbildung für einfache Berufe" befasst und in seiner Sitzung am 10. Juli 2003 eine Empfehlung zur Schaffung neuer anerkannter Ausbildungsberufe mit weniger komplexen Anforderungen für qualifizierte Fachkräfte beschlossen. Hierin werden die Anregungen für Ausbildungskonzepte mit weniger komplexen Anforderungen als Basis zur Schaffung entsprechender neuer anerkannter Ausbildungsberufe für qualifizierte Fachkräftetätigkeiten begrüßt. Der Hauptausschuss hat sich dafür ausgesprochen, solche Ausbildungsberufe für die Bereiche Industrielle Fertigung, Handel, Montage und Recycling, Reparatur und Wartung, Betreuung und Pflege sowie Organisation, Freizeit und Logistik zu erarbeiten mit dem Ziel,
erste Ausbildungsordnungen bereits 2004 zu erlassen und zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen .

BIBB Forschungsprojekt zu zweijährigen, theoriegeminderten Ausbildungsberufen

Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojektes "Akzeptanz von zweijährigen betrieblichen Ausbildungsgängen" wird sich das BIBB mit Fragen der Akzeptanz von zweijährigen, theoriegeminderten Ausbildungsberufen befassen. Das Projekt hat zum Ziel, auf Basis empirischer Ergebnisse die Akzeptanz dieser Berufe zu ermitteln, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu quantifizieren und den zahlenmäßigen Bedarf an Fachkräften mit einer zweijährigen Ausbildung zu ermitteln. Dies soll als Beitrag gesehen werden, die Diskussion über diese Ausbildungsberufe auf eine sachliche Ebene zu stellen.

Flexible Ausbildungswege und Berufsvorbereitung für gezielte individuelle Förderung

Die Schaffung neuer Berufsbilder für die genannte Zielgruppe als ein Versuch der Verbesserung der Ausbildungs- und Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt kann ein möglicher Ansatz sein, jedoch müssen auch immer die weitreichenden Möglichkeiten der Förderung über eine flexible Gestaltung innerhalb des bestehenden Berufssystems sowie in der Berufsvorbereitung in Betracht gezogen werden. Modulare Lösungen über Bausteine und Teilqualifikationen bieten die Möglichkeit einer differenzierten Gestaltung ausgehend von individuellen Kompetenzen und Qualifikationen. Qualifizierungsbausteine, die Inhalte einer anschließenden Berufsausbildung bereits während der Berufsvorbereitung vermitteln, können hier ein wesentlicher Ansatz sein.

Anlässlich des 4. Fachkongresses des BIBB "Berufsbildung für eine globale Gesellschaft - Perspektiven im 21. Jahrhundert" vom 23. - 25. Oktober 2002 in Berlin hat sich der Generalsekretär des BIBB, Professor Dr. Helmut Pütz, für die Entwicklung von einfachen Ausbildungsberufen, die stärker praxisorientiert sind und zur Erreichung des Ausbildungsziels Qualifizierungsbausteine und Teilqualifikationen einsetzen, ausgesprochen. Diese einfachen Ausbildungsberufe böten auch Jugendlichen, die besonderer Förderung bedürfen, mehr Chancen auf einen staatlich anerkannten Berufsabschluss .

An ein Konzept von Qualifizierungsbausteinen werden vielfältige Anforderungen gestellt und es wurden bisher viele Bausteine in unterschiedlichen Zusammenhängen entwickelt. Unterschiedliche Definitionen und Vorstellungen der Beteiligten haben zu (noch) keinem einheitlichen Verständnis über Zweck und Verwendung von Qualifizierungsbausteinen geführt. Dementsprechend besteht gerade in Bezug auf die Berufsvorbereitung vielfach noch Klärungsbedarf hinsichtlich der möglichen Funktionen dieser Bausteine beispielsweise als Teil eines Ganzen im Berufsbildungssystem.

Um Qualifizierungsbausteine generell in die Berufsvorbereitung zu integrieren und zum Standard von Maßnahmen zu machen, sind aus Sicht des BIBB insbesondere folgende Punkte von Bedeutung:

  • Entwicklung von Qualifizierungsbausteinen für alle bzw. zumindest für die in der Berufsvorbereitung gängigen Berufsbilder
  • Festlegung von Qualifikationsstandards und Qualitätskriterien für Qualifizierungsbausteine
  • Aufnahme der in der Berufsvorbereitung erworbenen Kompetenzen in einen einheitlichen Bildungspass bzw. -nachweis sowie
  • Die Schaffung von Unterstützungsstrukturen zur Qualitätssicherung der Kompetenznachweise unter Einbindung der Kammern, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften.

Die an Ausbildungsberufen orientierten Qualifizierungsbausteine als Kernpunkt der jetzt in das Berufsbildungsgesetz aufgenommenen Berufsausbildungsvorbereitung zur Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit von Jugendlichen mit schlechten Startchancen sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Qualifizierungsbausteine in der beruflichen Förderung von Benachteiligten

In der beruflichen Förderung von Benachteiligten werden Qualifizierungsbausteine zur curricularen Strukturierung von Qualifizierungsprozessen eingesetzt. Sie dienen der Beschreibung von Lerneinheiten und der Zertifizierung von Qualifikationen. Das Good Practice Center beim BIBB als zentrale Stelle der Dokumentation, der Information, des Transfers und der Vernetzung in der Benachteiligtenförderung bietet eine Datenbank zu Qualifizierungsbausteinen mit dem Ziel, das breite Spektrum an Qualifizierungsbausteinen über ein einheitliches Raster für die Akteure in der Benachteiligtenförderung transparent zu machen. Bisher sind 141 Qualifizierungsbausteine eingestellt, neben allgemeinen Angaben werden auch Erfahrungen bei der Umsetzung dargestellt. Für eine mögliche Darstellung von Qualifizierungsbausteinen in der Datenbank wurde ein Online-Fragebogen entwickelt.

Ergänzende Informationen

Förderprogramm des BMBF

Unter dem Titel "Kompetenzen fördern - Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf" hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein Programm eingerichtet, welches vielfältige Initiativen zur Weiterentwicklung der Benachteiligtenförderung und zur Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation von Migrantinnen und Migranten fördert. Die Programmlaufzeit ist noch bis zum 31. Dezember 2005 vorgesehen.
Unter dem Stichwort "Kompetenzen fördern" wird ein eigenes Online-Portal http://www.kompetenzen-foerdern.de/ angeboten.

Literatur

  • Ruth Enggruber
    Integratives Modell zur Differenzierung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher
    In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Jg. 28, Heft 5, 1999, S. 15 - 19
  • Peter-Werner Kloas
    Differenzierungsmöglichkeiten in der dualen Berufsausbildung nutzen - keine Sonderberufe für Benachteiligte schaffen
    In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Jg. 26, Heft 1, 1997, S. 17 - 21
  • Peter-Werner Kloas
    Praktisch orientierte Berufe - ein unzureichendes Konzept
    In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Jg. 28, Heft 1, 1999, S. 22 - 27
  • Dr. Elisabeth Krekel, Klaus Troltsch, Dr. Joachim Gerd Ulrich
    Betriebliche Ausbildungsbeteiligung bei schwieriger Wirtschaftslage
    BIBB startet neues Forschungsprojekt
    In: Sonderausgabe "Jugendliche in Ausbildung bringen" der Zeitschrift Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), Bonn 2003, S. 13 - 16
  • Helmut Pütz
    Integration der Schwachen = Stärke des dualen Systems
    Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Der Generalsekretär, Berlin, Bonn, 1993
  • Brigitte Seyfried
    Berufsausbildungsvorbereitung und Qualifizierungsbausteine
    In: Sonderausgabe "Jugendliche in Ausbildung bringen" der Zeitschrift Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), Bonn 2003, S. 21 - 23
  • Beate Zeller
    Einfache Tätigkeiten im Wandel - Chancen für Benachteiligte. Früherkennung von Qualifikationserfordernissen für benachteiligte Personengruppen
    In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Heft 1, 2002, S. 25 - 28

Erscheinungsdatum, Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 13.08.2003

URN: urn:nbn:de:0035-0004-2

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