BP:

Schlagworte A-Z. Bitte wählen Sie einen Anfangsbuchstaben:

 

Übergänge in eine berufliche Ausbildung - Geringere Chancen für junge Menschen mit Migrationshintergrund

Ursula Beicht, Dr. Mona Granato

Die Verwirklichung von Chancengleichheit im Bildungssystem ist ein wesentliches gesellschaftliches Ziel - unabhängig von der sozialen oder ethnischen Herkunft von Kindern und Jugendlichen. Von diesem Ziel ist Deutschland noch weit entfernt. Dem System der beruflichen Ausbildung kommt im Bildungsprozess eine besondere Bedeutung zu, steht es doch am vorläufigen "Ende" einer Reihe nacheinander durchlaufener Bildungsinstitutionen und ist gleichzeitig "Bindeglied" und zentrale Voraussetzung für eine berufliche Integration. Angesichts des erheblichen Mangels an betrieblichen Lehrstellen im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Übergang zwischen Schule und Ausbildung für viele Jugendliche als eine eigene Lebensphase verselbständigt. Die Schwierigkeiten im Übergangsprozess betreffen zwar alle, Jugendliche mit Migrationshintergrund jedoch besonders stark. Dies lässt sich beispielsweise an der rückläufigen Ausbildungsquote junger Menschen mit ausländischem Pass im vergangenen Jahrzehnt ablesen. Wie sieht die Lage für junge Menschen am Übergang Schule - Ausbildung konkret aus, und wie lassen sich die ungünstigeren Zugangschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu jungen Menschen ohne Migrationshintergrund erklären?

Veröffentlicht: 15.09.2009 URN: urn:nbn:de:0035-0372-9

Zentrale Forschungsergebnisse zu den Übergängen junger Menschen mit Migrationshintergrund in Ausbildung

Auswertungen der BIBB Übergangsstudie zeigen: Jugendliche mit Migrationshintergrund haben nach Beendigung der allgemeinbildenden Schule ein ebenso hohes Interesse an einer Berufsausbildung wie einheimische Jugendliche. Dies gilt auch bei einer Differenzierung nach Schulabschlüssen. Bei den angewandten Strategien der Ausbildungsplatzsuche gibt es gleichfalls keine wesentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen, auch nicht bei Berücksichtigung der schulischen Voraussetzungen.
Dennoch sind die Chancen von nichtstudienberechtigten SchulabsolventInnen mit Migrationshintergrund, rasch nach Schulende in eine vollqualifizierende Ausbildung einzumünden - selbst mit den gleichen schulischen Voraussetzungen - wesentlich geringer. Erheblich häufiger durchlaufen SchulabgängerInnen aus Migrantenfamilien daher schwierige und langwierige Übergangsprozesse bei der Suche nach einer beruflichen Ausbildung.

Im Einzelnen bedeutet dies:

Verfügen Jugendliche, die eine betriebliche oder schulische Ausbildung anstrebten, maximal über einen Hauptschulabschluss, so beginnen im Laufe eines Jahres diejenigen mit Migrationshintergrund mit 42 % erheblich seltener eine vollqualifizierende Berufsausbildung als diejenigen ohne Migrationshintergrund mit 62 %. Nach drei Jahren ist es dann 68 % der jungen MigrantInnen und 86 % der einheimischen Jugendlichen gelungen, eine vollqualifizierende Ausbildung aufzunehmen.

Liegt ein mittlerer Schulabschluss vor, so ist die Einmündungswahrscheinlichkeit jeweils deutlich höher. So sind nach einem Jahr 55 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und 74 % der jungen Einheimischen in eine Berufsausbildung eingemündet. Im Verlauf von drei Jahren sind 79 % der Jugendlichen aus Migrantenfamilien und 91 % derjenigen aus einheimischen Familien bei der Ausbildungsplatzsuche erfolgreich gewesen.

Für den Einmündungserfolg sind auch die Noten auf dem Abschluss- bzw. Abgangszeugnis der allgemeinbildenden Schule von Bedeutung. Schulnoten gelten als ein Indikator für die schulische Leistungsstärke der Jugendlichen, als geeigneter Prädikator für ihre Leistungsfähigkeit sowie als geeignetes Selektionskriterium beim Zugang zu einer Ausbildung. Differenziert nach Schulnoten zeigen sich z.B. bei einem mittleren Schulabschluss folgende Ergebnisse: Verfügen SchulabgängerInnen über eher gute Noten, so nehmen von denjenigen mit Migrationshintergrund im Laufe eines Jahres 56 % eine vollqualifizierende Ausbildung auf, von denjenigen ohne Migrationshintergrund 75 %. Nach drei Jahren sind 78 % der Jugendlichen aus Migrantenfamilien und 92 % der Jugendlichen aus einheimischen Familien in eine Ausbildung eingemündet. Fallen die Schulnoten durchschnittlich bis schlecht aus, so beginnen innerhalb eines Jahres 52 % der jungen MigrantInnen und 70 % der jungen Einheimischen eine Ausbildung. Nach drei Jahren haben 82 % der SchulabsolventInnen mit Migrationshintergrund und 91 % derjenigen ohne Migrationshintergrund den Übergang in eine Ausbildung geschafft.

Gute schulische Voraussetzungen, d.h. hier ein weiterführender Schulabschluss und gute Schulnoten, wirken sich bei einheimischen SchulabgängerInnen immer als förderlich für die Einmündung in eine vollqualifizierende Ausbildung aus, bei eingewanderten SchulabgängerInnen nur bei denjenigen mit einem mittleren Abschluss im ersten Jahr ihrer Suche. Die geringeren Einmündungschancen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund lassen sich somit keineswegs mit schlechteren Schulnoten erklären. Vor allem jungen MigrantInnen mit guten Schulzeugnissen gelingt die Aufnahme einer vollqualifizierenden Ausbildung erheblich seltener als den vergleichbaren einheimischen Jugendlichen, was sowohl gilt, wenn sie maximal über einen Hauptschulabschluss, als auch, wenn sie über einen mittleren Schulabschluss verfügen.

Eine Reihe darüber hinaus untersuchter Einflussgrößen für den Einmündungserfolg in eine vollqualifizierende Ausbildung erweisen sich zwar als relevant (statistisch signifikant), können jedoch die geringeren Ausbildungsplatzchancen und die überdurchschnittlich langen Übergangsprozesse von SchulabsolventInnen mit Migrationshintergrund nicht vollständig erklären. Junge Menschen aus Migrantenfamilien verfügen zwar häufiger als junge Einheimische über einen Hauptschulabschluss, und ihre Schulnoten fallen im Durchschnitt etwas schlechter aus. Ihre Eltern sind weniger gut gebildet und der Vater hat seltener eine qualifizierte Tätigkeit. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung all dieser Faktoren bleibt trotzdem noch ein eigenständiger Einfluss des Migrationshintergrunds bestehen. Dies deutet darauf hin, dass sich schon allein das Vorhandensein eines Migrationshintergrunds bei der Ausbildungsplatzsuche nachteilig auswirkt.

Die Schwierigkeiten und geringeren Chancen junger MigrantInnen bei der Einmündung in eine vollqualifizierende Ausbildung haben zur Folge, dass sie bei denjenigen, die sich wiederholt um eine Lehrstelle bemühen, den sog. "Altbewerbern", überproportional vertreten sind und dass sie längerfristig gesehen wesentlich häufiger als junge Einheimische von Ausbildungslosigkeit betroffen sind. Von allen ausbildungslosen nichtstudienberechtigten Jugendlichen im Alter von 20 bis 24 Jahren haben nach der BIBB-Übergangsstudie 39 % einen Migrationshintergrund. Sie sind damit stark überproportional von Ausbildungslosigkeit betroffen, da nach dieser Studie ihr Anteil an dieser Altersgruppe nur 24 % beträgt. Dies bedeutet: Im Vergleich zu den einheimischen Altersgenossen bleiben sie etwa doppelt so oft ohne einen anerkannten Berufsabschluss und damit ohne jegliche Chance auf eine tragfähige berufliche Integration.

Den Blickwinkel ändern

In der öffentlichen Diskussion wie auch im wissenschaftlichen Diskurs wurden lange Zeit häufig Defizite bei den Jugendlichen selbst, wie unzureichende Kompetenzen oder mangelnde Schulabschlüsse, unzureichende Informationen oder unangemessene Suchstrategien bzw. ein geringes Interesse an einer Ausbildung als Ursachen für den geringeren Zugang zu einer Berufsausbildung genannt. Dieses widerlegen die vorliegenden Ergebnisse und fordern damit zu einem grundlegenden Perspektivwechsel auf: Zentral ist, von den Ressourcen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund auszugehen und diese in das Blickfeld zu rücken.

Hierzu gehört es, sowohl die schulisch wie außerschulisch erworbenen Kompetenzen von Jugendlichen aus Migrantenfamilien zu nutzen, um ihnen die gleichberechtigte Verwertung ihrer Bildungsvoraussetzungen zu ermöglichen. Um dieses umzusetzen ist die Realisierung folgender Punkte im Rahmen einer breit angelegten Qualifizierungsoffensive für junge Menschen mit (und ohne) Migrationshintergrund in einem integrierten Förder-Programm erforderlich:

  • Eine "zweite Chance": konsequent Nachqualifizierung anbieten
    Insbesondere denjenigen jungen Menschen mit (und ohne) Migrationshintergrund, die keinen Berufsabschluss haben, gilt es im Rahmen einer breit angelegten Nachqualifizierungsinitiative eine "zweite Chance" für einen anerkannten Berufsabschluss zu eröffnen.
  • Vollqualifizierende Ausbildung für alle - betriebliche Ausbildung
    Eine betriebliche Ausbildung hat auch weiterhin eine hohe Priorität für eine vollqualifizierende Ausbildung aller Jugendlichen in Deutschland. Neben der Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze gilt es hierfür beim Zugang zu einer betrieblichen Ausbildung allen eine faire Chance zu eröffnen. Mögliche Selektionsmechanismen am Übergang Schule - Ausbildung, insbesondere gruppenspezifische Zuschreibungen gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund bzw. bestimmten Gruppen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, gilt es rasch abzubauen. Ein Schritt hierbei ist Sensibilisierung von Personalverantwortlichen in Verwaltungen und Betrieben, ein weiterer - wie erfolgreiche Beispiele aus der Schweiz zeigen - die Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen.
  • Vollqualifizierende Ausbildung für alle - außerbetriebliche Ausbildung
    Stehen vor Ort nicht genügend betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung, so ist es notwendig, allen schulisch gut qualifizierten SchulabsolventInnen, insbesondere AltbewerberInnen - mit und ohne Migrationshintergrund - in Westdeutschland den direkten Zugang zu einer dualen Ausbildung in einem integrierten außerbetrieblichen Ausbildungsplatzprogramm zu ermöglichen - ohne (weitere) Umwege und Warteschleifen im sog. Übergangssystem. Im Rahmen eines solchen Programms sollten Plätze mit einem hohen Praxisanteil geschaffen werden.
  • Vielfalt als Chance - Diversity als integrierte Unternehmensstrategie
    Betriebe verstehen zunehmend: Ein modernes zukunftsfähiges Unternehmen kann es sich nicht leisten, auf die Potenziale junger Menschen mit Migrationshintergrund als Nachwuchskräfte in Ausbildung und Beruf zu verzichten. Bei einigen Betrieben und Verwaltungen eventuell bestehende Bedenken gilt es im Vorfeld auszuräumen. Denn es dient angesichts der demografischen Herausforderungen dem unternehmerischen Eigeninteresse, die Vielfalt der Kompetenzen und Fähigkeiten aller jungen Menschen nutzen zu können. Das haben Jugendliche in Deutschland längst begriffen.
    Regionales Übergangsmanagement und Übergangssystem qualitativ verbessern und zielgruppenspezifisch differenzieren
    Der Übergangsprozess sollte durch ein breit angelegtes Mentoring-Programm unterstützt werden. Hierbei werden geschulte MentorInnen zur aktiven, kontinuierlichen Begleitung insbesondere junger Menschen mit Migrationshintergrund eingesetzt - von der ersten beruflichen Orientierung, beim Übergang von der Schule in die Ausbildung, im Verlauf der Ausbildung und darüber hinaus beim Übergang in den Beruf.
  • Anerkennung von Schul- und Berufsbildungsabschlüssen aus dem Herkunftsland
    Um die Innovationsfähigkeit Deutschlands beizubehalten, gilt es die Potenziale aller hier lebenden Menschen zu nutzen, auch derjenigen, denen bisher noch die formale Anerkennung ihrer schulischen oder beruflichen Abschlüsse aus dem Herkunftsland fehlt. Dringlich sind hierfür bestehende Regelungen der Anerkennungspraxis bundesweit einheitlich weiterzuentwickeln, transparenter zu gestalten und allen InteressentInnen zu öffnen - unabhängig von ihrer Herkunft.


Übergänge in eine berufliche Ausbildung - Geringere Chancen und schwierige Wege für junge Menschen mit Migrationshintergrund
Expertise des Gesprächskreises Migration und Integration der Friedrich-Ebert-Stiftung

Erscheinungsdatum, Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 15.09.2009

Diese Netzpublikation wurde bei der Deutschen Nationalbibliothek angemeldet und archiviert.
URN: urn:nbn:de:0035-0372-9

Creative Commons-Lizenz

Der Inhalt dieser Seite steht unter einer Creative Commons Lizenz (Lizenztyp: Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland). Weitere Informationen finden Sie auf unserer Creative Commons-Infoseite.