BP:

Schlagworte A-Z. Bitte wählen Sie einen Anfangsbuchstaben:

 


Ethnische Unterschiede in geschlechtstypischen Berufsorientierungen

Multikulturalität als Chance zur Aufweichung der Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt?

07.06.2022

Jugendliche mit Migrationshintergrund streben im Vergleich zu Deutschen eher geschlechtergemischte Berufe an. Die Unterschiede zu deutschen Jugendlichen nehmen mit der Aufenthaltsdauer der Migranten/-innen in Deutschland ab. Das zeigt eine Studie auf Basis von Daten des NEPS über 10.264 Jugendliche.

Ethnische Unterschiede in geschlechtstypischen Berufsorientierungen

Die Spaltung des deutschen Arbeitsmarktes in typische Männerberufe und Frauenberufe geht meist Hand in Hand mit sozialen Ungleichheiten, wie dem geringeren Verdienst in frauendominierten Berufen. Die Berufsorientierungen und -entscheidungen von Jugendlichen spielen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt. Es ist daher eine entscheidende Frage, woher geschlechtstypische Berufsorientierungen rühren und in welchem Maße sie Ergebnis kulturspezifischer Geschlechtersozialisation sind.

Alexandra Wicht und Matthias Siembab (BIBB) gehen dieser Frage in einer aktuellen Studie auf Basis von Daten des Nationalen Bildungspanels über 10.264 Neuntklässler*innen nach. Sie untersuchen, ob sich deutsche Jugendliche hinsichtlich ihrer geschlechtstypischen Berufsorientierungen von jenen unterscheiden, die aus verschiedenen Ländern nach Deutschland eingewandert sind. Betrachtet werden die zum Zeitpunkt der Datenerhebung größten Zuwanderungsgruppen in Deutschland, darunter Migranten/-innen aus den ehemaligen Sowjetstaaten, der Türkei und Polen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die geschlechtstypischen Berufsorientierungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund von mehreren kulturellen Faktoren beeinflusst werden: Migranten/-innen bringen Vorstellungen über berufliche Geschlechterzuweisungen mit, die durch ihr Herkunftsland oder das ihrer Familien geprägt sind. Das zeigt sich vor allem für Schülerinnen aus der Türkei – dem Land mit dem stärksten Kontrast zum deutschen Kontext in Bezug auf geschlechtsspezifische Arbeitsmarktcharakteristika –, die im Vergleich zu deutschen Schülerinnen eher geschlechteregalitäre Berufe anstreben. Auch Schüler aus den ehemaligen Sowjetstaaten und der Türkei streben im Vergleich zu Deutschen eher gemischte Berufe an. Die Unterschiede zwischen deutschen Schülern und solchen mit Migrationshintergrund nehmen mit der Migrationsgeneration ab. Es finden also im Zuge der weiteren Geschlechtersozialisation in Deutschland Anpassungsprozesse an die hiesigen sozialen Strukturen statt.

Diese Anpassungsprozesse könnten sich positiv auf die Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt auswirken. Sie verhindern jedoch gleichzeitig eine Aufweichung bestehender Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt, die sich langfristig aus den geschlechteregalitäreren Berufsorientierungen von Migranten/-innen im Vergleich zu Deutschen ergeben könnte. Vor diesem Hintergrund könnte es sinnvoll sein, Maßnahmen zu fördern, die junge Migranten/-innen ermutigen, ihre eher geschlechtsatypischen Berufspläne in Bezug auf den deutschen Kontext beizubehalten, anstatt mögliche Kompromisse einzugehen. Dies setzt allerdings auch einen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt voraus, der geschlechtsatypische Berufswahlmöglichkeiten zulässt.