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Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Systemen beruflicher Qualifizierung in den Ländern weltweit. Die verschiedenen Formen der Integration betrieblichen Lernens in berufliche und individuelle Kompetenzentwicklung sind daher immer im Zusammenhang mit den nationalen Strukturen des Systems beruflicher Qualifizierung einzuordnen und zu interpretieren. Um diesen Zusammenhang darzustellen, wurden Spanien, Korea und Deutschland gewählt. Von besonderer Bedeutung sind dabei aus unserer Sicht: 

  • das Zusammenspiel schulischer und betrieblicher Qualifizierung,
  • die Bedeutung beruflicher Qualifizierung für den Arbeitsmarkt und 
  • die Steuerung des Verhältnisses von Berufsbildung und Arbeitsmarkt. 

Zusammenspiel schulischer und betrieblicher Qualifizierung

Im Gegensatz zu Deutschland, wo der betriebliche Anteil an der beruflichen Bildung sehr hoch ist (vgl. z. B. European Centre for the Development of Vocational Training 2020), findet in Korea und in Spanien die berufliche Bildung zunächst im schulischen Rahmen statt (vgl. bq Portal 2020; Georg/Lee/Schoenfeldt 1996, S. 44; Grollmann u. a. 2018, S. 59, 65; Milolaza 2014, S. 29). Verschiedene berufliche Bildungsgänge werden im oberen Sekundarbereich und im postsekundären Bereich angeboten. Diese werden mit verschieden Abschlüssen beendet. In Spanien gibt es einen zweijährigen und einen dreijährigen Abschluss, letzterer ermöglicht auch die Aufnahme eines Studiums. In Korea werden berufliche Bildungsgänge im postsekundären Bereich in der Regel mit einem sogenannten Associate Degree abgeschlossen. Sowohl in Spanien wie auch in Korea spielt der Betrieb im Wesentlichen als Ort eines Betriebspraktikums eine Rolle (vgl. Georg/Lee/Schoenfeldt 1996, S. 70, 75; Milolaza 2014, S. 91). Die Praktika finden i. d. R. zum Abschluss der entsprechenden Bildungsgänge statt und umfassen einen Zeitraum von ca. zwei bis drei Monaten. Beide Länder –  Korea und Spanien –  haben in den letzten Jahren verschiedene Reformen angestrengt, um den Anteil betrieblichen Lernens in der beruflichen Bildung auszubauen (vgl. zum Beispiel Milolaza 2014, S. 91ff.). 

Bedeutung beruflicher Qualifizierung für den Arbeitsmarkt

Während in Deutschland der beruflichen Qualifizierung und den erworbenen Abschlüssen eine große Bedeutung zukommt (vgl. European Centre for the Development of Vocational Training 2020), ist dies in Korea und Spanien nicht in solch starkem Umfang der Fall. In Deutschland haben wir es bei vielen Tätigkeiten mit einem berufsfachlich strukturierten Arbeitsmarkt zu tun (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2020, European Centre for the Development of Vocational Training 2020), in Korea hingegen dominieren sogenannte interne Arbeitsmärkte, in denen sich die berufliche Entwicklung durch die Übernahme von verschiedenen Tätigkeiten innerhalb eines Betriebes vollzieht (vgl. Georg/Lee/Schoenfeldt 1996, S. 93f.). Auch auf dem spanischen Arbeitsmarkt spielen berufliche Abschlüsse und Berechtigungen nicht in dem Maße eine Rolle, wie es in Deutschland der Fall ist (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2015c; Lam 2000, S. 499; Milolaza 2014, S. 94). Allerdings gibt es in Spanien eine stärkere Kopplung zwischen beruflichen Bildungsgängen und beruflichen Tätigkeiten als in Korea. Während in Deutschland und Spanien die entsprechenden Abschlüsse aus dem Berufsbildungssystem von erheblicher Bedeutung für die Aufnahme einer Tätigkeit sind, spielen Bildungsgang und Bildungsinstitution in Korea eher die Rolle einer vermittelnden Instanz zur Anstellung bei einem kooperierenden Betrieb. Zu den zentralen Aufgaben der Verantwortlichen für entsprechende Bildungsgänge an den koreanischen Colleges zählt beispielsweise, Absolventinnen und Absolventen mit Betrieben in Kontakt zu bringen. Häufig geschieht dies über Praktika am Ende eines Ausbildungsgangs. Denn in Korea und Spanien schließt sich zum Abschluss schulisch-beruflicher Bildungsgänge in der Regel ein betriebliches Praktikum an. In den vergangenen Jahren wurde in beiden Ländern mit dem Ausbau des betrieblichen Teils der Berufsbildung begonnen. Und auch viele weitere Länder haben in den vergangenen Jahren angefangen, die Dualität ihrer beruflichen Bildungssysteme auszubauen, um die Passung zwischen beruflicher Bildung und betrieblichen Anforderungen zu verbessern. Ein wesentlicher Impuls für diese Berufsbildungsreformen ist der Wunsch, die in vielen Ländern extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit der Krisenjahre zu überwinden (vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development/International Labour Organization 2017). 

Unterschiede in der Steuerung der beruflichen Bildung 

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den hier verglichenen Ländern ist das Ausmaß, in dem die Inhalte beruflicher Bildung durch den Staat standardisiert und vorgegeben werden (vgl. Allmendinger 1989). In Spanien (vgl. Milolaza 2014, S. 59, 76f.) und Deutschland findet eine Strukturierung auf der Bundesebene (vgl. European Centre for the Development of Vocational Training 2020) statt, sie hat auch eine wichtige Geltung, die sich z. B. darin zeigt, dass es ohne den beruflichen Abschluss kaum möglich ist, auf dem Arbeitsmarkt tätig zu werden. In Korea hingegen spielt der berufliche Abschluss für den Einstieg in den Arbeitsmarkt eine nicht so bedeutsame Rolle (vgl. Georg/Lee/Schoenfeldt 1996, S. 93f.), wenngleich in den vergangenen Jahren durch das koreanische Beschäftigungsministerium sogenannte nationale Kompetenzstandards eingeführt wurden, die einer besseren Abstimmung von Bildungsgängen und betrieblichen Anforderungen dienen sollen.

Konzepte und Theorien zum Vergleich von Berufsbildungssystemen 

Vorangehend haben wir einige wesentliche Unterschiede zwischen den Systemen der Berufsbildung in Spanien, Deutschland und Korea dargestellt, um damit den Kontext für die Interpretation der Befunde zur Kompetenzentwicklung im Betrieb herzustellen. Für die Darstellung der Ergebnisse haben wir weitere Länder hinzugezogen, die den untersuchten Ländern ähnlich sind: Österreich, Japan, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten sowie Italien. Alle Länder repräsentieren Regionen und Volkwirtschaften, die für Deutschland von Bedeutung sind, was einen Vergleich bzw. eine Art Benchmarking interessant macht. Neben den bereits eingeführten Unterscheidungen 

  • duale vs. schulische Berufsbildung, 
  • interne vs. berufliche Arbeitsmärkte und
  • unterschiedlich ausgeprägten Systemen der Standardisierung der beruflichen Bildung, 

ergibt sich eine weitere Untersuchungsdimension, welche die institutionellen Arrangements und den gesellschaftlichen Kontext der jeweiligen Länder in den Blick nimmt. Betriebliche Ausbildungsentscheidungen werden vor dem Hintergrund verschiedener institutioneller Gefüge interpretiert (vgl. Hall/Soskice 2001). Einige Länder verfügen über stärker koordinierte Ökonomien („co-ordinated market economies“, CME), die sich u. a. durch eine strategische Zusammenarbeit zwischen Staat und den wirtschaftlichen Akteurinnen und Akteuren (Arbeitgeber/-innen und Arbeitnehmer/-innen) auszeichnen, andere zählen eher zu den liberalen Ökonomien („liberal market economies“, LME), die sich durch geringe staatliche Interventionen und stark marktwirtschaftliche ausgerichtete Politikkonzepte auszeichnen. Beiden theoretischen Konstrukten werden Staaten zugeordnet: klassische „koordinierte Fälle“ sind Deutschland und Österreich, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten dürfen als liberale Ökonomien gelten. Japan und Korea werden in der Literatur unterschiedlich zugeordnet, jedoch häufig mit dem koordinierten Typus assoziiert. Erweiternd zu dem ursprünglichen Ansatz von Hall und Soskice (2001) wurden, vor allem mit Blick auf die sich in den vergangenen Jahrzehnten rasch entwickelnden Ökonomien Südostasiens, noch die Typen der staatlich und familiär koordinierten Ökonomien („family and state coordinated market economies“, SME, FME) eingeführt (vgl. Carney 2016). Spanien und Italien werden gelegentlich als gemischte Ökonomien („mixed market economies“, MME) eingeordnet (vgl. Molina/Rhodes 2007).