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Entwicklung von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage

Für das Jahr 2021 wird mit einem Anstieg der Zahl der Schulabgänger/-innen um rund +25.800 Personen im Vergleich zu 2020 (+2,1%) gerechnet, rund 17.500 davon werden eine (Fach-)Hochschulreife aufweisen. Aufgrund des überproportionalen Rückzugs des Nachfragepotenzials im Jahr 2020 im Vergleich zum demografiebedingten Rückgang der Schulabgänger/-innen wird in PROSIMA für das Jahr 2021 ebenfalls ein leichter Rückgang des Nachfragepotenzials in Höhe von -1,1% erwartet (vgl. Lösch/Maier 2021).

Das Wirtschaftswachstum wird nach Ansicht des BMWi (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2021, S. 106) für 2021 rund 3% betragen.26 Das Angebotspotenzial reagiert darauf zwar positiv, jedoch ist es in der Prognose auch von einer Reihe weiterer Größen wie der Arbeitslosenquote oder dem zu erwartenden Nachfragepotenzial abhängig. Die Entwicklung des Angebotspotenzials ist damit weniger dynamisch als das Wirtschaftswachstum selbst. Dies zeigt sich nicht nur in Abschwung-, sondern auch in Aufschwungphasen. Für das Jahr 2021 bleibt es unter den genannten Rahmenbedingungen konstant zum Jahr 2020 (vgl. Lösch/Maier 2021).27 Erst bei einem Wachstum des preisbereinigten BIP um mehr als 3% würde auch das Angebotspotenzial im Vergleich zum Jahr 2020 zunehmen. Zu beachten ist jedoch, dass die Einschränkungen im Rahmen der COVID-19-Krise den konjunkturellen Verlauf der Branchen unterschiedlich beeinflussen. Bleiben die einschränkenden Maßnahmen in den Branchen Veranstaltung, Gastronomie und Tourismus, aber auch bei körpernahen Dienstleistungen und im Einzelhandel längerfristg bestehen, kann dies selbst bei positivem Wirtschaftswachstum insgesamt das Ausbildungsengagement in diesen Branchen nachhaltig beeinträchtigen und damit zu einem Rückgang des Angebotspotenzials insgesamt führen.28

Tabelle A2.2-1 gibt die zentralen Kennzahlen des Ausbildungsstellenmarktes unter den geschilderten Nebenbedingungen zum 30. September 2021 wieder. Unter den unsicheren Aussichten würde sich das Ausbildungsplatzangebot nur geringfügig um +4.700 angebotene Stellen auf 532.100 Ausbildungsplätze im Jahr 2021 erhöhen. Das Vertrauensintervall der Schätzung liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 518.700 und 545.500 Stellen. Dies bedeutet, dass auch ein weiterer Rückgang der angebotenen Ausbildungsstellen möglich ist. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen wird mit 60.200 Stellen gemäß der Schätzung auf dem hohen Niveau von 2020 (59.900 Stellen) verweilen.29 Die leichte Zunahme des Ausbildungsplatzangebotes zeigt sich aber auch in einer leicht höheren Anzahl an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Diese erhöhen sich in der Punktschätzung von 467.500 im Jahr 2020 um +4.400 auf 471.900 Neuverträge im Jahr 2021.30

Tabelle A2.2-1: Einschätzung der Ausbildungsmarktentwicklung zum 30.09.2021 (Angaben in Tsd.)

Die Ausbildungsplatznachfrage steigt sowohl nach der alten als auch nach der erweiterten Definition an; um +12.800 auf 509.900 (alte Definition) bzw. um +8.000 auf 553.700 (erweiterte Definition) Ausbildungsplatznachfrager/-innen.31 Der Anstieg ist vorwiegend auf die Bewerber/-innen ohne Alternative zurückzuführen. Sie nehmen um rund +8.400 auf 37.700 Personen im Jahr 2021 zu. Hier spielt einerseits die unveränderte Arbeitsmarktlage im Vergleich zu 2020 eine Rolle, andererseits reduzieren sich aber auch mögliche Bildungsalternativen, z. B. das Nachholen schulischer Qualifikationen, wenn diese bereits im Jahr 2020 ergriffen wurden. Konträr dazu geht die Anzahl zum 30. September 2021 noch suchenden Bewerber/-innen mit Alternativen um -4.800 auf 47.500 zurück.32

Die Angebots-Nachfrage-Relation veschlechtert sich mit dieser Entwicklung aus Sicht der Jugendlichen: In der erweiterten Definition konkurrieren 100 Bewerber/-innen um rund 96,1 angebotene Ausbildungsstellen (-0,5 im Vergleich zu 2020), in der alten Definition ist der Rückgang von 106,2 Stellen auf 104,3 Stellen mit -1,9 Stellen noch stärker.33

Szenario „Erhöhtes Ausbildungsinteresse“

Im vorherigen Abschnitt wurde erläutert, dass die Einschränkungen im Rahmen der COVID-19-Krise auch zu einer Verzögerung des Ausbildungsgeschehens beigetragen haben. Wenn sowohl die Betriebe, Praxen und Verwaltungen als auch die institutionell erfassten Ausbildungsinteressierten ihren Ausbildungswunsch auch über den 30. September 2020 hinaus aufrechterhalten, dann muss dieses in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2021b) bekannte „Zusatzinteresse“ gegenüber dem Vorjahresmonaten für das gesamte Berichtsjahr bis zum 30. September 2021 berücksichtigt werden. Werden diese Daten in PROSIMA entsprechend berücksichtigt, ergeben sich folgende Rahmenbedingungen für ein Szenario „Erhöhtes Ausbildungsinteresse“:

Wird das Zusatzinteresse der institutionell erfassten Ausbildungsplatzsuchenden aus dem Januar (+12.400) auf das gesamte Ausbildungsjahr 2021 übertragen, geht das Nachfragepotenzial nicht weiter zurück, sondern verbleibt im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant (+0,1%). Die Berücksichtigung der im Januar noch vergleichsweise höheren Anzahl an Ausbildungsplätzen (+7.800) gegenüber dem Vorjahreszeitraum führt sogar zu einer Erhöhung des Angebotspotenzials um 1,9% im Vergleich zu 2020.

Tabelle A2.2-2 gibt die zentralen Kennzahlen des Ausbildungsstellenmarktes unter diesem Zusatzinteresse wieder. Das Ausbildungsplatzangebot könnte um rund +15.900 angebotene Plätze auf 543.300 steigen und die Ausbildungsplatznachfrage in der erweiterten Definition sogar um rund +19.200 auf 564.900 Bewerber/-innen. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge läge mit +14.800 bei 482.300 und damit oberhalb des Wertes für das Jahr 2020. Die relativen Chancen der Jugendlichen auf einen Ausbildungsplatz würden sich jedoch verschlechtern, da das institutionelle erfasste „Zusatzinteresse“ höher ausfiele als das Ausbildungsangebot der Wirtschaft. So geht die Angebots-Nachfrage-Relation in der erweiterten Definition auf 96,2 Plätze je 100 Bewerber/-innen zurück (-0,6). Dies liegt daran, dass die Zahl der unversorgten Bewerber/-innen mit rund 9.200 im Szenario weitaus stärker ansteigt als die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze (+1.100). Die Passungsproblematik würde weiter an Bedeutung gewinnen.

Tabelle A2.2-2: Einschätzung der Ausbildungsmarktentwicklung zum 30.09.2021 (Angaben in Tsd.) – Szenario „Erhöhtes Ausbildungsinteresse“

Fazit

Die Ex-post-Analyse der Prognose für das Ausbildungsjahr 2020 hat gezeigt, dass die Wirtschaft zwar geringfügig mehr Ausbildungsplätze angeboten hat, als aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zu erwarten gewesen wäre. Allerdings haben sich die Jugendlichen etwas stärker vom betrieblichen Ausbildungsmarkt zurückgezogen, als dies aus dem vergangenen Verhalten ablesbar gewesen ist. Trotz eines zurückgehenden Ausbildungsplatzangebotes hat die Anzahl an unbesetzten Ausbildungsstellen weiter zugenommen. Auch die Anzahl der unvermittelten Bewerber/-innen ist gestiegen. Die ohnehin in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnene Passungsproblematik (Kapitel A1.2) hat sich durch die Kontaktschwierigkeiten während der COVID-19-Krise verschärft.

Die Prognosen von PROSIMA für den 30. September 2021 zeigen, dass die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Vergleich zum 30. September 2020 leicht um +4.400 Neuverträge steigen könnte, jedoch lässt das Vertrauensintervall der Schätzung mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% auch einen Rückgang auf rund 456.300 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zu (-11.200). Die gesamten Schätzungen sind aber auch mit Unsicherheiten verbunden, die über die Grenzen der jeweilig ökonometrisch bestimmten Vertrauensintervalle hinausgehen. Die Anzahl der zu erwartenden Ausbildungsverträge wird noch stärker als bisher davon abhängen, inwieweit Angebot und Nachfrage zueinander finden. Zwar geht die Prognose von PROSIMA davon aus, dass die unbesetzten Ausbildungsstellen nur leicht steigen, jedoch nimmt die Zahl der unvermittelten Bewerber/-innen ohne Alternative vermutlich zu.

Zudem ist unklar, ob die Betriebe, Praxen und Verwaltungen sowie die institutionell erfassten Ausbildungsinteressierten ihren am 30. September 2020 institutionell erfassten Ausbildungswunsch für das gesamte Ausbildungsjahr 2021 aufrechterhalten (können). Die Ursachen für dieses statistisch erfasste Zusatzinteresse sind unklar, weil nichts über die „Qualität“ der noch nicht vermittelten Bewerber/-innen und Stellen sowie über die berufliche und regionale Passung bekannt ist. Eine Berücksichtigung des Zusatzinteresses im Szenario „Erhöhtes Ausbildungsinteresse“ verdeutlicht noch stärker die Bedeutung der Passungsproblematik. Zwar könnte bei einem höheren Ausbildungsinteresses beider Marktseiten auch die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf 482.300 Neuverträge ansteigen, vergleichsweise stärker würde der Anstieg jedoch bei den unbesetzten Ausbildungsstellen bzw. den unvermittelten Bewerbern und Bewerberinnen sichtbar.

Vor diesem Hintergrund wäre es ratsam, politische Initiativen vor allem auf die Vermittlungsaktivitäten zwischen Angebot und Nachfrage auszurichten. Dabei könnten insbesondere bestehende Aktivitäten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene verstärkt bzw. in ihrem Wirkungsraum temporär erweitert werden (z. B. durch die Hinzunahme weiterer Zielgruppen). Die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten, welche auch übliche „Kennenlernphasen“ wie beispielsweise Messen oder Praktika erschweren oder gar verhindern, erfordern hier eine besondere Kreativität in der Lösungsfindung. Deshalb könnten auch private Initiativen, welche sich bereits eine Expertise in der Remote-Berufsberatung oder Ausbildungsplatzvermittlung erworben haben, verstärkt unterstützt werden. Denn sollte es gelingen, die Passungsprobleme zu verringern, könnte die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge bei einem erhöhten Ausbildungsinteresse auch über die prognostizierte Zahl der 482.300 Neuverträge steigen.

(Tobias Maier)

  • 26

    Auch die Prognosen anderer Institutionen (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2020: 2,8%, Deutsche Bundesbank 2020: 3%) schwanken um diesen Wert.

  • 27

    Erhöht/verringert sich das preisbereinigte BIP um einen Prozentpunkt, erhöht/verringert sich das Angebotspotenzial um 0,8%.

  • 28

    So erwartet z. B. die Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg für das Jahr 2021 im Februar 2020 aufgrund der unsicheren Lage in diesen Branchen einen Rückgang von rund 8% bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen bis Ende 2021 (vgl. Mahnke 2021).

  • 29

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 48.400 und 72.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen.

  • 30

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% zwischen 456.300 und 487.500 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen.

  • 31

    Das Vertrauensintervall liegt bei der Ausbildungsplatznachfrage in der erweiterten Definition (inklusive Bewerber/-innen mit Alternative) zwischen 537.900 und 569.500 Bewerber/-innen, das Vertrauensintervall der Ausbildungsplatznachfrage in der alten Definition liegt zwischen 493.800 und 525.400 Bewerber/-innen.

  • 32

    Das Vertrauensintervall der unversorgten Bewerber/-innen liegt zwischen 35.100 und 40.300 Personen, das Vertrauensintervall der unversorgten Bewerber/-innen mit Alternative zwischen 40.700 und 47.500 Bewerber/-innen.

  • 33

    Das Vertrauensintervall liegt bei der Angebots-Nachfrage-Relation in der erweiterten Definition (inklusive Bewerber/-innen mit Alternative) zwischen 94,1 und 98,1, in der alten Definition zwischen 102,1 und 106,5.