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Erwerbstätige sind unterschiedlichen Anforderungen und Belastungen ausgesetzt, die je nach Berufsfeld stark variieren (vgl. Lohmann-Haislah 2012). Empirische Studien zu den Arbeitsbedingungen in der Erwerbsarbeit zeigen dabei, dass „vollständige, beeinflussbare und zumutbare Arbeitsvollzüge, welche die Menschen weder über- noch unterfordern und die neben der Arbeitsausführung auch Partizipation und Planung, Transparenz, Rückmeldungen und Unterstützung einschließen, gesundheits- und lernfördernde Handlungsstrukturen erzeugen“ (Struck 2013, S. 22). Für Auszubildende, die zum großen Teil „echte Arbeit“ leisten, wie eine BIBB-Studie zur Ausbildungsqualität mit rund 6.000 befragten Auszubildenden aus 15 dualen Ausbildungsberufen ergeben hat (vgl. Beicht/Krewerth 2008)167, liegen Informationen zu Anforderungen und Belastungen bisher noch nicht vor.

Um die Situation für Auszubildende zu beschreiben, wird nachfolgend die BIBB/BAuA-Jugenderwerbstätigenbefragung 2011/2012 herangezogen, in der u. a. 1.119  Jugendliche in dualer Berufsausbildung befragt wurden. Die Stichprobe ist repräsentativ für Auszubildende im Alter von 15 bis 24 Jahren mit einer Ausbildungszeit von mindestens 10 Stunden pro Woche. Es wird betrachtet, welche Anforderungen in der dualen Ausbildung gestellt werden, ob sich die Auszubildenden dadurch subjektiv belastet fühlen und welche Ressourcen in Form von Autonomie und sozialer Unterstützung ihnen zur Verfügung stehen. Im Hinblick auf die Anforderungen an das fachliche Wissen und die Arbeitsmenge stellt sich des Weiteren die Frage, ob die Auszubildenden den Anforderungen gewachsen sind oder ob sie sich eher über- oder unterfordert fühlen. 

BIBB/BAuA-Jugenderwerbstätigenbefragung 2011/2012

Bei der BIBB/BAuA-Jugenderwerbstätigenbefragung 2011/2012 handelt es sich um eine telefonische Repräsentativbefragung von 3.214 jungen Erwerbstätigen und Auszubildenden im Alter von 15 bis 24 Jahren mit einer Arbeits- bzw. Ausbildungszeit von mindestens 10 Stunden pro Woche (vgl. Schmiederer 2014). Die Interviews wurden von Oktober 2011 bis März 2012 von TNS Infratest im Rahmen der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 durchgeführt. Neben den 590 jungen Erwerbstätigen aus der Haupterhebung wurden weitere 2.624 junge Erwerbstätige und Auszubildende befragt. Von allen befragten jungen Erwerbstätigen und Auszubildenden wurden anhand mehrerer Angaben (u. a. zum Ausbildungsberuf) 1.119 Jugendliche mit dualer Berufsausbildung identifiziert. Es wurden die gleichen Fragen gestellt wie in der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012.

Zentrale Merkmale der Auszubildenden in der BIBB/BAuA-Jugenderwerbstätigenbefragung 2011/2012 sind ähnlich verteilt wie unter allen Jugendlichen, die sich 2011 in Ausbildung befanden Tabelle A4.11-1 Internet. Zum Vergleich wurden die Bestandszahlen 2011 der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Erhebung zum 31. Dezember) herangezogen (vgl. Kapitel A4.2.1). Mehr als die Hälfte der Auszubildenden der BIBB/BAuA-Jugenderwerbstätigenbefragung 2011/2012 haben ihre Ausbildung 2011 und 2010 begonnen (37 % bzw. 31 %); fast jeder dritte Auszubildende hat 2009 begonnen (27 %). In der Erhebung zum 31. Dezember liegen die entsprechenden Werte 2011 bei 38 %, 31 % und 24 %. Das Durchschnittsalter (20 Jahre) und der Frauenanteil (38 %) liegen ähnlich hoch wie im Gesamtbestand der Auszubildenden 2011. Gleiches gilt für den Anteil Jugendlicher, die einen Dienstleistungsberuf erlernen (54 %). 24 der 25 am stärksten besetzten Berufe auf Basis der Daten der Berufsbildungsstatistik der statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Bestandszahlen 2011) sind auch in der Stichprobe in der TOP 25 Liste vertreten. Auch die Schulabschlüsse sind ähnlich verteilt wie in der Grundgesamtheit aller Auszubildenden im Jahr 2011: 26 % der Auszubildenden in der Stichprobe haben eine Hochschulzugangsberechtigung, 41 % einen Realschulabschluss und 33 % einen Hauptschulabschluss als höchsten Schulabschluss. Der monatliche Bruttoverdienst liegt im Schnitt bei 642 € in den alten Ländern und 580 € in den neuen Ländern und entspricht rund 90 % der tariflichen Ausbildungsvergütung (vgl. Kapitel A8.1). 

Anforderungen und Belastungen

Häufig auftretende psychische Anforderungen und damit verbundene Belastungen variieren mit dem Berufsfeld der Ausbildung Tabelle A4.11-2.168 Frauen werden häufiger als Männer in Berufen ausgebildet, in denen sich ein und derselbe Arbeitsgang bis in alle Einzelheiten wiederholt (55,2 % vs. 45,3 %). Generell wiederholt sich für Auszubildende in primären Dienstleistungsberufen derselbe Arbeitsgang bis in alle Einzelheiten signifikant häufiger (60,6 %) als für Auszubildende in Produktionsberufen (39,6 %) oder sekundären Dienstleistungsberufen (48,9 %).169  Entsprechend gering ist der Anteil der Auszubildenden in primären Dienstleistungsberufen, die häufig vor neue Aufgaben gestellt werden, in die sie sich erst einmal hineindenken und einarbeiten müssen (37,9 % vs. Produktionsberufe: 49,8 % bzw. sekundäre Dienstleistungsberufe: 47,4 %). 37,4 % der Auszubildenden müssen häufig „Multitasking“ leisten, d. h., sie müssen verschiedenartige Arbeiten oder Vorgänge gleichzeitig im Auge behalten. Dies betrifft signifikant mehr Auszubildende in primären und sekundären Dienstleistungsberufen (41,3 % bzw. 49,4 %) als Auszubildende in Produktionsberufen (29,5 %) und demzufolge auch häufiger Frauen als Männer (47,1 % vs. 31,5 %).

Eine hohe Arbeitsintensität, d. h. „sehr schnelles Arbeiten“ und „starker Termin- oder Leistungsdruck“, kommen in Dienstleistungs- und Produktionsberufen gleichermaßen häufig vor: Insgesamt 35,7 % der Auszubildenden müssen häufig sehr schnell arbeiten, und 33,3 % berichten von starkem Termin- oder Leistungsdruck. Mit einer vorgeschriebenen Stückzahl, einer bestimmten Mindestleistung oder einer vorgeschriebenen Zeit haben Auszubildende in Produktionsberufen (40,1 %) hingegen häufiger zu tun als Auszubildende in Dienstleistungsberufen (23,1 % bzw. 29,3 %).

Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit z. B. durch Kollegen, schlechtes Material, Maschinenstörungen oder Telefonate kommen in Dienstleistungsberufen signifikant häufiger vor (37,6 % bzw. 41,5 %) als in Produktionsberufen (21,7 %); Frauen sind demzufolge davon stärker betroffen als Männer (37,7 % vs. 27,2 %). In Produktionsberufen kommt es dafür häufiger als in Dienstleistungsberufen vor, dass schon ein kleiner Fehler oder eine geringe Unaufmerksamkeit größere finanzielle Verluste zur Folge hat (28,3 % vs. 15,2 % bzw. 22,2 %). Männer sind hiervon demzufolge häufiger betroffen als Frauen (26,8 % vs. 15,2 %).

Die Grenzen der Leistungsfähigkeit werden von rund jedem/jeder achten Auszubildenden häufig erreicht (12,7 %). Auszubildende in sekundären Dienstleistungsberufen sind davon seltener betroffen als Auszubildende in anderen Berufen; signifikante Geschlechterunterscheide zeigen sich keine. Bei jedem/jeder elften Auszubildenden (9,3 %) kommt es häufig vor, dass Dinge verlangt werden, die nicht gelernt oder die nicht beherrscht werden; signifikante Unterschiede nach Geschlecht oder Beruf gibt es auch diesbezüglich nicht. 

Die aufgeführten psychischen Anforderungen in der Ausbildung werden in unterschiedlichem Maße als belastend empfunden Tabelle A4.11-2. Sehr viele Auszubildende empfinden es als belastend, wenn häufig starker Termin- oder Leistungsdruck herrscht (49,5 %) oder häufig Störungen oder Unterbrechungen auftreten (43,6 %). Da diese beiden Anforderungen auch relativ häufig auftreten (33,3 % bzw. 31,2 %), sind es letztlich 16,5 % bzw. 13,5 % aller Auszubildenden, die einer solchen Belastungssituation ausgesetzt sind. Sehr belastend für Auszubildende ist es auch, wenn häufig die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht oder Dinge verlangt werden, die nicht gelernt oder die nicht beherrscht werden (60,5 % bzw. 44,5 %). Da diese beiden Anforderungen selten vorkommen (12,7 % bzw. 9,3 %), sind nur relativ wenige Auszubildende solchen Belastungssituationen ausgesetzt (7,7 % bzw. 4,2 %). Gleiches gilt für häufiges Multitasking, das zwar von 37,4 % der Auszubildenden berichtet wird, aber nur von jedem/jeder fünften dieser Auszubildenden (19,9 %) auch als belastend empfunden wird. Einer solchen Belastungssituation stehen daher nur 7,4 % der Auszubildenden gegenüber. 

Tabelle A 4.11-2: Häufig auftretende psychische Anforderungen bei Auszubildenden nach Berufsfeld und Geschlecht und damit verbundene Belastungen (in %)

Handlungsspielräume und soziale Unterstützung 

Um die Anforderungen in der Arbeit bewältigen zu können, ist es wichtig, ausreichend Ressourcen z. B. in Form von sozialer Unterstützung oder Handlungsspielräumen zur Verfügung zu haben (vgl. Lohmann-Haislah 2012). Rund ein Drittel der Auszubildenden kann die eigene Arbeit häufig selbst planen und einteilen (34,8 %) Tabelle A4.11-3. Auszubildende in Dienstleistungsberufen haben diesbezüglich mehr Freiräume als Auszubildende in Produktionsberufen (43,5 % bzw. 42,3 % vs. 24,6 %); Frauen haben demzufolge häufiger Planungsfreiheit als Männer (43,6 % vs. 29,4 %). Auch die Einflussnahme auf die zugewiesene Arbeitsmenge ist für Auszubildende in Dienstleistungsberufen (23 % bzw. 21,7 %) größer als für Auszubildende in Produktionsberufen (16,3 %). Frauen können die Arbeitsmenge demzufolge etwas häufiger selbst steuern als Männer (21,2 % vs. 18,7 %). Autonomie und Handlungsspielräume sind in Dienstleistungsberufen insgesamt höher als in Produktionsberufen. 

Insgesamt bekommen Auszubildende in hohem Maße eine soziale Unterstützung in der Arbeit. So fühlen sich 82,7 % der Auszubildenden an ihrem Arbeitsplatz häufig als Teil einer Gemeinschaft, und 87,2 % der Auszubildenden empfinden die Zusammenarbeit mit Kollegen als gut. 87,6 % geben des Weiteren an, dass sie häufig von ihren Kollegen Hilfe und Unterstützung bei ihrer Arbeit bekommen, wenn sie diese benötigen. Die Unterstützung durch den direkten Vorgesetzten liegt mit 56,8 % hingegen auf einem etwas niedrigeren Niveau. Signifikante Unterschiede nach Geschlecht oder Berufsfeld zeigen sich bezüglich dieser Ressourcen nicht; mit Ausnahme der Auszubildenden in sekundären Dienstleistungsberufen, die signifikant häufiger als Auszubildende in Produktionsberufen Hilfe und Unterstützung von Vorgesetzten erhalten (64,6 % vs. 55,7 %). 

Tabelle A 4.11-3: Häufig vorliegende Handlungsspielräume und soziale Unterstützung bei Auszubildenden nach Berufsfeld und Geschlecht (in %)

Tabelle A 4.11-4: Über- und Unterforderung bei Auszubildenden nach Berufsfeld und Geschlecht (in %)

Über- und Unterforderung durch fachliche Anforderung und Arbeitsmenge

Neben ausreichenden Ressourcen zur Bewältigung der Anforderungen ist die Übereinstimmung zwischen den Anforderungen in der Arbeit und den eingebrachten Kompetenzen (Passung) eine Voraussetzung für produktives Arbeiten und Arbeitszufriedenheit. Konkret wurde gefragt, ob sich die Auszubildenden den fachlichen Anforderungen bzw. den Anforderungen durch die Arbeitsmenge bzw. das Arbeitspensum in der Regel gewachsen fühlen oder ob sie sich eher überfordert oder eher unterfordert fühlen.

Wie aus Tabelle A4.11-4 hervorgeht, fühlt sich die Mehrheit der Auszubildenden den fachlichen Anforderungen gewachsen (78,3 %), 16,1 % fühlen sich unterfordert, und 5,5 % fühlen sich überfordert. Die Passung zwischen fachlichen Anforderungen und eingebrachten Kompetenzen ist in primären Dienstleistungsberufen jedoch geringer (73,2 %) als in Produktionsberufen (80,8 %) bzw. sekundären Dienstleistungsberufen (82,3 %). Zurückzuführen ist dies auf den signifikant höheren Anteil an Auszubildenden in primären Dienstleistungsberufen, die sich häufiger unterfordert fühlen (19,4 %). Dies gilt insbesondere für Verkäufer/ -innen und Fachverkäufer/ -innen im Lebensmittelhandwerk (28,9 %). Signifikante Geschlechtsunterschiede bestehen hinsichtlich der fachlichen Passung nicht. Den Anforderungen an die Arbeitsmenge bzw. das Arbeitspensum fühlen sich 3 von 4 Auszubildenden gewachsen (75,8 %), wobei sich die Anteile derer, die sich über- und unterfordert fühlen, in etwa die Waage halten (12,9 % bzw. 11,3 %). Auch hier sind es wieder Auszubildende in primären Dienstleistungsberufen, die sich den Anforderungen an die Arbeitsmenge seltener gewachsen fühlen, als Auszubildende in anderen Berufen. Grund hierfür ist, dass sich Auszubildende in primären Dienstleistungsberufen signifikant häufiger durch die Arbeitsmenge überfordert fühlen (17,2 %) als Auszubildende in Produktionsberufen (9,7 %) bzw. sekundären Dienstleistungsberufen (12,0 %). 

Die geringe Passung in primären Dienstleistungsberufen kommt auch in der Zufriedenheit mit der Ausbildung zum Ausdruck: Auszubildende in primären Dienstleistungsberufen sind mit den Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten anzuwenden, seltener sehr zufrieden (27,0 %) als Auszubildende in Produktionsberufen (36,0 %) oder Auszubildende in sekundären Dienstleistungsberufen (33,5 %). Auch mit Art und Inhalt der Tätigkeit sind sie seltener sehr zufrieden (23,6 %) als Auszubildende in Produktionsberufen oder Auszubildende in sekundären Dienstleistungsberufen (31,3 % bzw. 38,1 %). 

(Anja Hall) 

  • 167

    72 % der Auszubildenden beantworteten die Frage, wie stark es zutrifft, dass in der Ausbildung auch „echte Arbeit“ für den Betrieb geleistet wird, mit stark oder sehr stark (Skala von 1 = „trifft sehr stark zu“ bis 6 = „trifft gar nicht zu“). 

  • 168

    Die Auszubildenden wurden u. a. gefragt, wie häufig sie verschiedenen psychischen Anforderungen ausgesetzt sind, ob häufig, manchmal, selten oder nie. Für Arbeitsanforderungen, die häufig auftreten, sollte zusätzlich eingeschätzt werden, ob dies als belastend empfunden wird oder nicht. Die Frageformulierungen entsprechen den Fragen, die an Erwerbstätige gerichtet wurden, sind also tätigkeitsbezogen formuliert. 

  • 169

    Unter die primären Dienstleistungsberufe fallen Berufe mit den Tätigkeitsschwerpunkten Handels- und Bürotätigkeiten sowie allgemeine Dienste wie Reinigen, Bewirten, Lagern, Transportieren. Unter die sekundären Dienstleistungsberufe fallen z. B. technische Berufe, IT-Berufe, Bank- und Versicherungskaufleute, Steuerfachangestellte, (Zahn-)Medizinische Fachangestellte. Eine genaue Zuordnung der Einzelberufe zu diesen Gruppen findet sich unter www.bibb.de/dokumente/pdf/a21_dazubi_berufsliste-p-dl_2013.pdf (vgl.Kapitel A4.4).