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Personen, die über keinen formal qualifizierenden Berufsabschluss verfügen, sind auf dem Arbeitsmarkt deutlich benachteiligt (Schmillen/Stüber 2014; Röttger/Weber/Weber 2018). Auch wenn einem Teil dieser Gruppe im weiteren Verlauf eine Nachqualifizierung gelingt, versuchen die Übrigen, sich auch ohne Berufsabschluss eine Erwerbskarriere aufzubauen. Wenn jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss der Einstieg in den Arbeitsmarkt gelingt, drängt sich die Frage auf, unter welchen Bedingungen dies geschieht bzw. inwiefern sich die Gestaltung ihrer Erwerbstätigkeit und ihre Zukunftsperspektiven von Erwerbstätigen dieser Altersgruppe, die einen Berufsabschluss vorweisen können, unterscheiden. Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden Daten benötigt, die die Bildungs- und Erwerbsverläufe junger Erwachsener in ihrer Komplexität abbilden und erfolgsrelevante Einflussfaktoren bereitstellen. Eine solche Datenquelle liefert das Nationale Bildungspanel (NEPS, vgl. Erläuterung in Kapitel A8.4), welches es ermöglicht, Bildungswege und Erwerbsbiografien nachzuzeichnen und auch weitere Entwicklungen abzubilden. An dieser Stelle erfolgt ein Vergleich der Arbeitssituation junger Erwachsener mit und ohne Berufsabschluss sowie ihres arbeitsbezogenen Sozialkapitals, d. h. ihrer Netzwerkressourcen.    

Stichprobe junger Erwachsener ohne Berufsabschluss im Nationalen Bildungspanel – National Educational Panel Study (NEPS)

Die Ergebnisse basieren auf den Daten des Nationalen Bildungspanels (National Educational Panel Study – NEPS): Startkohorte Erwachsene, doi:10.5157/NEPS:SC6:9.0.1.

Für Informationen zum NEPS siehe Erläuterung in Kapitel A8.4 und https://www.lifbi.de/ sowie Blossfeld/Roßbach/von Maurice (2011). Für die hier thematisierte Fragestellung wird auf die Startkohorte 6 zurückgegriffen, für welche, aufbauend auf der ALWA-Studie des IAB232 von 2007, seit 2009 Personen der Geburtsjahrgänge 1944 bis 1986 im Rahmen des NEPS befragt und getestet wurden. Interessierende Variablen sind beispielsweise Informationen zu Arbeitsbedingungen und Einschätzungen zur beruflichen Zukunft.233

An der vierten NEPS-Erhebungswelle, die von Herbst 2011 bis Frühjahr 2012 stattfand, nahmen ca. 14.000 Befragte teil, darunter 3.172 Personen zwischen 25 und 35 Jahren. Von diesen sind 369 (12%) der Gruppe derjenigen zuzuordnen, die (noch) keinen formal qualifizierenden beruflichen Abschluss erworben haben und sich zu diesem Zeitpunkt auch nicht in einer vollqualifizierenden schulischen, beruflichen oder hochschulischen Ausbildung oder einer Bildungsmaßnahme des Übergangsbereichs befanden. Weitere 136 Personen befanden sich zum Befragungszeitpunkt noch in Ausbildung und werden in den folgenden Analysen nicht mitberücksichtigt. Die Vergleichsgruppe bilden somit die verbleibenden 2.667 Personen, die zum Befragungszeitpunkt bereits einen formal qualifizierenden Berufsabschluss erworben haben.

Wie die Forschung zeigt, sind nicht formal Qualifizierte auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Für die hier betrachtete Stichprobe konnte bereits gezeigt werden, dass Personen ohne Berufsabschluss häufiger arbeitslos sind und im Falle einer Erwerbstätigkeit häufiger in „einfachen“ Tätigkeiten (nach der Berufsfeldklassifikation von Blossfeld) vertreten sind als Personen mit Berufsabschluss (vgl. BIBB-Datenreport 2017, Kapitel A11.4). Mit einem Vergleich anhand einer solchen eher groben Einteilung beruflicher Tätigkeiten lässt sich aber noch nichts über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen aussagen, mit denen verschiedene Gruppen von Erwerbstätigen konfrontiert sind und die auch mit unterschiedlichen beruflichen Lern- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten einhergehen können. Schaubild A11.4-1 gibt für die hier verwendete Stichprobe aus dem Jahr 2012 einen Überblick über verschiedene Arbeitsbedingungen im Vergleich der Personen mit und ohne Berufsabschluss. Es sind die Anteile der Befragten der jeweiligen Gruppe dargestellt, die angaben, diese Bedingungen in ihrer aktuellen oder letzten Tätigkeit häufig erlebt zu haben. 

Für alle aufgeführten Arbeitsbedingungen zeigen sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Befragten mit und ohne Berufsabschluss. Mit einer Ausnahme gaben jeweils mehr Personen mit Berufsabschluss an, dass diese Bedingungen bei ihrer Tätigkeit häufig auftreten. Ihr Arbeitsalltag bietet somit öfter abwechslungsreiche Aufgaben, bei deren Erledigung sie zudem selbst das Vorgehen bestimmten können. Auch müssen sie öfter mit anderen Menschen interagieren. Umgekehrt gaben mehr Personen ohne Berufsabschluss an, sich bei der Arbeit häufig körperlich anstrengen zu müssen.

Darüber hinaus wurden die Befragten um eine Einschätzung gebeten, wie sehr sie sich ihre Arbeit selbst einteilen können. Für gut zwei Drittel der Personen ohne Berufsabschluss traf dies (eher) zu, in der Vergleichsgruppe mit Berufsabschluss waren es sogar mehr als 80%. Dass ihre Arbeit von ihnen den Einsatz vielfältiger Fähigkeiten und Fertigkeiten fordert, bejahten (eher) fast 90% der Befragten mit und drei Viertel der Befragten ohne Berufsabschluss. 

Im Gegensatz zu diesen teils deutlichen Abweichungen in der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen sahen Personen mit und ohne Berufsabschluss ihre berufliche Zukunft hingegen offenbar ähnlich. Hinsichtlich verschiedener Kriterien einer möglichen beruflichen Veränderung zeigen sich keine nennenswerten Unterschiede. Gefragt wurde, für wie wahrscheinlich ein Eintreffen der in Schaubild A11.4-2 aufgeführten Veränderungen innerhalb der nächsten 2 Jahre gehalten wird. 

Schaubild A11.4-1: Ausprägung verschiedener Arbeitsbedingungen in der Erwerbstätigkeit (Zustimmung in %)

Schaubild A11.4-2: Antizipierte Wahrscheinlichkeit von beruflichen Veränderungen (Zustimmung in %)

Lediglich rund jede/-r Sechste in beiden Gruppen hielt es für (eher) wahrscheinlich, innerhalb der nächsten 2 Jahre den Arbeitsplatz zu verlieren. Ungefähr jeweils ein Drittel ging in beiden Gruppen (eher) davon aus, im eigenen Betrieb beruflich aufzusteigen oder den Betrieb zu wechseln. Von denjenigen, die einen Betriebswechsel für (eher) wahrscheinlich hielten, verbanden dies gut drei Viertel mit der Erwartung auf einen beruflichen Aufstieg. Eine Gehaltserhöhung (unabhängig von allgemeinen Tariferhöhungen) hielt fast die Hälfte der Befragten ohne Berufsabschluss für (eher) wahrscheinlich, in der Gruppe mit Berufsabschluss war dieser Anteil etwas kleiner, die Differenz ist mit 7 Prozentpunkten allerdings gering. Angesichts dieser recht ähnlichen Einschätzung antizipierter beruflicher Veränderungen darf nicht vergessen werden, dass sich die berufliche Ausgangslage von Personen mit und ohne Berufsabschluss deutlich unterscheidet. Auch wenn also nicht formal Qualifizierte eine Gehaltserhöhung erwarten, so erfolgt diese von einem deutlich geringeren Niveau aus, und auch Prestige und Anspruchsniveau der ausgebübten Stelle fallen bei Personen ohne Berufsabschluss im Durchschnitt geringer aus. Zudem ist der Anteil der Erwerbstätigen in der Gruppe ohne Berufsabschluss insgesamt deutlich geringer (vgl. BIBB-Datenreport 2017, Kapitel A11.4). Es bleibt auch unklar, welches Ausmaß die antizipierten Veränderungen haben würden, da nicht abgefragt wurde, wie stark das Gehalt steigen wird oder worum es sich beim beruflichen Aufstieg tatsächlich handelt.

Sollte die Befürchtung, den Arbeitsplatz zu verlieren, für einen Teil der Befragten eintreten, werden sich die Betroffenen vermutlich um eine neue Stelle bemühen. Auch von den Personen, die zum Befragungszeitpunkt keine Stelle innehatten, wird zumindest ein Teil ebenfalls auf Stellensuche sein oder dies für einen späteren Zeitpunkt planen. Um eine (neue) Arbeitsstelle zu bekommen, können Hinweise und gegebenenfalls auch der persönliche Einsatz von Personen aus dem eigenen sozialen Netzwerk hilfreich sein. Personen ohne Berufsabschluss, die ja im Durchschnitt häufiger von Erwerbslosigkeit betroffen sind, verfügen möglicherweise über weniger berufsbezogene Netzwerkkontakte und hätten damit weniger Möglichkeiten, entsprechende Informationen und Unterstützung zu erlangen. Gleichzeitig könnten sie verstärkt auf diese angewiesen sein, um angesichts ihres fehlenden Berufsabschlusses überhaupt von Arbeitgebern als potenzielle neue Mitarbeiter/-innen wahrgenommen zu werden.

Die Befragten sollten deshalb die Wahrscheinlichkeit einschätzen, dass sich im persönlichen Umfeld jemand findet, der oder die Informationen über freie Arbeitsstellen weitergeben würde bzw. sich dafür einsetzen würde, dass der oder die Befragte eine neue Arbeitsstelle bekommt: 66% der Befragten mit und 64% der Befragten ohne Berufsabschluss halten es für (eher) wahrscheinlich, dass Personen aus ihrem Umfeld sie über freie Stellen informieren würden, etwas mehr noch (71% bzw. 66%) gehen (eher) davon aus, dass jemand persönlichen Einsatz zeigen würde, um ihnen zu einer Stelle zu verhelfen. Der Anteil von Personen mit Berufsabschluss ist somit in beiden Fällen höher, allerdings nur geringfügig. 

Auch mit Blick auf die als antizipierte Unterstützer genannten Personengruppen zeigen sich nur vereinzelte Unterschiede. In Schaubild A11.4-3 sind die Häufigkeiten dargestellt, mit der verschiedene Personengruppen als Quelle einer entsprechenden Unterstützung genannt werden: Mit über 60% und damit mit großem Abstand zu den anderen Personenkreisen wurden die Freunde genannt, sowohl für das Kriterium der Informationsweitergabe als auch für das Kriterium des Einsatzes für eine Stelle. Informationen über freie Stellen erwarteten 27% der Befragten ohne und 32% der Befragten mit Berufsabschluss von aktuellen oder ehemaligen Arbeitskollegen. Einen persönlichen Einsatz dieses Personenkreises erwarteten mit 21% bzw. 27% etwas weniger. Rund jede/-r Fünfte in beiden Gruppen nannte die eigenen Eltern als Informations- und Unterstützungsquelle. Über diese Kategorien hinaus wurden in beiden Gruppen noch (in absteigender Reihenfolge) sonstige Verwandte, Geschwister und der Partner oder die Partnerin genannt, letzteres etwas häufiger von Personen mit Berufsabschluss, die anderen beiden Kategorien etwas häufiger von denjenigen ohne Berufsabschluss.

Schaubild A11.4-3: Antizipierte Hilfe bei der Stellensuche: genannte Personengruppen (Mehrfachnennungen in %)1

Fazit

Der dargestellte Vergleich zeigt, dass sich die Arbeitssituation von jungen Erwachsenen mit und ohne Berufsabschluss in einigen Aspekten signifikant unterscheidet, sich unter anderen Gesichtspunkten aber ähnlich darstellt. Unterschiede zeigen sich hinsichtlich der Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen wie Handlungsspielraum und Abwechslungsreichtum in der ausgeübten Tätigkeit. Hinsichtlich ihrer beruflichen Aussichten für die nähere Zukunft scheinen Personen mit und ohne Berufsabschluss hingegen ähnliche Erwartungen zu haben. Für den Fall einer Suche nach einer (neuen) Arbeitsstelle sind Personen ohne Berufsabschluss mit Blick auf die wahrgenommenen sozialen Unterstützungsressourcen ähnlich gut aufgestellt wie Personen mit Berufsabschluss. Eine etwaige geringere bisherige Erwerbserfahrung in dieser Gruppe scheint nicht mit einer wesentlichen Einschränkung der für die Stellensuche verwertbaren Netzwerkressourcen einherzugehen. 

(Annalisa Schnitzler)