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Im Jahr 2018 bezifferte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) die Zahl international migrierender Menschen auf 258 Mio. weltweit, darunter 234 Mio. im erwerbsfähigen Alter (15 Jahre und älter). Circa 164 Mio. galten als „migrant worker“ – annähernd die Hälfte von ihnen (46,9 %) sind nach Nordamerika und Europa zugewandert (vgl. International Labour Organisation 2018). Die Frage, wie berufliche Abschlüsse und Erfahrungen, die im Ausland erworben wurden, anerkannt werden können, ist angesichts sinkender Geburtenzahlen und der großen Zahl neu eingewanderter Menschen in den aufnehmenden Ländern von hoher Gestaltungsrelevanz. Australien und Kanada werden aufgrund ihrer gesteuerten Einwanderungspolitik vielfach als Referenzen bei der Entwicklung nationaler Anerkennungs- und Zuwanderungsmodelle herangezogen.

Migrationspolitik als Bevölkerungspolitik

In Australien ist die Entwicklung von Gesellschaft, Arbeitsmarkt und Wirtschaft seit der Staatengründung 1901 untrennbar mit einer aktiven Einwanderungspolitik verbunden. Seit 1945 ist die australische Bevölkerung maßgeblich durch die aktive Einwanderungspolitik von ca. sieben Mio. auf 25,7 Mio. Menschen (Juni 2021) angewachsen. Waren 1945 10 % der Einwohner/-innen im Ausland geboren, waren es 2021 29,8 % (7,3 Mio. Menschen) (vgl. Australian Bureau of Statistics 2022). Zuzug und Aufenthalt für Personen ohne australische Staatsbürgerschaft werden seit 1958 in einem Migrationsgesetz (Migration Act) geregelt. Zwei Drittel aller Visa, die im jährlich aufgelegten Migrationsprogramm vergeben werden, gehen an beruflich qualifizierte Personen, die angeworben werden, um im Land bestehende oder prognostizierte Fachkräfteengpässe auszugleichen und der Überalterung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Die Produktivitätskommission der Regierung bringt dieses als „qualifizierte Zuwanderung“ („skilled migration“) bekannte Konzept mit dem Satz „Australia’s immigration policy is de facto population policy“ (vgl. The Guardian 12.06.2018) auf den Punkt. Ähnliches gilt für Kanada, das sich selbst als „welcoming nation“ bezeichnet und Migration in diesem Kontext als „partnership in nation building“ (vgl. Owen/Lowe 2008) betrachtet. Im Juli 2021 zählte Kanada mit 38,2 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern eine halbe Million mehr Menschen als im Vergleich zum Vorjahr (37,7 Mio.). Kanada hat damit das höchste Bevölkerungswachstum in seiner Geschichte und nimmt den Spitzenplatz unter den G7-Staaten ein. Circa 20 %, d. h. jede/-r Fünfte, ist außerhalb des Landes geboren (vgl. Alexander/Burleton/Fong 2012, S. 10). Laut Statistics Canada (2019) stellt die Internationale Migration den „main driver of population growth over the last years“ dar.

Instrumente zur Steuerung qualifizierter Migration: Skill streams, Berufelisten, Punktesysteme

Die Migrationsprogramme in Kanada und Australien sind das Ergebnis jährlicher Konsultationsprozesse der Regierungen mit den politischen Entscheidungsträgern/-trägerinnen aus den Provinzen, Territorien, aus Verbänden, Selbstverwaltungsorganen der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Beide Programme steuern die Zuwanderung anhand von Visakategorien in den Sparten humanitäre Zuwanderung (Geflüchtete und Asylsuchende), Familienzuzug, dauerhafte („permanent“) und temporäre Zuwanderung (zum Zweck zeitlich begrenzter Arbeitsaufnahme). In beiden Ländern ist das Migrationsprogramm seit vielen Jahrzehnten mit Zielvorgaben verbunden, wie viele Menschen jährlich in den unterschiedlichen Kategorien zuwandern können. Die Planungen für Australien und Kanada sehen im aktuellen Zeitraum wie folgt aus Tabelle D2-1, Tabelle D2-2.

Tabelle D2-1: Migrationspolitische Planungen und Zielgrößen in Australien für den Zeitraum 2019 bis 2021

Tabelle D2-2: Migrationspolitische Planungen und Zielgrößen in Kanada für den Zeitraum 2021 bis 2023

Jede der Migrationssäulen wird durch eine Vielzahl von Visakategorien untersetzt. Um gleichermaßen den Bedarfen des Arbeitsmarktes, seinen regionalen Ausprägungen und den Interessen einzelner Unternehmen zu entsprechen, basiert die sog. qualifizierte Zuwanderung in beiden Ländern auf einem unternehmensbasierten („employer sponsored“) und einem „freien“ („independent“) Strang, die beide an die jährlich erscheinenden Berufelisten und – bezogen auf die auf dauerhafte Zuwanderung ausgelegten Visa – an eine Überprüfung anhand eines Punktesystems gekoppelt sind. In Kanada werden die temporären, zeitlich befristeten Visa für maximal zwei Jahre (mit Verlängerungsoption auf vier Jahre) vergeben und berechtigen die Personen, sich nach drei Jahren für ein dauerhaftes Visum zu bewerben. Ebenso wie in Kanada wird Migration auch in Australien zunehmend als zeitlich vorübergehendes Phänomen betrachtet: Mehr und mehr Visakategorien sind auf einen temporären Zuzug ausgelegt. Der zeitlich befristete Zuzug von potenziell migrationswilligen Personen führt dazu, dass die dauerhafte Einwanderung als „two-step migration“-Prozess stattfindet: Personen mit zeitlich befristeten Visa, die sich schon im Land befinden, bewerben sich vor Ort um dauerhafte, d. h. unbefristete Visa (sog. skilled visa) und durchlaufen entsprechende Verfahren („onshore migration“). Mit diesen Einreisevisa werden laut des australischen Departments for Immigration and Citizenship diejenigen ausländischen Arbeitskräfte angesprochen, „who are best suited to contribute to the economy through their skills, qualifications, entrepreneurialism and future employment potential“ (Australian Government, Department for Immigration and Citizenship 2014, S. 244).

Grundlage zur Steuerung der „qualifizierten Migration“ (Australien) bzw. des „economic streams“ (Kanada) sind die jährlich erscheinenden Berufelisten und die mit ihnen in direktem Zusammenhang stehenden Visakategorien. Voraussetzung für die Beantragung eines Visums ist, dass die heimische berufliche Qualifikation in den betreffenden Einwanderungsländern benötigt wird. In Australien ist eine sog. Eligible Skilled Occupation List (SOL) in Kraft. Sie wird jährlich von der National Skills Commission daraufhin überprüft, ob sie die aktuellen Bedarfe des australischen Arbeitsmarktes adäquat abbildet. Die Berufeliste ist mit zehn verschiedenen Visakategorien verbunden. Sie unterscheiden sich nach zeitlicher Dauer, ob sie mit einem Unternehmen verbunden oder „unabhängig“ sind, zu Ausbildungszwecken genutzt oder nur für bestimmte Gebiete/Regionen vorgesehen sind. Die Eligible Skills Occupation List für 2021/2022 listet 674 Erwerbstätigkeiten auf, für den ein Bedarf gemeldet worden ist (vgl. Australian Government; Department for Home Affairs; Skilled Occupation List 2022).

In Kanada benennt die „Highly in Demand“-Liste ebenfalls Berufe, für die gegenwärtig der größte Fachkräftemangel besteht. Die Liste ist an das kanadische Beruferegister NOC (National Occupations Classification List) angelehnt und in unterschiedliche Kategorien, basierend auf der Art der ausgeübten Tätigkeit, unterteilt. Das NOC dient im Rahmen verschiedener Migrationsprogramme als Bezugspunkt und damit als Kriterium für die Zulässigkeit eines Antrags. Gelistet werden sowohl Berufe, bei denen ein Studium vorausgesetzt wird, als auch „skilled occupations“, unter denen Berufe aus Industrie und Handwerk verstanden werden. Darüber hinaus werden berufliche Tätigkeiten aufgelistet, für die keine umfassende Berufsausbildung notwendig ist. Personen, die sich für ein Visum im Rahmen des Federal Skilled Worker Programs bewerben, müssen eine Qualifikation mit Bezug auf die Berufeliste sowie Berufserfahrung vorweisen. Ihre Eignung wird darüber hinaus anhand eines Punktesystems festgestellt (vgl. Nationwide Visas 2022).

Die Idee, ein Matching zwischen den beruflichen Qualifikationen und Kompetenzen, die Zuwanderer und Zuwanderinnen mitbringen, mit den sich verändernden Arbeitsmarktbedarfen im Land mittels eines Punktesystems nach Alter, Bildung, Berufserfahrung und Fremdsprachenkenntnissen zu operationalisieren, wurde erstmals 1967 im Rahmen des kanadischen Immigration Acts (später Immigration and Refugee Protection Act, modernisiert in 2002) umgesetzt. 1979 zog Australien mit einem ähnlichen System nach.

In Kanada und Australien wurde das Punktesystem als Meilenstein zu einer multikulturellen, ethnisch und kulturell vielfältigen Einwanderungsgesellschaft betrachtet, da es alle Antragstellenden, unabhängig von präferierten Zuwanderungsländern, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Geschlecht anhand einheitlicher Kriterien behandele (Owen/Lowe 2008, The Economist 09.07.2016). Diese Einschätzung wird jedoch von der Realität eingeholt: Eine 2002 durchgeführte Erhebung über die ethnische Vielfalt in Kanada zeigte auf, dass mehr als 70 % der Mitglieder von Minderheitengruppen sich aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlen (vgl. Statistics Canada. Housing, Family and Social Statistics 2003). Dies setzt sich auf dem Arbeitsmarkt fort: „Hidden discrimination against visible minorities continues to play a role in the labour market and racialized group members tend to be over-represented in many low paying occupations with high levels of precariousness, while they are underrepresented in the better paying, more secure jobs“ (Owen/Lowe 2008, S. 18).

In der Praxis der untersuchten Länder spielen Punktesysteme dort eine Rolle, wo Zuwanderung erfolgen soll, ohne dass die betreffende Person bereits eine Einstellungszusage von einem Arbeitgeber erhalten hat oder ohne von einer Region/Provinz/Territorium nominiert worden zu sein. Im System bepunktet werden u. a. Alter, Ausbildung und Bildungsniveau, Arbeits- und Berufserfahrung, Fremdsprachenkenntnisse und andere Faktoren. Obwohl die Kriterien der angewandten Punktesysteme vergleichbar sind, fällt ihre Gewichtung in den einzelnen Ländern unterschiedlich aus. Während Australien das Alter der einwanderungswilligen Personen besonders im Blick hat und Extrapunkte für promovierte Personen bzw. für Hochschulabsolventen/-absolventinnen vergibt, legt Kanada mehr Gewicht auf Lebens- und Berufserfahrung und lässt Bewerber/-innen bis zum Alter von 54 Jahren zu (vgl. Hawthorne 2014).

Die mit der punktebasierten Zuwanderung verknüpften Visa verlangen darüber hinaus, dass die einreisewilligen Personen sich – sollte die angestrebte berufliche Tätigkeit in Australien oder Kanada reglementiert sein – um eine entsprechende Registrierung/Lizenzierung ihrer beruflichen Qualifikation kümmern und ggf. an Qualifikationsmaßnahmen (in Australien: „gap training“, in Kanada: „bridging courses“) teilnehmen, um die geforderten Nachweise zu erwerben. Dies liegt in der Verantwortung der einzelnen Personen, ist die Voraussetzung für eine Arbeitsaufnahme und muss direkt nach der Erteilung des Visums erfolgen. Dazu zählen eine Qualifikationsfeststellung, eine Berufsanerkennung und ggf. -zulassung, eine Sprachzertifizierung sowie eine Gesundheitsüberprüfung. Ob eine Person diesem Verständnis nach qualifiziert ist und ein Visum erhält, macht sich daher an weit mehr Faktoren als am beruflichen Abschluss fest.

Herausforderungen in Bezug auf Arbeitsmarktbeteiligung und Lohnentwicklung

Kanada und Australien werden in der internationalen Fachliteratur als Modelle guter Praxis beschrieben, was jedoch nicht ausschließt, dass auch diese Länder immer wieder mit neuen Herausforderungen und Problemlagen konfrontiert werden.

Die aktive Anwerbung von Menschen aus dem Ausland führte in beiden Ländern zu einer höheren Erwerbsbeteiligung und zu einer höheren Arbeitsproduktivität (insb. aufgrund eines im Durchschnitt höheren Qualifikationsniveaus). Zahlen des australischen Departments of Immigration and Citizenship weisen für 2005/2006 eine Arbeitsmarktbeteiligung von qualifizierten Zuwanderern/Zuwanderinnen von über 90 % schon kurz nach ihrer Ankunft aus; in ländlichen Regionen waren 2007 mehr als 97 % der Zugewanderten in Beschäftigung (vgl. Webb/Beale/Fayne 2013, S. 13). Ein Grund für die hohen Vermittlungszahlen in den Arbeitsmarkt liegt in der Tatsache begründet, dass immer mehr Visa unternehmensgefördert sind und Personen nur dann einreisen können, wenn sie bereits ein Arbeitsangebot angenommen haben. Die Zeitschrift The Economist titelte 2016 (09.07.2016) „What’s the point? The countries that invented points-based immigration systems have concluded they do not work“ und führte ins Feld, dass – während nur 1 % der unternehmensgeförderten Migranten/Migrantinnen 2013 nach ihrer Ankunft arbeitslos waren – dies auf 13,5 % der Personen zutraf, die im Rahmen der punktebasierten Migration nach Australien kamen.

In Kanada lag 2006 die Arbeitsmarktbeteiligung der Personen im erwerbsfähigen Alter (24 bis 65 Jahre) in den ersten fünf Jahren nach ihrer Ankunft bei 78 %. Die Beschäftigungsrate stieg signifikant bei denjenigen an, die bereits zwischen fünf und zehn Jahren im Land waren und lag 2018 bei 79,5 % (vgl. El-Assal/Thevenot 2019). Die Arbeitslosenrate hat sich in den letzten Jahren unter den neu eingewanderten Personen verbessert. Sie lag 2018 in der Altersgruppe der 24- bis 65-Jährigen bei 8,6 % (im Vergleich zu 14,7 % 2008/2009 und 11,5 % im Jahr 2006). Die Zahl sank ebenfalls bei denjenigen, die seit fünf bis zehn Jahren im Land waren auf 5,3 % (im Vergleich zu 7,3 % im Jahr 2006) (vgl. ebd., 2019).

Die erfolgreiche Entwicklung der Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahl wird einerseits auf die demografische Entwicklung in Kanada zurückgeführt und liegt andererseits in den Nachsteuerungen im Migrationsprogramm und den zur Verfügung gestellten flankierenden Maßnahmen zu Integration, Spracherwerb und Arbeitsmarktzugang begründet (vgl. El-Assal/Thevenot 2019). Wenngleich die nach Kanada migrierenden Personen Bildungsabschlüsse mitbringen, die oberhalb des kanadischen Durchschnitts liegen, gelingt es ihnen jedoch nur unzureichend, diese auf dem Arbeitsmarkt in Wert zu setzen. Alexander/Burlington/Fong (2012) führen dazu aus, dass die Lücke im Einkommen über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich angewachsen ist. Dies wird u. a. damit begründet, dass sich seit Mitte der 1990er-Jahre die Anwerbungsaktivitäten von ursprünglich Personen aus den Vereinigten Staaten und Westeuropa auf asiatische Länder und auf Personen, die weit seltener als die erstgenannte Gruppe über englische oder französische Sprachkenntnisse verfügte, verschoben haben. Vier Fünftel der in den 1990er-Jahren migrierten Personen sprachen weder Englisch noch Französisch. Auf diese Weise konnten zwar die migrationspolitischen Zielmargen gehalten werden, bezogen auf skills assessment und Arbeitsmarktintegration ergaben sich jedoch neue Herausforderungen (vgl. ebd. 2012, S.5): Unternehmen, vor allem im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen, wurden zunehmend mit Bildungsgängen, beruflichen Zertifikaten und Arbeitszeugnissen konfrontiert, die für sie nicht „lesbar“ waren und für die Instrumente der Bewertung fehlten. Abschlüsse und Qualifikationen waren den Bewertenden nicht bekannt und wurden oftmals unterschätzt (vgl. Owen/Lowe 2008, S. 10). Als Folge davon arbeiten heute viele migrierte Menschen nicht in ihrem Ursprungsberuf und oftmals unterhalb ihrer Qualifikation, was im Phänomen der „taxifahrenden Ärzte“ (Alexander/Burlington/Fong 2012, S. 6) seinen Ausdruck findet. Trotz strenger Zuwanderungskriterien und des hohen Qualifikationsniveaus der zugewanderten Personen zitieren Owen und Lowe (2008, S. 10) die Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung zu Migration nach Kanada und verweisen darauf, dass 60 % der migrierten Personen unterhalb ihrer Qualifikation auf den Arbeitsmarkt einmündeten, während gleichzeitig Arbeitsplätze mit mittleren oder hohen Qualifikationsanforderungen unbesetzt blieben. Die Betroffenen selbst nennen fehlende Arbeitserfahrung in Kanada (26 %), fehlende Anerkennung der ausländischen Qualifikation oder ausländischer Arbeitserfahrung (21 %) und Sprachbarrieren (15 %) als die größten Hindernisse für den Arbeitsmarktzugang (vgl. ebd., S. 10). Die genannten Probleme treffen nicht nur die migrierten Personen, sondern auch die kanadische Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes. Der Conference Board of Canada schätzt die Kosten, die durch fehlende Anerkennung beruflicher Abschlüsse und Qualifikationen verursacht werden, auf jährlich zwischen 4,1 und 5,9 Mrd. Dollar (vgl. El-Assal/Thevenot 2019).

Auch für Australien gilt, dass das Bildungsniveau der migrierten Menschen nicht die gleichen Beschäftigungs- und Entlohnungseffekte generiert wie für den Rest der Bevölkerung. Eine 1995 von Chiswick und Miller durchgeführte Untersuchung zur Lohnentwicklung von nach Australien zugewanderten Personen zeigt auf, dass Personen mit guten Englischkenntnissen und mit Berufserfahrung schneller eine Arbeit aufnehmen und eine bessere Lohnentwicklung haben als Personen mit wenig oder keiner Sprachkompetenz, die vor einem zehn- bis zwanzigprozentigen Lohngefälle stehen (vgl. Migration Council 2015, S. 13). Spracherwerb und Entlohnungsperspektiven sind insofern auf das Engste miteinander verbunden und führen dazu, dass Frauen bei beidem benachteiligt sind. Dies wird bei der Betrachtung der Visabeantragungsverfahren deutlich, die einem konsequenten Humankapitalansatz folgen und bei unternehmensgefördertem Zuzug schnell zu einer Arbeitsaufnahme führen. Zu bedenken sind auch die im Vorfeld anfallenden Kosten, die traditionellerweise in den Ländern, in denen Australien verstärkt anwirbt, eher für Männer als für Frauen aufgewendet werden (Kosten nur für die Visabeantragung. Ein Experte des Migration Institutes of Australia schätzte die insgesamt entstehenden Kosten auf ca. 9.000 Dollar [Interview 216-219 zitiert bei Eberhardt 2019, S. 58]). Die Visakategorien, die mit der Perspektive auf hohe Einkommen und mit hohen Kosten verbunden sind, werden in der Mehrheit von Männern beantragt, während Frauen überproportional über eine Familienzusammenführung nach Australien einwandern. Der Arbeitsmarktzugang von migrierten Frauen liegt insofern signifikant unterhalb dem von migrierten Männern, er wird jedoch mit zunehmender Sprachbeherrschung erleichtert (vgl. Migration Council Australia 2015).

Anerkennung beruflicher Qualifikationen

Anders als in Deutschland sind weder in Australien noch in Kanada Anerkennungsgesetze in Kraft. In den jeweiligen Migrationsgesetzen wird jeweils ein sog. skills assessment benannt; entsprechende Ausführungsbestimmungen sind vage und definieren weder Kriterien noch anzuwendende Methoden. Die zur Anwendung kommenden Verfahren leiten sich entweder aus den Anforderungen ab, die sich aus der Reglementierung der Tätigkeit ergeben oder aus denen der migrationspolitischen Steuerung (Visakategorien). Verfahren des skills assessment im nicht regulierten Bereich zielen darauf ab, festzustellen, ob die migrationswilligen Menschen in der Lage sind, eine berufliche Tätigkeit auszufüllen und ggf. deutlich zu machen, welche (Zusatz-)Qualifikationen notwendig sind, um mit den spezifischen Anforderungen des potenziell aufnehmenden Arbeitsmarktes umgehen zu können. Dies geschieht in Kanada anhand der Erfassung informeller beruflicher Kompetenzen, in Australien durch „Mischverfahren“, die von registrierten, im Rahmen von Ausschreibungen ermittelten, akkreditierten Bildungsdienstleistern (sog. Registered Training Organisations, RTOs) überprüft werden.

Eine eigenständige Bedeutung kommt der Anerkennung der Berufsqualifikation im Bereich der reglementierten Berufe zu. Die Reichweite entsprechender Anerkennungsverfahren und der Berufs- und Arbeitsmarktzugang unterscheiden sich jedoch mit Blick auf die Art der Berufsregulierung (im Rahmen von Reglementierung, Lizenzierung, Akkreditierung und Zertifizierung), die in den Ländern unterschiedlich streng und restriktiv gehandhabt werden. In Kanada und Australien steht der politische Wille nach qualifizierter Zuwanderung in einem Spannungsverhältnis mit dem Schutz der Berufsstruktur (bezogen auf die berufliche Tätigkeit und nicht notwendigerweise auf das bildungspolitische Konstrukt des Berufes) und den damit verbundenen Qualitätsstandards. Darauf verweisen die vergleichsweise niedrigen Zahlen derjenigen Personen mit ausländischen Berufsabschlüssen, die in Kanada erfolgreich Lizenzierungsverfahren absolvieren und die stattdessen in alternative Berufskarrieren vermittelt werden. Studien, die die Auswirkungen der beruflichen Regulierung auf den Arbeitsmarkt in der EU untersucht haben, verweisen in diesem Kontext darauf, dass nicht die prinzipielle Möglichkeit beruflicher Anerkennung Mobilität und Zuwanderung befördert, sondern die jeweilige Anerkennungspraxis im Zielland (also, ob es viele oder wenige Anerkennungshürden vor Ort gibt) Mobilitätsentscheidungen wesentlich beeinflussen. Mobilität findet vor diesem Hintergrund stärker in die Länder und Bereiche statt, in denen der Berufszugang weniger stark oder gar nicht reglementiert ist (vgl. Koumenta u. a. 2014; Koumenta/Pagliero o. J.). Dies ist auch in Kanada und Australien der Fall.

(Christiane Eberhardt)