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In der Initiative Bildungsketten328 setzen sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und die Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeinsam mit den Ländern dafür ein, erfolgreiche Förderinstrumente zu einem ganzheitlichen, bundesweit gültigen und in sich stimmigen Fördersystem zur Berufsorientierung (BO) und im Übergangsbereich zu verzahnen. Dazu schließen Bund, Länder und BA landesspezifische Vereinbarungen zum Übergang Schule – Beruf.329

Die berufliche Orientierung bildet einen Schwerpunkt der Bund-Länder-BA-Vereinbarungen. Ziel ist es, auf Grundlage eines kohärenten Konzepts bestehende Angebote weiter auszubauen und bei Bedarf flächendeckend zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig ermöglichen die Vereinbarungen die systematische Weiterentwicklung von Instrumenten und die Erprobung innovativer Ansätze in der beruflichen Orientierung.

Dieses Kapitel liefert einen Überblick darüber, wie in den Vereinbarungen Berufsorientierungsmaßnahmen strukturell verankert und konzeptionell verzahnt werden. Exemplarisch wird an verschiedenen Beispielen ein „BO-Baukasten“ dargestellt, der von Potenzialanalyse über die praktische berufliche Orientierung bis hin zu Maßnahmen zur Strukturierung reicht und erläutert, welche Verabredungen zur Koordination und Umsetzung vor Ort getroffen werden. 

Potenzialanalyse als Einstieg

Die Potenzialanalyse stellt in allen Ländern ein zentrales Instrument zu Beginn der vertieften beruflichen Orientierung dar. Unterschiedlich ausgestaltet (ein- bis dreitägig, in der Schule oder extern durchgeführt) bietet sie Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich mit ihren Kompetenzen und Potenzialen zu beschäftigen und außerhalb des normalen Unterrichts einen anderen Blick auf sich selbst zu werfen. Ziel ist es, diese flächendeckend, vor allem für Förder-, Haupt- und Realschulen, anzubieten. Mittelfristig ist der Einsatz des Instruments auch an Gymnasien geplant. Die Ergebnisse werden im weiteren Prozess der Berufsorientierung, z. B. bei Werkstatttagen oder der Planung von Praktika, berücksichtigt. Eine Ausgestaltung stellt die prozessorientierte Hamburger Potenzialanalyse (pHP) dar.

Prozessorientierte Hamburger Potenzialanalyse (pHP)

Mit der pHP sollen die außer- und innerschulischen Angebote der BO eng verknüpft werden. Dabei entsteht ein verzahnter und nachhaltiger Berufsorientierungsprozess, keine punktuelle Kompetenzfeststellung. Gleichzeitig bildet die pHP auch den Rahmen für die Berufs- und Studienorientierung der Jahrgangsstufen 8, 9 und 10 an den Hamburger Stadtteilschulen. Sie fasst die Ergebnisse zusammen und dokumentiert den Prozess. Das Konzept ist inklusiv gestaltet, d. h. die einzelnen Angebote der pHP sind so gestaltet, dass auch Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf daran teilnehmen können. Grundprinzip ist eine Art Baukasten, der es ermöglicht, verschiedene Elemente der beruflichen Orientierung zu kombinieren. Hierbei erhalten die Schulen großen Gestaltungsspielraum.

Praxisbezogene berufliche Orientierung – Vielfalt der Angebote

Für eine effektive berufliche Orientierung ist der Praxisbezug von entscheidender Bedeutung. Angebote sollen möglichst betriebsnah gestaltet werden, um den Schülerinnen und Schülern einen ersten Einblick in die Arbeitswelt zu ermöglichen. Viel Wert wird dabei auch auf eine systematische Zusammenarbeit mit Betrieben, Unternehmen und Berufsbildungsstätten gelegt. Praktika oder Werkstatttage, etwa des Berufsorientierungsprogramms des BMBF (BOP), sind hier meist die Mittel der Wahl. Aber auch andere Angebote, wie zum Beispiel Betriebsbesichtigungen und Betriebserkundungen, Übungsfirmen für Schülerinnen und Schüler, themenbezogene Angebote im MINT-Bereich und andere Formen des Praxislernens gehören dazu.

Ein integrierter Ansatz stellt das Unterrichtskonzept des „Praxislernensaus Brandenburg dar, bei dem Schülerinnen und Schüler sich in Verbindung mit dem Regelunterricht in praktischen Tätigkeiten in realen Lebens- und Arbeitssituationen erproben können. In dem fächerverbindenden Unterricht besteht die Möglichkeit, phasenweise selbstständig produktiv zu arbeiten und dabei ein grundlegendes Verständnis für beispielsweise technische oder ökonomische Vorgänge zu erlangen. Über diese Erfahrungen soll die eigene Berufswahlkompetenz gestärkt werden. Mit der Bund-Länder-BA-Vereinbarung wird das Praxislernen in Brandenburg weiter ausgebaut, damit mehr Schülerinnen und Schüler das Angebot nutzen können.

In Niedersachsen wird durch verstärkte Kooperation zwischen allgemeinbildenden Schulen und berufsbildenden Schulen eine Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler geschaffen, systematisch und frühzeitig berufliche Erfahrungen zu sammeln, die sie befähigen, eine klare berufliche Zukunftsperspektive zu entwickeln. Lehrkräfte beider Schultypen legen hier gemeinsam die Inhalte fest. Durch die Zusammenarbeit soll die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Schulabschluss reduziert und die Vermittlungsperspektive in ein Ausbildungsverhältnis verbessert werden.

Berufliche Orientierung an Gymnasien

An Gymnasien rückt die berufliche Orientierung ebenfalls verstärkt in den Blick. Ziel ist es dabei, Schülerinnen und Schülern eine objektive Sicht auf unterschiedliche Berufswege zu ermöglichen und sie in die Lage zu versetzen, einen ihren Interessen und Fähigkeiten entsprechenden Berufsweg zu wählen. Das Spektrum schließt Ausbildungs- und akademische Berufe ein. Neben der Ausweitung der Potenzialanalyse auf diese Schulform werden auch andere Angebote ausgedehnt.

Ein Beispiel sind die Werkstatttage an Gymnasien in Baden-Württemberg (ProBerufGym). Schülerinnen und Schüler der 8. bis 10. Jahrgangsstufe erhalten eine frühzeitige praktische Berufsorientierung. Dabei stehen 2 Varianten zur Verfügung: Werkstatttage in Bildungsstätten im Umfang von einer Woche in mindestens 2 Berufsfeldern oder Betriebspraktika in mindestens 3 Berufsfeldern; sie werden von Bildungsträgern organisiert und von Mentorinnen und Mentoren (Berufstätige in den gewählten Berufsfeldern) in Betrieben betreut. In der Oberstufe folgt dann ein multimedial unterstütztes und durch Tutoren begleitetes System der Berufs- und Studienorientierung „BESTOR“.

In Bayern gibt es u. a. ein Projekt-Seminar zur Studien- und Berufsorientierung, das Schülerinnen und Schüler der Oberstufe eineinhalb Jahre lang in ihrem beruflichen Entscheidungsprozess begleitet. Im Seminar überprüfen die Teilnehmenden etwa, welche Berufe zu ihnen passen, bereiten sich aber auch ganz praktisch auf Bewerbungen und Vorstellungsgespräche vor. Für das Seminar stehen den Lehrkräften umfangreiche Materialien zur Verfügung, die mit Unterstützung der BA auf die Bedürfnisse der anderen Länder angepasst werden sollen.

Bremen plant das „Sonderprogramm zur Berufsorientierung leistungsstarker Schülerinnen und Schüler“ der gymnasialen Oberstufen. Mit dem Programm soll die berufsbiografische Gestaltungskompetenz weiterentwickelt und vertieft werden, um die Teilnehmenden in die Lage zu versetzen, eine bewusste und reflektierte Berufs- oder Studienwahl zu treffen. Geplant sind z.B. Angebote des Praxislernens wie Block- oder Langzeitpraktika, verknüpft mit Besuchen einer Hochschule, einem Industrie-4.0-Unternehmen oder einem Forschungsinstitut. Die Angebote sollen zudem möglichst mit einer Projektarbeit verknüpft werden. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Hochschulen und Wirtschaft ausgebaut werden. Zentrale Bestandteile sind eine Kompetenzfeststellung, Praxismodule und eine Reflexionsphase am Ende.

Berufswahlpass

Der Berufswahlpass steht Schulen seit vielen Jahren als ein zentrales Instrument zur Begleitung der beruflichen Orientierung zur Verfügung. Mit ihm werden Schülerinnen und Schüler in ihrem Berufswahlprozess etwa bei der Klärung ihrer Stärken und Interessen, der Entwicklung ihrer Lernfähigkeit sowie der Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Leistungsbereitschaft unterstützt. Gleichzeitig dient er als Dokumentationsinstrument von für die Berufswahl relevanten Erfahrungen, wie Praktika oder Unterrichtprojekten. Inzwischen beginnen rund 200.000 Jugendliche jedes Jahr die Arbeit mit dem Berufswahlpass. Ab 2018 soll der Berufswahlpass in einem Projektkonsortium unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen modernisiert und an die fortschreitende Entwicklung digitaler Medien angepasst werden. Ziel ist es, den Berufswahlpass auf Grundlage eines wissenschaftlichen Konzepts330 zu einem digitalen Portfolio weiterzuentwickeln, das die verschiedenen Elemente der beruflichen Orientierung strukturiert und dokumentiert.

Eine strukturierte berufliche Orientierung

Schulische Konzepte bilden die Grundlage für die Umsetzung der beruflichen Orientierung in der Praxis. Wesentlicher Bestandteil ist hierbei die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Berufsberatung. In Baden-Württemberg werden hierzu Tandems mit festbenannten Ansprechpersonen gebildet, die in Abstimmungsgesprächen ein Berufsorientierungskonzept entwickeln, das als Basis für die Zusammenarbeit mit weiteren regionalen Partnern wie Kammern und Verbänden dient.

In Hamburg sind es die BOSO-Teams an den Schulen, die dafür verantwortlich sind, dass der Übergang aktiv unterstützt und begleitet wird. Für eine strukturierte berufliche Orientierung ist diese Zusammenarbeit eine wesentliche Voraussetzung, jedoch nicht die einzige. Um der Angebotsvielfalt zu begegnen und sicherzustellen, dass alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten sich praxisnah zu orientieren, schaffen die Länder Koordinierungsstellen.

In Hessen wurde die Koordinierungsstelle KoBo Hessen eingerichtet, die für alle Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen an allgemeinbildenden Schulen mit den Bildungsgängen Haupt- und Realschule sowie an Schulen mit Förderschwerpunkt Lernen die Teilnahme an einer praxisbezogenen Berufsorientierung sicherstellen soll.

In Mecklenburg-Vorpommern sorgt die Koordinierungsstelle „Integrierte Berufsorientierung“ dafür, dass die verschiedenen Modellvorhaben des Landes koordiniert, Ergebnisse mit den Akteuren diskutiert und in die Breite transferiert werden. Zudem berät sie Schulen beim Einsatz von Instrumenten der beruflichen Orientierung. 

Diese Beispiele verdeutlichen, dass die berufliche Orientierung in der schulischen Bildung inzwischen fest verankert ist. Mit den Vereinbarungen des Bundes mit den Ländern werden Ansätze ausgebaut oder Lösungen erprobt, um die vielfältigen Angebote zu verzahnen und praxisnah auszugestalten. Die Ansätze für die berufliche Orientierung an Gymnasien zeigen, dass hier einiges in Bewegung ist und in Zukunft weiter verstärkt werden muss. Eine Baustelle bleibt die Verzahnung der beruflichen Orientierung an allgemeinbildenden Schulen mit dem Übergangsbereich. Zwar gibt es schon positive Entwicklungen, aber oftmals fehlen systematische Ansätze nach wie vor.

(André Grabinski)