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In den betrachteten Ländern ist die Berufsorientierung wesentlicher Bestandteil von Bildungs-, Berufsbildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Insgesamt zeichnen sich vor allem institutionelle bzw. organisatorische Unterschiede in den Zielgruppen der Berufsorientierung ab. Tabelle D2.3-1 fasst die zentralen Ergebnisse des Ländervergleichs zusammen.

Tabelle D2.3-1: Adressaten, Schwerpunkte, Institutionen und Akteure der Berufsorientierung im Ländervergleich

Verortung der Berufsorientierung im Bildungssystem

Ein wesentlicher Unterschied bezieht sich auf die Schwerpunktsetzung der Berufsorientierung innerhalb der jeweiligen Bildungsstufen. In Österreich und in der Schweiz findet diese (über den Berufsunterricht) überwiegend innerhalb der Sekundarstufe I statt. Erste praktische Erfahrungen und Eindrücke von der Arbeitswelt sind dabei Teil des obligatorischen Unterrichts. Dagegen entscheiden in Australien die Schulen, ob solche Angebote in der Sekundarstufe I verpflichtend oder optional sind. Zudem konzentrieren sich die Angebote bzw. Aktivitäten innerhalb der Schulen besonders auf die Sekundarstufe II und den Austritt aus der Schule349. Insgesamt liegt der Schwerpunkt der Berufsorientierung auf dem Übergang zum postsekundären Bildungsbereich. Entsprechend mischen sich hier Fragen der Berufswahl mit Fragen der Anerkennung von Bildungsleistungen aus dem Sekundarbereich in den Institutionen im postsekundären und tertiären Bereich.

Institutioneller Kontext der Berufsorientierung

Weitere Unterschiede sind hinsichtlich der jeweiligen Logik der Berufsorientierung festzumachen, die stark vom institutionellen Kontext des Bildungssystems abhängt. Die Berufsorientierung konzentriert sich in Australien auf den Abschluss eines Bildungsweges (Bildungslogik). Besonders erwähnenswert sind die beruflich ausgerichteten tertiären Bildungsgänge in den TAFE-Instituten, die auch den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen (Good Education Group 2018). Auch die beruflich ausgerichteten Bildungsgänge in den Schulen zielen auf den Abschluss der Sekundarstufe II ab. Obwohl sie im schulischen Kontext eingebettet sind, bereiten sie auch auf berufliche Weiterbildungsmaßnahmen bzw. auf die Erwerbstätigkeit vor (Deißinger/Gulden/Herdrich 2017, S. 51). Diese Beschäftigungslogik wird durch die zunehmenden Beziehungen zu Unternehmen (Schul-Industrie-Partnerschaften) (Department of Education and Training 2017b), die in den Programmen involviert sind, gestärkt (Deißinger/Gulden/Herdrich 2017, S. 90). Hervorzuheben sind die Trade Training Centres in Schools und das P-TECH-Pilotprojekt innerhalb der Sekundarstufe  II. Auch die Ausbildung von regionalen Netzwerken als Zusammenschluss von verschiedenen Gruppen und Organisationen, wie Bildungsanbietern, Unternehmen, und Familienorganisationen ist zu betonen (Beispiel LLENs Victoria).

Etablierung der Berufsberatung und -orientierung als eigener Sektor 

In Australien ist ein großer Teil der Berufsorientierung und -beratung innerhalb des privaten Sektors angesiedelt. Dies wurde wesentlich durch staatliche Maßnahmen gefördert, indem ein (Berufs-)Netzwerk aus Organisationen aus dem privaten, öffentlichen und ehrenamtlichen Sektor etabliert wurde. Damit wurden ehemals staatlich erbrachte Leistungen auf private Dienstleister verlagert. Entsprechend haben sich Beratungsverbände gegründet, die auch professionelle Standards entwickelt haben. Die Adressaten der Beratungsangebote haben sich in den vergangenen Jahren weiter ausdifferenziert und richten sich nicht ausschließlich an Jugendliche und junge Erwachsene, sondern an verschiedene Zielgruppen in der Erwerbsbevölkerung.

Duales Ausbildungssystem in Österreich und der Schweiz

Hingegen ist die Schwerpunktsetzung der Berufsorientierung in Österreich und in der Schweiz eindeutiger einzuordnen. Diese ist in der Sekundarstufe I an die Vorbereitung für einen möglichen betrieblichen Ausbildungsweg in der Sekundarstufe II gekoppelt (Beschäftigungslogik). Dabei zeichnet sich die Berufsorientierung in Österreich im Wesentlichen dadurch aus, dass die Programme und Strukturen innerhalb des Berufsbildungssystems verortet sind, also innerhalb von Kooperationen der Akteure wie dem Arbeitsmarktservice, den Berufsinformationszentren sowie Sozialpartnern und Schulen. Damit sind die Aktivitäten zumindest teilweise explizit auf Zugänge innerhalb der betrieblichen Ausbildung ausgerichtet. Jedoch gibt es in Österreich insgesamt auch eine wachsende Anzahl privater sowie kommerzieller Beratungszentren- und Verbände, die im Bereich der Berufsorientierung tätig sind. 

In der Schweiz ist eine ähnliche Struktur erkennbar, betrachtet man die Aufgaben und Handlungsfelder des SDBB, die Zusammenarbeit des Dienstleistungszentrums mit den Verbundpartnern sowie die Rolle der Kantone (kantonale Berufsbildungsämter) und Berufsinformationszentren. 

Während die Verbindungen zwischen Bildungsinstitutionen und der Arbeitswelt in Australien sehr stark auf der Basis der Initiative einzelner Institutionen beruhen, zielen Aktivitäten der Berufsorientierung in der Schweiz und in Österreich in hohem Maße auf die Angebote der beruflichen Erstausbildung ab, die einen starken regulativen und institutionellen Rahmen vorgeben. Während die Aktivitäten in Österreich und in der Schweiz also meist in das etablierte System der Berufsbildung eingebunden sind, ist das Beratungs- und Berufsorientierungsangebot in Australien „unübersichtlicher“ organisiert. Dies hängt vor allem auch damit zusammen, dass ein wesentlicher Teil der Berufsorientierung innerhalb eines Netzwerks aus privaten, öffentlichen und ehrenamtlichen Organisationen angeboten wird. Entsprechend haben sich eigene Verfahren der Qualitätssicherung herausgebildet. 

(Viktor Ulbrich, Philipp Grollmann)

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    Dennoch wird der Berufsunterricht (z. B. über zertifizierte Kurse) auch in der Sekundarstufe I angeboten (Organisation for Economic Co-Operation and Development 2002, S. 6).