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Im Jahr 2018 wurden die BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen zum fünften Mal durchgeführt (Maier u. a. 2018) . Die Basisprojektion der fünften Welle gibt wieder, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt, wenn bisherige Entwicklungen und Zusammenhänge fortbestehen. Davon abweichend sind aber auch andere Entwicklungen denkbar. Diese werden in Form von Szenarien berechnet und können zu den Ergebnissen der Basisprojektion ins Verhältnis gesetzt werden. So zeigt das Szenario Digitalisierte Arbeitswelt311 (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018), wie eine Arbeitswelt aussehen könnte, wenn Branchen mit einem geringen Digitalisierungsgrad vergleichsweise mehr in digitale Technologien investieren. Dabei wurde die Datengrundlage beider Berechnungen den veränderten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst. Es stehen differenzierte Ergebnisse für 141312 Berufsgruppen (nach KldB 2010) zur Verfügung. Um den wachsenden Herausforderungen in Erziehung und Bildung sowie Pflege gerecht zu werden, wurde zudem eine detaillierte Modellierung des Bedarfs an Erzieherinnen und Erziehern und Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen sowie Hochschulen und der Nachfrage nach Pflegekräften vorgenommen (Bünemann u. a. 2016; Stöver u. a. 2015). Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse beider Projektionen dargestellt und auf wesentliche Unterschiede eingegangen, um den Einfluss der Digitalisierung auf zukünftige Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu verdeutlichen.

BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen

Die BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen (QuBe-Projekt) sind in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) entstanden und zeigen anhand von Modellrechnungen, wie sich Angebot und Nachfrage nach Qualifikationen und Berufen langfristig entwickeln können. Für eine umfassende Projektdarstellung siehe https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/publication/download/9376/1.

Mit dem QuBe-Projekt wird in der Basisprojektion ein empiriebasiertes Konzept verfolgt: Es werden nur bislang nachweisbare Verhaltensweisen in die Zukunft projiziert. In der Vergangenheit nicht feststellbare Verhaltensänderungen sind somit nicht Teil der Basisprojektion. Dies gilt auch für die modellierten Marktanpassungsmechanismen. 

Weitere Informationen unter www.qube-projekt.de; Ergebnisse finden sich unter www.qube-data.de.

Szenario Digitalisierte Arbeitswelt

Mit der fünften Projektionswelle wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Szenario Digitalisierte Arbeitswelt erstellt (Wolter u. a. 2018), welches die Auswirkungen der vollständigen Digitalisierung der deutschen Wirtschaft auf den Arbeitsmarkt untersucht. Im Szenario wird bewusst von der empiriebasierten Vorgehensweise der Basisprojektion (vgl. Erläuterung zu BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen) abgewichen und angenommen, dass zusätzliche Anstrengungen bzw. Investitionen notwendig sind, damit Deutschland bei der Digitalisierung der Wirtschaft weltweit eine Vorreiterrolle übernehmen bzw. behaupten kann.

In einer 7-stufigen Szenario-Analyse werden die Auswirkungen von erhöhten Investitionen in Ausrüstungen (1), der Bau für ein schnelles Internet (2), die veränderten Kosten- und Gewinnstrukturen der Unternehmen (3), eine veränderte Nachfragestruktur nach Berufen und Qualifikationen (4), eine möglicherweise steigende Nachfrage nach Gütern (5), eine gestiegene Nutzung des Onlinehandels (6) sowie der Ausbau der digitalen Verwaltung (7) analysiert. Die kumulativen Effekte der 7 Teil-Szenarien werden mit den Ergebnissen der Basisprojektion als Referenzszenario, das keinen fortgeschrittenen Entwicklungspfad zur Digitalisierung enthält, verglichen. Hierdurch werden mögliche Effekte der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt ersichtlich.

Beiden Projektionen liegt die QuBe-Bevölkerungsprojektion zugrunde (vgl. Maier u. a. 2018), die die Grundlage für das auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Arbeitskräfteangebot bildet. Aus Schaubild C2-1 wird deutlich, dass der Bevölkerungshöchststand – anders als lange vermutet – erst in der Zukunft erreicht wird. So wächst die Bevölkerung in Deutschland noch bis 2027 auf 84,4 Mio. Personen an und fällt dann bis zum Jahr 2035 auf 84,0 Mio. Personen ab. Die Gründe für den weiteren Bevölkerungsanstieg liegen in der Zuwanderung der vergangenen Jahre, gestiegenen Geburtenraten und der höheren Lebenserwartung.

Der Anstieg der Bevölkerung beeinflusst die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen. Ausgehend von 44,9 Mio. Personen im Jahr 2015 erreichen diese 2024 mit 46,8 Mio. Personen ihren Höhepunkt und fallen anschließend bis 2035 auf 45,5 Mio. Personen ab. Auch wenn ab 2025 wieder ein Rückgang der Erwerbspersonen zu verzeichnen ist, wird damit – im Kontrast zu früheren Projektionen – ein höheres Arbeitskräfteangebot am Projektionssende projiziert als im Ausgangsjahr.

QuBe-Bevölkerungsprojektion

Die QuBe-Bevölkerungsprojektion basiert auf der Bevölkerungsprojektion des vom IAB entwickelten integrierten Arbeitskräfteangebots- und Bevölkerungsmodells. Spezifika des Modells sind, dass es zum einen zwischen Deutschen und Nichtdeutschen unterscheidet und zum anderen die einzelnen Komponenten (Geburtenziffern, Überlebenswahrscheinlichkeiten, Zu- und Abwanderungen sowie Einbürgerungen) mit zeitreihenanalytischen Methoden schätzt und für die Zukunft fortschreibt. Die Modellierung der einzelnen Komponenten wird im Folgenden kurz beschrieben (für eine ausführliche Beschreibung des IAB-Modells siehe Fuchs u. a. 2016):

Die altersspezifischen Geburtenziffern (15 bis 49 Jahre) werden getrennt nach deutschen und nicht deutschen Frauen mithilfe einer Hauptkomponentenanalyse bestimmt. Danach sinkt die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR=total fertility rate) der nicht deutschen Frauen vom derzeitigen (hohen) Niveau von fast 2 Kindern pro Frau 2015 auf 1,9 im Jahr 2035. Bei den deutschen Frauen kommt es dagegen zu einem Anstieg von 1,4 Kindern im Jahr 2015 auf fast 1,6 im Jahr 2035. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Geburtenrate der ohnehin geburtenstärksten Altersgruppe zwischen 30 und 35 Jahren – wie auch schon in der jüngeren Vergangenheit – zunimmt. Außerdem steigt die Rate in den oberen Altersgruppen (zwischen 36 und 49) deutlich. 

Überlebenswahrscheinlichkeiten werden ebenfalls nach Einzelalter (hier von 0 bis 90 Jahre und älter), getrennt nach Männern und Frauen, mit der Hauptkomponentenanalyse geschätzt. Für die Lebenserwartung von Neugeborenen ergibt sich im Modell für Jungen ein Anstieg von 78,2 Jahren (Ist-Wert aus der Sterbetafel 2013/2015) auf 82,2 Jahre und für Mädchen von 83,1 Jahren auf 86,2 Jahre. 

Im Gegensatz zum IAB-Modell wird in der QuBe-Bevölkerungsprojektion die Zuwanderung nicht über Hauptkomponenten geschätzt, sondern über das Modell TINFORGE (Wolter u. a. 2014) bestimmt. Dabei wird für jedes Herkunftsland der Zuwandernden entschieden, ob die Auswanderung aus dem Herkunftsland durch die demografische, sozioökonomische oder politische Situation vor Ort mit bedingt ist (Gorodetski/Mönnig/Wolter 2016). In der aktuellen Fassung des Zuwanderungsmodells wurde als vierter Grund die Auswanderung aufgrund akuter Krisensituationen wie Krieg oder Vertreibung hinzugefügt.

Die Auswanderung nach Deutschland

  • ist allein durch die demografische Entwicklung in den Herkunftsländern getrieben. D. h., je größer der Anteil der jüngeren Bevölkerungsklassen in den Herkunftsländern ist, desto stärker ist die Mobilitätsneigung in diesen Ländern;
  • erfolgt aufgrund der sozioökonomischen Situation vor Ort. Gut ersichtlich ist dies beispielsweise anhand der südeuropäischen Staaten im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Hier wird angenommen, dass sich diese Zuzüge langfristig wieder dem Durchschnitt annähern;
  • erfolgt aufgrund der unsicheren politischen und gesellschaftlichen Situation im Herkunftsland, die beispielhaft durch den Fragile-States-Index geschätzt werden kann. Aber auch der politisch motivierte Abbau von Handelshemmnissen, z. B. durch Freihandelsabkommen, kann die Mobilität zwischen Deutschland und den Partnerstaaten erhöhen. In diesen Fällen wird der bisher beobachtbare Trend der Auswanderungsneigung nach Deutschland fortgeschrieben;
  • erfolgt aufgrund akuter Krisen wie Krieg oder Vertreibung und meist sprunghaft, wie sie z. B. in der Folge des „Arabischen Frühlings“ zu beobachten war. Hier stellt sich die (oft politische) Frage, wie lange der Krisenfall andauert und wann die Auswandererquoten auf das Vorkrisenniveau zurückgeführt werden können. Eine zeitverzögerte Rückführung der Quoten erfolgt dann, wenn die Länder als sichere Herkunftsländer deklariert wurden. Aufgrund der derzeitigen politischen Lage wird aber auch ein Rückgang des Zuzugs aus Syrien angenommen.

Die alters- und geschlechtsspezifischen Fortzugsquoten (0 bis 90 Jahre und älter), getrennt nach Deutschen und Ausländerinnen/Ausländern, werden mit dem IAB-Modell aus den Fortzügen der Wanderungsstatistik und der Bevölkerungsfortschreibung des Statistischen Bundesamts mittels Hauptkomponentenanalyse ermittelt und fortgeschrieben.

Schaubild C2-1: Bevölkerungsentwicklung 1996 bis 2035

  • 311

    Das Szenario „digitalisierte Arbeitswelt“ baut auf dem Szenario „Wirtschaft 4.0“ (Wolter u. a. 2018) auf und erweitert es um die Bereiche E-Governance und einen stärker steigenden Onlinehandel.

  • 312

    Die Klassifikation der Berufe (KldB) 2010 umfasst insgesamt 144 Berufsgruppen. Die Angehörigen der regulären Streitkräfte werden jedoch in den Projektionsergebnissen nicht nach Rang unterschieden, sodass nur 141 Berufsgruppen ausgewiesen werden.