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Der bewusste Umgang mit Daten, zum Beispiel bei Dokumentationen oder Analysen in Verbindung mit zunehmend leistungsstarken Assistenzsystemen, kristallisiert sich mittlerweile zu einem unverzichtbaren Kompetenzmerkmal der betrieblichen Facharbeit heraus. Dies gilt in gleichem Maße für die Gestaltung betrieblicher Ausbildungsprozesse, die ohne eine reflektierte, ergebnisorientierte Nutzung digitaler Medien nicht mehr zukunftsfähig ist. Die gemeinsame BMBF-/BIBB-Initiative „Berufsbildung 4.0“ hat zu diesem Aspekt der digitalen Transformation Grundlagenforschung betrieben, indem u. a. ein für die berufliche Bildung zu nutzender Definitionsvorschlag beruflicher Medien- und IT-Kompetenz erarbeitet wurde. Weiterhin ist in einem parallel durchgeführten BIBB-Forschungsprojekt für die Zielgruppe des betrieblichen Ausbildungspersonals ein Modell medienpädagogischer Kompetenz entwickelt worden, mit dessen Hilfe das für die Vermittlung beruflicher Medien- und IT-Kompetenz notwendige berufspädagogische Wissen erworben werden kann.

Angesichts des von vielfältigen Aufgaben geprägten Ausbildungsalltags in den Betrieben zeigen alle bisher gemachten Erfahrungen, dass die externe Bereitstellung von Informationen und innovativen Konzepten durchaus registriert wird, dies in der Regel jedoch an vielen Orten noch weitgehend ohne Wirkung bleibt. Der mit der Nutzung neuer Konzepte und Weiterbildungsangeboten verbundene zusätzliche Aufwand erscheint angesichts des Tagesgeschäfts mit seinen Verpflichtungen vielfach zu hoch.

Vor dem Hintergrund der beispielhaft angeführten generellen Restriktionen entwirft das BIBB zurzeit in Kooperation mit dem BMBF einen Lehrgang für die bundesweite Umsetzung, um das Ausbildungspersonal mit dem Einsatz digitaler Medien vertraut zu machen und sie davon zu überzeugen, dass diese Hilfsmittel ihnen die Arbeit erleichtern. Dieser rund 16 bis 18 Stunden umfassende Lehrgang wird noch in diesem Jahr an den Start gehen und zunächst mit einigen Handwerks- wie auch Industrie- und Handelskammern erprobt. Die Qualifizierung soll als ein Mix aus Präsenz- und Online-Phasen, und damit möglichst organisationsfreundlich, angeboten werden. Wichtig für den Erfolg der Maßnahme wird sein, dass die Leitung der Häuser dahintersteht und dem Ausbildungs-, Lehr- und Prüfungspersonal entsprechende Freiräume schafft. 

Ausbilderinnen und Ausbilder werden durch insgesamt 7 Themenbausteine in die Lage versetzt, aufgrund des im Rahmen des Seminars erworbenen Know-hows den durch Digitalisierung initiierten Wandel in der betrieblichen Ausbildung zu gestalten – selbstständig und fortlaufend auf die jeweiligen betrieblichen Leistungsmerkmale abgestimmt. Parallel zu der aus mehreren Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern bestehenden Pilotgruppe erfolgt die Dokumentation und Information der Ausbildercommunity über die Durchführung der Weiterbildungsinitiative auf einer eigens konfigurierten App des BIBB-Portals für Ausbilderinnen und Ausbilder unter www.foraus.de

Als wichtiges Teilergebnis kann festgehalten werden, dass die Adaption der erzielten Forschungs- und Arbeitsergebnisse hin zu einem konkreten Seminarangebot einen bedeutenden Schritt zur Weiterbildung des Ausbildungspersonals darstellt. Im Zusammenhang mit den Anforderungen, die sich angesichts der Digitalisierung der Berufs- und Arbeitswelt an die Gestaltung der Ausbildungspraxis stellen, erhält das Ausbildungspersonal im Zuge dieser Initiative das dafür notwendige Werkzeug. Die geplante Evaluation soll perspektivisch die Basis für die Konzeption einer staatlich anerkannten Zusatzqualifikation „Medien- und IT-Kompetenz“ bilden (vgl. Kapitel C5).

Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt, die demografische Entwicklung sowie Zuwanderung und eine wieder steigende Geburtenrate werden zudem die Nachfrage nach spezifischen Berufen in Deutschland verändern. So wird demografisch bedingt die Nachfrage sowohl nach Erziehungs- als auch nach Pflegeberufen ansteigen. Gerade hier wird der Fachkräftebedarf auf längere Sicht hin nicht gedeckt werden können. Denn diese Berufe leiden unter einem Attraktivitätsmangel, der den notwendigen Anstieg in der Beschäftigung bislang verhindert. Gleiches gilt für Berufe im Handwerk sowie technische Ausbildungsberufe. Hier werden die Schwierigkeiten der Unternehmen bei der Fachkräfterekrutierung zunehmen. Ursache hierfür ist neben der Demografie vor allem auch das geänderte Bildungsverhalten. Technikaffine Jugendliche wählen eher einen akademischen Bildungsweg als eine berufliche Ausbildung.

Das BIBB geht in seinen Berufs- und Qualifikationsprojektionen momentan davon aus, dass die Digitalisierung den Arbeitsmarkt positiv beeinflussen wird (vgl. Kapitel C2). Eine „Wirtschaft 4.0“ wird den Strukturwandel hin zu mehr Dienstleistungen beschleunigen. Es wird weniger Beschäftigte geben z. B. bei Land- und Forstwirtschaft, produzierendem und verarbeitendem Gewerbe sowie öffentlicher Verwaltung. Der Dienstleistungssektor – vor allem die Branchen „Erziehung und Unterricht“, „Gesundheitswesen“, „Heime und Sozialwesen“ sowie „Häusliche Dienste“ – wird dagegen profitieren. Hierdurch werden die demografischen Entwicklungen und die Folgen des geänderten Bildungsverhaltens abgemildert, z. B. im Produktionsbereich, und an anderer Stelle verstärkt, wie etwa bei Erziehung, Pädagogik und Pflege.

Durch die Digitalisierung wird es also nicht zu einer großflächigen Vernichtung von Arbeitsplätzen kommen, jedoch sind erhebliche Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt unausweichlich. Grundsätzlich wird zwar die Zahl der akademisch Qualifizierten zu- und die der beruflich und gering Qualifizierten abnehmen. Allerdings wird dies nur zu einem kleinen Teil zu Lasten der beruflich Qualifizierten geschehen. Erhöhte kognitive Anforderungen werden dafür sorgen, dass Bildung in allen Lebensabschnitten noch bedeutender wird.

Die durch die Digitalisierung bedingten typischen Folgen für die Facharbeit sind veränderte Prozessabläufe und teilweise substituierte Technologien, z. B. durch den 3D-Druck. Die Qualifikationsanforderungen in den Berufsbildern wandeln sich – grundlegende IT-Kompetenzen werden Standard. Hybride Qualifikationsvarianten entstehen: Neben IT-Kernberufen kommt es zu immer mehr IT-Mischberufen.

Zudem werden sich all diese Entwicklungen auch regional sehr unterschiedlich darstellen. Die Veränderungen werden nicht nur mehr berufliche, sondern auch mehr räumliche Mobilität mit sich bringen. Und sie werden nicht zeitgleich und im gleichem Ausmaß auftreten, sondern sie sind abhängig von der betrieblichen Einzelsituation.

Für die berufliche Bildung lassen sich daraus 3 zentrale Fragen ableiten. Erstens: Führt dieser Beschäftigungszuwachs auch zu Erwerbstätigkeit, die ein Auskommen sichert? Zweitens: Ist die Berufsausbildung für dieses Anwachsen angemessen aufgestellt? Und drittens: Wie kann sich die Berufsausbildung den sich verändernden Anforderungen annähern?

  • Diese Fragen legen folgende Schlüsse nahe:
  • Der Stellenwert einzelner fachlicher Kompetenzen ist in der Ausbildung zu prüfen und neu zu gewichten.
  • Das Systemverständnis verlangt eine konzeptionelle Wende in der Ausbildung – vom induktiven zum deduktiven Ansatz.
  • Personale und soziale Kompetenzen, z. B. Arbeiten in interdisziplinären Teams, sind in der Aus- und Weiterbildung stärker zu berücksichtigen,

womit Schlussfolgerungen des im Rahmen der gemeinsamen BMBF-/BIBB-Initiative durchgeführten Berufescreenings hergestellt sind. Am Beispiel von 14 anerkannten dualen Ausbildungsberufen verschiedener Branchen und Wirtschaftszweige wurden vom BIBB die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Tätigkeitsstrukturen am Arbeitsplatz, auf die Qualifikationsanforderungen von Fachkräften, auf den Fachkräftebedarf und auf die berufliche Bildung untersucht (vgl. Kapitel C4). Wichtigstes Ziel der Untersuchung war es, auf Grundlage der Befunde Handlungsempfehlungen sowohl für die Gestaltung von Aus- und Weiterbildung als auch für die Weiterentwicklung systemischer Rahmenbedingungen vorzulegen und in den bildungspolitischen Diskurs einzubringen.

Das Berufescreening hat verdeutlicht, dass der „digitale“ Durchdringungsprozess in den Ausbildungsberufen unternehmensabhängig ungleichzeitig erfolgt und sich in Tiefe und Rigorosität, auch zwischen den Berufen, durchaus unterscheidet. Durchschnittlich nur jeder Dritte aller befragten Fachkräfte, Ausbilder und Ausbilderinnen sowie Vorgesetzten von Fachkräften und Ausbildungsverantwortlichen in den Betrieben schätzt den Digitalisierungsgrad der Arbeitsplätze der hinterfragten Berufe schon jetzt als hoch ein. Für eine Übergangsphase werden in vielen Fällen deshalb zunächst Änderungen der Ausbildungsordnungen, z. B. durch die Aufnahme von Zusatzqualifikationen und Wahlpflichtbausteinen, empfohlen. 

Erkennbar ist ferner, dass sich mit zunehmender Digitalisierung die Erwartungen an die Kernkompetenzen der Fachkräfte weiter verschieben. Berufliche Fachkompetenz bleibt wichtig. Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien, digitales Arbeiten und IT-Sicherheit werden immer dichter in Arbeitsaufgaben einbezogen. Prozess- und Systemverständnis wird eingefordert, genauso auch das selbstständige und kontinuierliche Lernen können, Flexibilität, Problemlösefähigkeit sowie Kommunikationsfähigkeit.

Die Ausbildung sollte deshalb regional und durch eine verbesserte Lernortkooperation regelmäßiger auf den Prüfstand gestellt und weiterentwickelt werden. Dafür werden sowohl ein verändertes Rollenverständnis der Akteure auf der Steuerungsebene und verbesserte Rahmenbedingungen notwendig als auch veränderte Anforderungen an das Ausbildungspersonal wirksam. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für Pilotprojekte, von denen wichtige Impulse für die Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems kommen sollten.

Die Digitalisierung wird weiter voranschreiten, Arbeitsplätze werden immer häufiger und vollständiger davon betroffen sein. Anwendungen der künstlichen Intelligenz bringen eine neue Qualität der Digitalisierung in die Arbeitsumgebungen. Im Rahmen der BMBF-/BIBB-Initiative konnte beispielsweise die Diffusion der Digitalisierung in die Arbeit der Fachkräfte für Lagerlogistik (vgl. Kapitel C4.3), der Landwirte (vgl. Kapitel C4.6) und der Orthopädietechnikmechaniker/-innen beobachtet und beschrieben werden.

Was bedeutet all dies für künftige Kompetenzanforderungen? Wo werden die Schwerpunkte beruflicher Handlungsfähigkeit liegen? Wie kann die berufliche Aus- und Weiterbildung dafür angemessene Qualifizierungswege eröffnen? Wie können Entscheider/-innen unterstützt und Bildungsmaßnahmen angemessen gestaltet werden? Um Antworten auf diese vielschichtigen Fragen zu finden, ist künftig ein systematisches, dauerhaftes Monitoring der Ausbildungsberufe, gestaltet als partizipativer Prozess in der Ordnungsarbeit, erforderlich. 

Neben den Veränderungen auf der Ebene der betrieblichen Ausbildungsgestaltung wirkt sich die Digitalisierung und die damit einhergehenden künftigen Kompetenzanforderungen auch auf das Prüfungswesen aus. Dabei stellt sich die Frage, wie digitale Prüfungen ausgestaltet werden können und wie sich die Strukturen im Prüfungswesen oder die Qualifizierung des Prüfungspersonals verändern müssen, um den Anforderungen des digitalen Wandels Rechnung zu tragen.

Mittelfristig wird eine grundsätzliche Neubestimmung vieler Ausbildungsprofile unumgänglich sein. Dabei stellt sich unter anderem die Frage, wie geeignete Karrierewege im dualen System gestaltet werden können. Systemisch gilt es näher zu untersuchen, wie Ausbildung und Fortbildung stärker miteinander verzahnt werden können, nicht zuletzt auch durch wechselseitige Anerkennungen mit dem Hochschulsystem.

Zudem muss insbesondere das Handwerk mit seinen vielen Klein- und Kleinstbetrieben in die Lage versetzt werden, das hohe Tempo des Strukturwandels mitzugehen. Von daher war es klug und weitsichtig, in den Regionen überbetriebliche Berufsbildungsstätten (ÜBS) einzurichten. Mit Mitteln des BMBF stattet das BIBB zurzeit diese Bildungszentren mit den neuesten digitalen Technologien aus, die bei der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung zum Einsatz kommen (vgl. Kapitel C6.1). Durch ihre Auszubildenden bleiben die Betriebe damit auf Tuchfühlung mit den neuesten technologischen Entwicklungen und können entdecken, wie viel handwerkliche und wirtschaftliche Substanz darin für sie selbst steckt. Die Frage jedoch ist: Müssen diese Inhalte „on top“ vermittelt werden, womit die Auszubildenden weitere Zeit im Betrieb fehlen, oder gegen andere Inhalte bislang praktizierter Unterweisung ausgetauscht werden? Natürlich ist darauf zu achten, dass die schulischen und praktischen Anteile ausgewogen bleiben. Das Lernen im Arbeitsprozess ist und bleibt ja die Kernidee der dualen Ausbildung. Andererseits müssen die Betriebe aber auch erkennen, dass viel Substanz und Wert in diesen Angeboten stecken. Diese Einschätzung vertritt auch das BMBF, das die Digitalisierung der ÜBS maßgeblich über ein insbesondere für das Handwerk gewinnbringendes Sonderprogramm fördert.

(Friedrich Hubert Esser)