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Das folgende Kapitel befasst sich mit Analysen ausgewählter berufsstruktureller Entwicklungen innerhalb der dualen Berufsausbildung nach BBiG und HwO, wie sie im Rahmen von Dauerbeobachtungen des BIBB auf Basis der Berufsbildungsstatistik (Erhebung zum 31. Dezember) (Kapitel A5.1) durchgeführt werden. Derartige Analysen sind für die Entwicklungsperspektiven des dualen Systems von Interesse (vgl. Uhly/Troltsch 2009) und ermöglichen eine Abschätzung von Chancen für unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen.

Folgende Berufsgruppierungen stehen im Fokus der Beobachtung: Produktions- und Dienstleistungsberufe, MINT-Berufe, IT-Berufe, zweijährige Ausbildungsberufe und Berufe nach Ausbildungsregelungen für Menschen mit Behinderung. Die Berufsbildungsstatistik eignet sich besonders gut für die Betrachtung langfristiger Entwicklungen. Überdies werden Merkmale wie bspw. die allgemeinbildenden Schulabschlüsse der Auszubildenden erfasst, die mit den Daten zur Berufsstruktur verknüpft werden können. Als Basis werden für dieses Kapitel die neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge (Erläuterung in Kapitel A5.3) und nicht die Bestandszahlen genutzt, da die Berufe je nach Ausbildungsdauer unterschiedlich stark vertreten sind (zweijährige Ausbildungsberufe sind i. d. R. unterrepräsentiert, dreieinhalbjährige eher überrepräsentiert). Außerdem haben die Neuabschlusszahlen den Vorteil, dass hiermit aktuelle Entwicklungen deutlicher nachgezeichnet werden können als mit den Bestandszahlen.

Aufgrund einer Umstellung der Systematik für die Zuordnung der Berufe zum Produktionsbereich sowie zum primären und sekundären Dienstleistungsbereich zum Berichtsjahr 2015 musste seit dem Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2017 ein Bruch in den Zeitreihen in Kauf genommen werden. Die Übersichten zur Entwicklung der Produktions- und Dienstleistungsberufe der Ausgaben des BIBB-Datenreports vor 2017 sind deshalb nicht mit den aktuellen vergleichbar.

Produktions- und Dienstleistungsberufe

Mit dem Berichtsjahr 2012 wurden in der Berufsbildungsstatistik die (erweiterten) Berufskennziffern nach der Klassifikation der Berufe 2010 der BA (KldB 2010) übernommen, die die bis dahin verwendete KldB 1992 ablösten; zu Details siehe Erläuterungskasten im BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.4.

Für folgende Analysen wurde eine Gliederung nach Produktions- und Dienstleistungsberufen verwendet, die zum einen auf der KldB 2010 und zum anderen auf Angaben zu den Tätigkeitsschwerpunkten des Mikrozensus 2011 basiert. Die Zuordnung der 5-Steller der KldB 2010 zu den jeweiligen Berufssektoren (Produktionsberufe/primäre Dienstleistungsberufe/sekundäre Dienstleistungsberufe) erfolgte nach Tiemann u. a. 2008 (vgl. auch Hall 2007). Im Rahmen des Mikrozensus 2011 sollten die Befragten aus einer Liste von 20 Tätigkeiten diejenige nennen, die für ihre alltägliche Arbeit die größte Bedeutung hat. Die Anteile der Tätigkeiten wurden gemäß ihrer Zugehörigkeit zum jeweiligen Sektor aufsummiert. Nach diesem Prozedere konnten die einzelnen Berufe jeweils einem Berufssektor zugewiesen werden. Im Unterschied zu Tiemann u. a. 2008 wurden die einzelnen Ausbildungsberufe direkt gemäß der genannten Tätigkeitsschwerpunkte als Produktions-, primärer oder sekundärer Dienstleistungsberuf eingestuft. Allerdings wurden die Berufe nicht wie bei Tiemann u. a. zunächst zu Berufsfeldern bzw. Berufshauptfeldern zusammengefasst (die dann zu den Berufssektoren bzw. Berufsoberfeldern gruppiert werden). Deshalb weichen die Zuordnungen für folgende Analysen von den Zuordnungen nach Tiemann u. a. teilweise ab.

Ausführliche Informationen zum Vorgehen sowie eine vollständige Liste der Produktions- und Dienstleistungsberufe finden sich unter https://www.bibb.de/dokumente/xls/dazubi_berufsliste-p-dl_2019.xlsx.

Primäre Dienstleistungen stellen nach Klauder in Abgrenzung zu den Produktionstätigkeiten „im Schwerpunkt eine ‚Verlängerung‘ des Produktionsweges nach vorne und hinten dar, halten den gesamtwirtschaftlichen ‚Produktionsfluß‘ aufrecht und gehen schließlich direkt in den Konsum ein“ (Klauder 1990). Unter die primären Dienstleistungsberufe fallen Berufe mit z. B. folgenden Tätigkeitsschwerpunkten: Handels- und Bürotätigkeiten sowie allgemeine Dienste wie Bewirten, Lagern, Transportieren, Reinigen und Sichern.

Als sekundäre Dienstleistungstätigkeiten werden Tätigkeiten zusammengefasst, die „in der Regel physisch nicht greifbar sind und somit immaterielle Güter darstellen, die vorwiegend geistig erbracht werden. Sie werden auch als Kopf- oder Wissensarbeit bezeichnet und dadurch charakterisiert, dass sie die industrielle Produktion qualitativ über die vermehrte Förderung und Nutzung des menschlichen Geistes, des ‚Humankapitals‘, verbessern“ (Klauder 1990; vgl. dazu auch Hall 2007). Es handelt sich um Berufe mit z. B. folgenden Tätigkeitsschwerpunkten: Messen, Prüfen, Forschen, Gestalten, Gesetze anwenden, Beraten sowie Pflegen und Behandeln.

Tertiarisierung der dualen Berufsausbildung

Seit den 1980er-Jahren hat der Dienstleistungssektor in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend die dominierende Rolle im Beschäftigungssystem übernommen (vgl. Walden 2007), was sich auch bei der Entwicklung der Dienstleistungsberufe in der dualen Berufsausbildung zeigt.95 Der Anteil der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge stieg hier seit Mitte der 1990er-Jahre – mit wenigen Ausnahmen – nahezu stetig bis zum Jahr 2010 (65,1%). Seither ist der Anteil wieder rückläufig und lag im Berichtsjahr 2019 bei 62,1% Tabelle A5.4-1. Wobei sich der Trend der vergangenen Jahre fortsetzte und der Rückgang ausschließlich bei den primären Dienstleistungsberufen im dualen System stattfand (2010: 50,3% vs. 2019: 45,0%). Im Gegensatz dazu verzeichneten die sekundären Dienstleistungsberufe in diesem Zeitraum – wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau – Zuwächse (2010: 14,8% vs. 2019: 17,0%).

Tabelle A5.4-1: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge in Produktions- und Dienstleistungsberufen, Bundesgebiet 2009 bis 20191

Betrachtet man die Entwicklung differenziert nach dem Geschlecht der Auszubildenden zeigt sich, dass sowohl die absolute Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit Frauen als auch der Frauenanteil im Dienstleistungssektor im Zeitverlauf deutlich zurückgegangen ist Schaubild A5.4-1. Dies hat zur Folge, dass im Berichtsjahr 2019 die weiblichen Auszubildenden nur noch leicht stärker in den Dienstleistungsberufen vertreten waren als die Männer (Frauenanteil 2019: 54,0%; 2009: 61,8%). Die rückläufige Entwicklung beim Frauenanteil zeigt sich in dem beschriebenen Zeitraum sowohl für die primären als auch für die sekundären Dienstleistungsberufe (vgl. Dionisius/Kroll/Ulrich 2018). Damit haben sich in den vergangenen Jahren bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Bereich der Dienstleistungsberufe die Anteilsverhältnisse deutlich zugunsten der Männer verschoben Schaubild A5.4-2. Bei den Produktionsberufen ist eine vergleichbare Anteilsverschiebung nicht zu erkennen. Der Männeranteil war hier in den letzten Jahren nahezu unverändert hoch (Männeranteil 2009: 92,5% vs. 2019: 92,1%).

Schaubild A5.4-1: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge in Produktions- und Dienstleistungsberufen nach Geschlecht, Bundesgebiet 2009 bis 20191

Schaubild A5.4-2: Anteile der Frauen und Männer in Dienstleistungsberufen, Bundesgebiet 2009 bis 2019 (in %)1

Duale Berufsausbildung in MINT-Berufen

Innerhalb des dualen Systems der Berufsausbildung ist die Bedeutung der MINT-Berufe seit dem Berichtsjahr 2010 stetig gestiegen. Im Berichtsjahr 2019 wurden insgesamt 179.040 neue Ausbildungsverträge in dualen MINT-Berufen abgeschlossen. Damit lag die absolute Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in MINT-Berufen im Jahr 2019 zwar immer noch unter den Zahlen Anfang der 2000er-Jahre, dennoch ist in diesem Zeitraum aufgrund noch stärkerer Rückgänge bei allen neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen insgesamt der Anteil der Neuabschlüsse in MINT-Berufen angestiegen und hat 2019 mit einem Anteilswert von 34,9% erneut einen Höchststand erreicht Tabelle A5.4-2.

Tabelle A5.4-2: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge in MINT-Ausbildungsberufen im dualen System (BBiG/HwO), Bundesgebiet 1993 bis 20191

MINT-Berufe im dualen System (BBiG/HwO)

Im Rahmen der Analysen berufsstruktureller Entwicklungen wurde die BIBB-Berufsgruppierung „Technikberufe“96 aufgegeben. Sie wird (auch rückwirkend) durch die Berufsgruppe der „MINT-Berufe“ gemäß der Abgrenzung der BA ersetzt. Die BA-Abgrenzung setzt an den 5-Stellern der Klassifikation der Berufe 2010 an und schließt auch die dualen Ausbildungsberufe (BBiG bzw. HwO) ein. Die beiden Abgrenzungen (BIBB-Technikberufe und BA-MINT-Berufe) stimmen für die dualen Ausbildungsberufe weitgehend überein. Da das Berufsaggregat der „MINT-Berufe“ seitens der BA für alle Erwerbsberufe und nicht speziell für die dualen Ausbildungsberufe (BBiG/HwO) gebildet wurde, ergeben sich zwar an einigen wenigen Stellen für die dualen Ausbildungsberufe problematische Zuordnungen. Diese werden aber aufgrund des Ziels einer einheitlichen Basis in Kauf genommen. Ziel dieser Umstellung ist es, eine einheitliche Begriffsverwendung für die Datennutzer/-innen sowie eine einheitliche Verwendung von Berufsgruppierungen für Ausbildungs- und Arbeitsmarktanalysen zu schaffen.

Das Berufsaggregat „MINT-Berufe“

Nach der Definition der BA umfasst das Berufsaggregat „MINT-Berufe“ alle Tätigkeiten, „für deren Ausübung ein hoher Anteil an Kenntnissen und Fertigkeiten aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und/oder Technik erforderlich ist. Dabei wird auch das Bauen und Instandhalten technischer Anlagen und Geräte als zentraler Bestandteil einer Tätigkeit zu den MINT-Berufen gezählt, jedoch nicht das bloße Bedienen von Maschinen. Bei der Definition von MINT-Berufen ist der Tätigkeitsinhalt entscheidend, nicht jedoch die Ausübungsform wie z. B. Handwerksberuf oder Industrieberuf. Das Berufsaggregat ‚MINT-Berufe‘ umfasst neben den hochqualifizierten MINT-Berufen auch die sogenannten mittelqualifizierten MINT-Berufe. Das bedeutet, dass neben Experten- und Spezialistentätigkeiten auch Fachkrafttätigkeiten berücksichtigt werden“ (Bundesagentur für Arbeit 2014b, S. 71).

Erläuterungen zum Vorgehen der BA bei der Abgrenzung der MINT-Berufe und eine vollständige MINT-Berufsliste findet sich unter https://www.bibb.de/dokumente/xls/dazubi_berufsliste-mint_2019.xlsx.

Seit Mitte der 2000er-Jahre bis 2016 war der Frauenanteil in den MINT-Berufen – bis auf wenige Ausnahmen – stetig angestiegen (2016: 11,5%). Im Berichtsjahr 2019 lag er mit 11,3% wieder leicht unter dem Höchstwert von 2016. Auch wenn Frauen durchaus Präferenzen für ausgewählte MINT-Berufe haben, ist hier der weit überwiegende Teil männlich dominiert, häufig sogar fast ausschließlich mit Männern besetzt (vgl. Kroll 2017a). Und auch der Anstieg des Frauenanteils bis 2016 ist – insbesondere im Hinblick auf die vielfältigen Fördermaßnahmen der vergangenen Jahre – als eher schwach einzustufen. Hierfür könnten u. a. sowohl individuelle Gründe, z. B. in Form von Berufswahlentscheidungen, als auch betriebliche Gründe im Rahmen von geschlechtsspezifischem Rekrutierungsverhalten eine Rolle spielen (vgl. Beicht/Walden 2014a).

In der Gruppe der MINT-Berufe wurden auch im Jahr 2019 knapp neun von zehn neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen in den technischen Ausbildungsberufen abgeschlossen, der Frauenanteil lag hier bei 10,7% und ist damit annähernd auf Vorjahresniveau (2018: 10,6%). Der vergleichsweise kleine Bereich der Gesundheitstechnik ist der einzige MINT-Bereich, der überwiegend von Frauen besetzt wurde (59,7%). Hierunter fallen bspw. die Berufe Augenoptiker/-in, Hörakustiker/-in oder Zahntechniker/-in. So nehmen junge Frauen auch bei den dualen Ausbildungsberufen im MINT-Bereich geschlechtertypische Nischen ein. Auch in mathematisch und naturwissenschaftlich ausgerichteten Ausbildungsberufen, die hauptsächlich Labortätigkeiten beinhalten (z. B. Biologielaborant/-in, Chemielaborant/-in, Chemikant/-in und Pharmakant/-in), zeigt sich ein überdurchschnittlich hoher Frauenanteil (35,6%). Im Bereich der Informatik hingegen waren Frauen noch seltener vertreten (8,6%) als in den MINT-Berufen insgesamt. Aufgrund der steigenden Bedeutung seit Mitte der 1990er-Jahre wird dieser Bereich im Folgenden mit Hilfe der Berufsfeld-Definitionen des BIBB genauer betrachtet.

IT-Berufe in der Industrie 4.0

In den kommenden Jahren wird die Digitalisierung der Wirtschaft, des Beschäftigungs- und Ausbildungssystems voraussichtlich weiter voranschreiten und an Bedeutung gewinnen. Dies geht – wie bereits in den letzten Jahren – mit einer anwachsenden Nachfrage nach IT-Berufen einher. Analysen haben gezeigt, dass diese zusätzliche Nachfrage zu einem bedeutenden Anteil im verarbeitenden Gewerbe entstehen wird, also nicht ausschließlich in der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche (IKT) selber. Auch wenn der steigende Bedarf vor allem auf die hochqualifizierten Fachkräfte zurückzuführen ist, so wird dies nicht zulasten der mittleren Qualifikationsebene gehen (vgl. Hall u. a. 2016).

Im Hinblick auf die oben genannte Prognose wird im Folgenden die Entwicklung in den dualen IT-Berufen der letzten Jahre genauer betrachtet.

Vor allem aufgrund der seit 1997 neu eingeführten IT-Berufe ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge seither deutlich angestiegen Schaubild A5.4-3. Lag die Zahl der Neuabschlüsse 1996 noch bei 1.665, so hatte sich diese bis zum Berichtsjahr 2001 mit 16.674 Neuabschlüssen bereits verzehnfacht. Zwischen 2001 und 2003 kam es zu deutlichen Einbrüchen, die auch mit der sogenannten „Dotcom-Blase“ in Zusammenhang stehen dürften. Der Börsenkrach könnte möglicherweise dazu geführt haben, dass das Vertrauen vieler Anleger in IT-Unternehmen nachhaltig erschüttert wurde und es über Jahre in der IT-Branche zu einem massiven Stellenabbau kam. Im Jahr 2003 (11.706) wurden hier rund 30% weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als noch zwei Jahre zuvor. Die folgenden Jahre hat sich die Zahl der Neuabschlüsse stabilisiert und erreichte 2019 mit 18.954 den höchsten Stand seit Anfang der 1990er-Jahre.

Ähnlich wie bei den dualen MINT-Berufen sind Frauen auch in den dualen IT-Berufen deutlich unterrepräsentiert. Lag der Frauenanteil Mitte der 1990er-Jahre noch knapp unter 20%, so sank er in der Folgezeit bis zum Jahr 2019 auf 9,0%. Insgesamt scheint es auch bei den IT-Berufen zu einer Reproduktion geschlechtsspezifischer Zugänge und Arbeitsmarktsegmentierungen zu kommen (vgl. Struwe 2004). Und schon allein die geringe Präsenz von Frauen in IT-Berufen dürfte maßgeblich mitverantwortlich für eine den IT-Berufen abgewandte Sozialisation der Frauen sein (vgl. Solga/Pfahl 2009b).

IT-Kernberufe

Mit dem Ziel, eine Vergleichbarkeit zu den Berufsfeldanalysen zu erzielen, wurde zur Abgrenzung der IT-Berufe das Berufsfeld 38 „IT-Kernberufe“ der Berufsfeld-Definitionen des BIBB (Tiemann u. a. 2008) herangezogen. Analysen von Hall u. a. haben gezeigt, dass der überwiegende Teil der Personen in diesem Berufsfeld mit Datenverarbeitung und Softwareentwicklung beschäftigt ist, in einigen Fällen auch mit Beratung, Organisation und Vertrieb von Datenverarbeitungssystemen (vgl. Hall u. a. 2016).

Folgende duale Ausbildungsberufe umfasst das Berufsfeld 38 „IT-Kernberufe“:

  • Fachinformatiker/-in,
  • Informatikkaufmann/-kauffrau,
  • Informations- und Telekommunikationssystem-Kaufmann/-Kauffrau,
  • Mathematisch-technischer Softwareentwickler/Mathematisch-technische Softwareentwicklerin

sowie die Vorgängerberufe:

  • Datenverarbeitungskaufmann/-kauffrau (aufgehoben im Jahr 1997),
  • Mathematisch-technischer Assistent/Mathematisch-technische Assistentin (aufgehoben im Jahr 2007).

Diese Abgrenzung stimmt auch mit der Berufshauptgruppe 43 „Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufe“ der KldB 2010 überein. Die KldB 2010 fasst hier Berufe mit Tätigkeiten in der Informatik, IT-Systemanalyse und -Anwendungsberatung, im Vertrieb von IT-Produkten, in der Koordination, IT-Administration und IT-Organisation sowie in der Softwareentwicklung und Programmierung zusammen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2014).

Bei der Verwendung derartiger Klassifikationen ergeben sich immer auch Grenzfälle. So werden die Berufe IT-System-Elektroniker/-in und Elektroniker/-in für Informations- und Systemtechnik nicht zu den IT-Kernberufen gezählt, sondern zum Berufsfeld 11 „Elektroberufe“. Bei der KldB 2010 zur Berufshauptgruppe 26 „Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe“.

Schaubild A5.4-3: Entwicklung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in den dualen IT-Berufen nach Geschlecht, Bundesgebiet 1993 bis 20191

Die Entwicklung zweijähriger Ausbildungsberufe

Die Anzahl der zweijährigen Ausbildungsberufe wurde seit den 1950er-Jahren durch Aufhebung, Integration oder Umwandlung in dreijährige Berufe deutlich reduziert. Anfang des 21. Jahrhunderts allerdings wurde wieder verstärkt versucht, über zweijährige97 Ausbildungsberufe ein zusätzliches Ausbildungsplatzangebot zu schaffen und damit insbesondere die Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche mit schlechten Startchancen zu verbessern (vgl. Kath 2005; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005). In der bildungspolitischen Debatte wurde allerdings das Potenzial dieser Berufe zur Verbesserung der Chancen von Jugendlichen kontrovers diskutiert (vgl. Kroll 2017b; Uhly/Kroll/Krekel 2011, S. 5f.).

In den staatlich anerkannten Ausbildungsberufen mit einer Ausbildungsdauer von 24 Monaten wurden 2019 insgesamt 42.660 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen (Anteil an allen Neuabschlüssen 2019: 8,4%; 2018: 8,6%). Seit dem Jahr 2010 ist der Anteil der Neuabschlüsse in zweijährigen Ausbildungsberufen rückläufig (2010: 9,6%) Tabelle A5.4-3.98 Noch deutlich höher lag dieser Anteil mit 13,7% in den alten Bundesländern in den 1980er-Jahren. Mit dem Wegfall der sogenannten gestuften Ausbildungen in den Elektroberufen im Jahr 1987 ging ihr Anteil bis Mitte der 1990er-Jahre auf rund 3% zurück.

Tabelle A5.4-3: Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge in zweijährigen Ausbildungsberufen, Anzahl und Anteil an allen Neuabschlüssen, Bundesgebiet, West- und Ostdeutschland 1996 bis 20191, 2

Bei einer regionalen Differenzierung der Anteilswerte zeigt sich, dass in Westdeutschland der Anteil der zweijährigen Ausbildungsberufe mit 8,0% auch im Jahr 2019 weiterhin geringer ausfiel als in Ostdeutschland mit 11,2%. Sowohl in Westdeutschland (2018: 8,2%) als auch in Ostdeutschland (2018: 11,3%) war dieser leicht rückläufig. Ein maßgeblicher Grund für die – insbesondere in Ostdeutschland – deutlich rückläufige Entwicklung in den vergangenen Jahren dürfte sein, dass hier zweijährige Ausbildungsgänge häufig überwiegend öffentlich finanziert (vgl. Uhly/Kroll/Krekel 2011) und in den letzten Jahren weniger dieser Ausbildungsplätze bereitgestellt wurden (vgl. Kroll 2017b). Diese stärkere öffentliche Finanzierung ist historisch gewachsen und sollte dem Aufbau der Wirtschaft in Ostdeutschland nach der Wende dienen (vgl. Granato/Ulrich 2013). Die außerbetrieblichen Ausbildungsplatzprogramme für „marktbenachteiligte“ Jugendliche gehörten seit Beginn der 1990er-Jahre zum Kernstück der Ausbildungsförderung in Ostdeutschland (vgl. Berger u. a. 2007).

Erwähnenswert für die Gruppe der zweijährigen Ausbildungsberufe ist, dass hier mehr als die Hälfte der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge (50,6%) 2019 im Beruf Verkäufer/-in abgeschlossen wurden. Mit deutlichem Abstand folgten die Berufe Fachlagerist/-in (13,9%), Maschinen- und Anlagenführer/-in (10,1%), Fachkraft im Gastgewerbe (5,2%) und Tiefbaufacharbeiter/-in (4,3%).

Mit dem erfolgreichen Abschluss einer zweijährigen Berufsausbildung erwerben die Absolventinnen und Absolventen einen Berufsabschluss in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf. In den meisten der zweijährigen Berufe kann die absolvierte Ausbildung in einem (i. d. R. drei- oder dreieinhalbjährigen) Ausbildungsberuf fortgeführt werden. Auch im Berichtsjahr 2019 befanden sich nahezu alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsvertrag in einem zweijährigen Ausbildungsberuf abgeschlossen haben, in einem Beruf, dessen Ausbildungsordnung die Möglichkeit der Anrechnung der Ausbildung vorsieht.99 Allerdings erfasst die Berufsbildungsstatistik nicht, ob die Ausbildung nach Abschluss der zweijährigen Berufsausbildung auch wirklich fortgeführt wird.

Seit dem Berichtsjahr 2016 wir d das Merkmal Anschlussvertrag im Rahmen der Berufsbildungsstatistik direkt von den zuständigen Stellen gemeldet, bis dahin wurde es berechnet.100 Wenn man die Zahl der gemeldeten Anschlussverträge mit den Absolventinnen und Absolventen einer zweijährigen Ausbildung in Beziehung setzt, erhält man näherungsweise den Anteil derer, die eine zweijährige Ausbildung in einem dualen Ausbildungsberuf fortführen. Für das Berichtsjahr 2019 war dies rund ein Fünftel der Absolventinnen und Absolventen einer zweijährigen Ausbildung.

Analysen zu den Strukturmerkmalen der Auszubildenden in zweijährigen Berufen haben gezeigt, dass hier überwiegend Auszubildende mit niedrigeren Schulabschlüssen, die auch die primäre Zielgruppe darstellen, zu finden sind. Häufig sind dies Jugendliche, denen der Übergang in eine drei- bzw. dreieinhalbjährige Ausbildung nicht ohne Weiteres gelingt und denen der Einstieg ins berufliche Leben über eine zweijährige Ausbildung ermöglicht werden soll. Auf Basis der Berufsbildungsstatistik können keine Schlussfolgerungen gezogen werden, inwieweit zweijährige Berufe zur Verbesserung der Chancen für Jugendliche mit geringeren Bildungsvoraussetzungen auf einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss beitragen. Es konnte allerdings festgestellt werden, dass der Ausbildungserfolg ungünstiger ausfällt als in den übrigen dualen Ausbildungsberufen. Umfassendes Datenmaterial zu zweijährigen Ausbildungsberufen findet man in Uhly/Kroll/Krekel (2011).

Die Entwicklung der Ausbildungsberufe für Menschen mit Behinderung

In den Berufen für Menschen mit Behinderung (§ 66 BBiG und § 42m HwO)  wurden 2019 7.860 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen und damit etwas weniger als ein Jahr zuvor (2018: 7.989). Da insgesamt auch die Zahl der Neuabschlüsse 2019 rückläufig war, lag der Anteil der Neuabschlüsse in Berufen für Menschen mit Behinderung an allen Neuabschlüssen mit 1,5% auf dem Vorjahresniveau. Seit 1993 lag dieser Anteil in Ostdeutschland stets mehr als doppelt so hoch als in Westdeutschland, in einigen Berichtsjahren sogar mehr als dreimal so hoch (so z. B. im Jahr 2002 – Westdeutschland: 1,7% vs. Ostdeutschland: 5,3%). Für 2019 lag der Anteil in Westdeutschland bei 1,3%, für Ostdeutschland bei 3,2% Tabelle A5.4-4.

Duale Ausbildungsberufe für Menschen mit Behinderung

Im Regelfall sollen „behinderte Menschen [...] in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden“ (§ 64 BBiG). Nur wenn aufgrund der Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf nicht infrage kommt, sollen Menschen mit Behinderung nach besonderen Regelungen ausgebildet werden. Bei diesen Ausbildungsberufen handelt es sich um Berufe mit speziellen Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen (§ 66 BBiG bzw. § 42m HwO) (Kapitel A3.3).

Bei den Daten der Berufsbildungsstatistik ist zu beachten, dass kein personenbezogenes Merkmal zur Behinderung erhoben wird. Erfasst wird lediglich, ob es sich bei den jeweiligen Meldungen der Ausbildungsverträge um staatlich anerkannte Ausbildungsberufe (bzw. ehemalige duale Ausbildungsberufe in Erprobung) oder um Ausbildungsgänge gemäß einer Regelung der zuständigen Stellen für Menschen mit Behinderung handelt.

Tabelle A5.4-4: Anteil der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Berufen für Menschen mit Behinderung, Bundesgebiet, West- und Ostdeutschland 1993 bis 2019 (in % der Neuabschlüsse)1, 2

Obwohl die Ausbildungsregelungen der Berufe für Menschen mit Behinderung eigentlich ausschließlich für Menschen mit Behinderung vorgesehen sind, legen sowohl die zwischenzeitliche Bedeutungszunahme dieser Berufe als auch die erheblichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland die Vermutung nahe, dass solche Regelungen auch als Problemlösungsstrategien dienten, um Jugendliche in den vergangenen zeitweise schwierigen Zeiten am Ausbildungsmarkt mit Ausbildungsplätzen zu versorgen. Dieses Vorgehen ist auch schon lange bekannt bei Maßnahmen und Ausnahmeregelungen für Benachteiligte oder Lernbeeinträchtigte (vgl. Ulrich 1998).

Methodisch ist zu beachten, dass die tatsächliche Ausbildungssituation von Menschen mit Behinderung im dualen System auf Basis der Berufsbildungsstatistik nicht abgebildet werden kann. In dieser Erhebung wird kein personenbezogenes Merkmal zu einer vorliegenden Behinderung von Auszubildenden erfasst. Dies bedeutet, dass lediglich berufsbezogene Betrachtungen erfolgen können. Allenfalls kann noch ausgewertet werden, ob für die Ausbildungsverhältnisse im ersten Jahr der Ausbildung eine spezielle Art der Förderung erfolgte. Bei der Einschätzung des Personenkreises der Auszubildenden mit Behinderung ergeben sich folgende Probleme: So decken die Angaben zu Verträgen, die nach Kammerregelungen der zuständigen Stellen für Menschen mit Behinderung abgeschlossen wurden, nicht alle Verträge behinderter Menschen im dualen System ab. Ebenso finden sich Menschen mit Behinderung auch – und dies in nicht geringem Maße – in staatlich anerkannten Ausbildungsberufen. Das BBiG sieht dies sogar als Regelfall vor (§ 64 BBiG). Im Berichtsjahr 2019 wurden 2.277 Ausbildungsverhältnisse in staatlich anerkannten Berufen außerbetrieblich „nach §§ 100 Nr. 3, 235a und 236 SGB III (außerbetriebliche Ausbildung für Menschen mit Behinderung – Reha)“ gefördert Tabelle A5.4-5.

Außerdem ergibt sich bei der Beschreibung der Ausbildungssituation von Menschen mit Behinderung im dualen System noch eine weitere Beschränkung, denn auch die statistischen Angaben zur Art der Förderung sind nicht ausreichend, um den Personenkreis der Menschen mit Behinderung abzubilden. So sind nicht alle Ausbildungsverhältnisse mit Auszubildenden mit Behinderung öffentlich gefördert. Rund ein Drittel der Verträge (32,7%), die nach Kammerregelung der zuständigen Stellen erfolgten, waren 2019 überwiegend betrieblich finanziert. Belastbare Aussagen zur Situation von Auszubildenden mit Behinderung im dualen System können nach derzeitigem Stand nur durch gesonderte Stichprobenerhebungen erzielt werden (vgl. Gericke/Flemming 2013).

(Stephan Kroll)

Tabelle A5.4-5: Staatlich anerkannte Ausbildungsberufe und Ausbildungsregelungen der zuständigen Stellen für Menschen mit Behinderung (§ 66 BBiG/§ 42m HwO) nach Art der Förderung, Berichtsjahr 2019

  • 95

    Zum berufsstrukturellen Wandel in der dualen Berufsausbildung siehe auch Uhly 2007.

  • 96

    Für eine Zeitreihe zu den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen in technischen Ausbildungsberufen bis 2015 siehe BIBB-Datenreport 2017, Kapitel A5.4.

  • 97

    Innerhalb des dualen Systems machen die dreijährigen Ausbildungsberufe den größten Anteil aus. Neben den zweijährigen Ausbildungsberufen bestehen – insbesondere im Bereich der Metall- und Elektroberufe – auch Ausbildungsberufe, deren Ausbildungsordnungen eine Ausbildungsdauer von 42 Monaten vorsehen (dreieinhalbjährige Ausbildungsberufe). Das BIBB hat auch zu den dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufen Sonderanalysen auf Basis verschiedener Statistiken und Erhebungen durchgeführt (vgl. Frank/Walden 2012).

  • 98

    Alle Werte zu den zweijährigen Ausbildungsberufen beziehen sich ausschließlich auf die staatlich anerkannten dualen Ausbildungsberufe und die ehemaligen dualen Ausbildungsberufe in Erprobung; die Berufe nach Ausbildungsregelungen für Menschen mit Behinderung (nach § 66 BBiG bzw. § 42m HwO) sind nicht einbezogen.

  • 99

    Nicht einbezogen sind die dualen Berufe für Menschen mit Behinderung.

  • 100

    Berechnet wurde das Merkmal als Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge in potenziellen Fortführungsberufen mit einer entsprechend kürzeren Vertragsdauer und dem Vorliegen einer vorherigen abgeschlossenen dualen Berufsausbildung der Auszubildenden. Der ermittelte Wert konnte lediglich als Höchstwert betrachtet werden und dabei eine Überschätzung darstellen (vgl. Uhly 2011). Die Meldungen zum Merkmal Anschlussvertrag für das Berichtsjahr 2016 ergaben eine um 1.800 Neuabschlüsse geringere Anzahl von Anschlussverträgen als die bis 2015 angewandte näherungsweise Berechnungsvariante (6.813 Neuabschlüsse wurden als Anschlussverträge gemeldet; die Berechnung ergibt 8.613 Anschlussverträge). Eine Untererfassung kann nicht ausgeschlossen werden. Da die Berechnung der Anschlussvertragszahl auf Basis von Berufsmerkmalen und anderen gemeldeten Merkmalen der Berufsbildungsstatistik aber nicht unproblematisch ist, übernimmt das BIBB dennoch die Meldungen zum Merkmal Anschlussvertrag und führt keine Korrektur durch. Die Meldungen des Merkmals Anschlussvertrag im Rahmen der Berufsbildungsstatistik führen mit der BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zu einer vergleichbaren Anzahl bzw. Anteilen von Neuabschlüssen (https://www.bibb.de/dokumente/pdf/dazubi_berichtsjahre.pdf).