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Entwicklung von Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage

Für das Jahr 2022 wird mit einem Rückgang der Schulabgänger/-innen um rd. 4.600 Personen im Vergleich zu 2021 (-0,6 %) gerechnet. Dieser Rückgang wird bei Schulabgängern/-abgängerinnen ohne (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung zu sehen sein, da die Schulabgänger/-innen mit (Fach-)Hochschulreife nahezu konstant bleiben. Die Konjunkturprognosen führender Wirtschaftsforschungsinstitute zum 07.02.2022 schwankten für das Jahr 2022 zwischen 3,5 % und 4,9 %.34 Die Bundesregierung hat im Januar 2022 noch ein Wachstum von 3,6 % erwartet. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Situation aber verändert. Sowohl der Krieg selbst als auch die Sanktionen der westlichen Länder bremsen die Konjunkturerwartungen und bringen erhebliche Unsicherheiten in der Prognose mit sich. Denn jede Abschätzung muss eine implizite Annahme zur Dauer, Ausmaß und Ergebnis des Krieges beinhalten und dabei ist sowohl eine Befriedung der Situation als auch eine weitere Eskalation möglich.35 Wolter u. a. 2022, wie auch Ademmer u. a. 2022, gehen davon aus, dass der Krieg und die Sanktionen – ohne ein Gas-Embargo – das Wachstum um ca. 2 Prozentpunkte verringern. Im Folgenden gehen wir deshalb von einem Wachstum des preisbereinigten BIP in Höhe von 1,5 % für 2022 aus.36

Unter den geschilderten Rahmenbedingungen steigt das Angebotspotenzial im Vergleich zu 2021 um 0,9 % an. Das Nachfragepotenzial geht hingegen leicht um 0,6 % zurück. Dies entspricht in etwa dem erwarteten Rückgang der Schulabgänger/-innen. In den Jahren 2020 und 2021 konnte auch ein Rückzug der Jugendlichen vom betrieblichen Ausbildungsmarkt beobachtet werden, der sich nicht allein über die Demografie begründen lässt. Für 2022 unterstellt PROSIMA – aufgrund der weiterhin positiven konjunkturellen Lage – dass sich die Jugendlichen nicht weiter vom Ausbildungsmarkt zurückziehen (vgl. Lösch/Maier 2022).

Tabelle A2.2-1 gibt die zentralen Kennzahlen des Ausbildungsstellenmarktes unter den geschilderten Nebenbedingungen zum 30.09.2022 wieder. Das Ausbildungsplatzangebot würde sich um 8.400 angebotene Stellen auf 544.600 Ausbildungsplätze im Jahr 2022 erhöhen. Das Vertrauensintervall der Schätzung liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % zwischen 530.400 und 558.800 Stellen. Die Ausbildungsplatznachfrage steigt sowohl in der alten, als auch in der erweiterten Definition um 17.500 bzw. 10.900 auf 515.200 (alte Definition) bzw. 551.800 (erweiterte Definition) Ausbildungsplatznachfrager/-innen an.37 Die Angebots-Nachfrage-Relation verschlechtert sich in der erweiterten Definition mit dieser Entwicklung aus Sicht der Jugendlichen leicht: 100 Bewerber/-innen werden um rd. 98,7 angebotene Ausbildungsstellen (-0,4 im Vergleich zu 2021) konkurrieren. In der alten Definition geht die Angebots-Nachfrage-Relation von 107,7 im Jahr 2021 um 2,0 auf 105,7 zurück.38

Tabelle A2.2-1: Einschätzung der Ausbildungsmarktentwicklung zum 30.09.2022 (Angaben in Tsd.)

PROSIMA geht für das Jahr 2022 davon aus, dass bei einem höheren Ausbildungsplatzangebot auch mehr Ausbildungsverträge zustande kommen. So kann die Zahl der Neuabschlüsse im Vergleich zu 2021 um 19.500 auf 492.600 im Jahr 2022 ansteigen.39 Würde ein Zusammenfinden von Angebot und Nachfrage in der geschätzten Höhe von 492.600 Ausbildungsverträgen gelingen, so könnte die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen im Vergleich zu 2021 um 11.200 auf 52.000 im Jahr 2022 zurückgehen – und damit in etwa auf dem Niveau von 2019 liegen. Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % zwischen 43.000 und 61.000 unbesetzten Ausbildungsplätzen. Dieser Rückgang ist allerdings mit Vorsicht zu interpretieren. Zwar dürfte mit einer Verbesserung der Kontaktmöglichkeiten im Vergleich zu 2020 und 2021 zu rechnen sein, PROSIMA hat aber keine Informationen über berufs- und regionalspezifische Passungsprobleme. Nimmt man an, dass die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze wie in der jüngsten Vergangenheit weiter ansteigt, z. B. weil die Jugendlichen nicht für die entsprechenden Ausbildungsberufe gewonnen werden können, so wären auch weniger Neuabschlüsse zu erwarten. Denn bei der Schätzung der unbesetzten Ausbildungsstellen zeigt sich ein signifikant negativer Einfluss zu den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen: Werden 1.000 Ausbildungsverträge mehr abgeschlossen, reduziert sich die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen um 910. Anders herum ausgedrückt bedeutet dies aber auch, dass bei einem weiteren Anstieg von Passungs- bzw. Besetzungsproblemen, bei gleichbleibendem Ausbildungsplatzangebot, eine geringere Anzahl an Neuabschlüssen zustande kommt. Würden die unbesetzten Ausbildungsplätze z. B. auf dem Niveau des Vorjahres von 63.200 verharren (statt 52.000), ergäbe sich folglich „nur“ ein Anstieg auf 482.400 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge (statt 492.600). Die institutionell erfasste Ausbildungsplatznachfrage wäre dann auch geringer, weil sie sich aus den gemeldeten unvermittelten Bewerber/-innen ergibt und der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Die Angebots-Nachfrage-Relation würde sich dann zugunsten der Jugendlichen entwickeln, in der Statistik würde das Verhältnis der Ausbildungsplatzangebote zu den Bewerbern/Bewerberinnen anwachsen.

Die Zahl der unversorgten Bewerber/-innen geht bei einem höheren Ausbildungsplatzangebot und mehr neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen zurück. Die Bewerber/-innen mit Alternative reduzieren sich im Vergleich zum Vorjahr um 6.500 Personen auf 36.700 Personen, die Beweber/-innen ohne Alternative gehen um 2.100 auf 22.500 zurück.40 Auch dieser Rückgang ist von Unsicherheiten geprägt. Denn wenn sich Jugendliche mit vermutlich schlechteren Vermittlungschancen vergleichsweise häufiger bei der BA als Ausbildungssuchende registrieren lassen, würde sich dies in einer höheren Anzahl unvermittelter Bewerber/-innen zeigen.

Fazit

Die Ex-Post-Analyse der Prognose für das Ausbildungsjahr 2021 hat gezeigt, dass die Betriebe, Praxen und Verwaltungen wie im BIBB-Datenreport 2021, Kapitel A2.2 prognostiziert mehr Ausbildungsplätze angeboten haben, allerdings haben sich die Jugendlichen stärker vom betrieblichen Ausbildungsmarkt zurückgezogen, als dies demografiebedingt zu erwarten gewesen wäre. Die Anzahl der unvermittelten Bewerber/-innen ging sowohl mit als auch ohne Alternative zurück. Bei den Bewerbern/Bewerberinnen ohne Alternative hatte PROSIMA einen Anstieg vorhergesagt.

Für das Jahr 2022 ist ein weiterer, wenngleich aufgrund des Krieges in der Ukraine gebremster, konjunktureller Aufschwung zu erwarten (Wachstumsannahme des preisbereinigten BIP: 1,5 %), während geringfügig etwas weniger Jugendliche die allgemeinbildenden Schulen verlassen. Die Prognosen von PROSIMA für den 30.09.2022 sehen unter diesen Rahmenbedingungen einen Anstieg des Ausbildungsplatzangebotes um 8.400 Plätze im Vergleich zum 30.09.2021 vor. Würde das BIP-Wachstum um 0,1 Prozentpunkte höher bzw. niedriger liegen, würden entsprechend 600 Plätze mehr bzw. weniger zur Verfügung gestellt. Würde Deutschland oder Russland den Handel mit Gas aussetzen, würden sich die ökonomischen Unsicherheiten vergrößern. Wolter u. a. 2022 gehen in diesem Fall von einem weiteren Wachstumsverlust in Höhe von ca. 2 % aus. In PROSIMA würde sich das Ausbildungsplatzangebot entsprechend um rd. 12.000 Plätze reduzieren und würde damit leicht unter den 536.200 Plätzen des Jahres 2021 liegen.

Bei einem höheren Angebot an Ausbildungsstellen ergeben sich für die Jugendlichen mehr Chancen auf einen Ausbildungplatz. Die Prognose für den 30.09.2022 zeigt, dass ca. 492.600 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge möglich sind. Dies setzt aber auch eine Rückkehr zu den Vermittlungsaktivitäten und -erfolgen vor der Coronapandemie voraus. Sollte die BA nicht wieder stärker in den Vermittlungsprozess eingebunden oder gleichwertig durch andere Vermittlungsstellen ersetzt werden, ist mit einem geringeren Anstieg der neuen Ausbildungsverträge zu rechnen. Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen könnte dann auch über den prognostizierten 52.000 liegen. Ein geringerer Anstieg der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist auch dann zu erwarten, wenn sich die Jugendlichen in ähnlicher Weise von einer betrieblichen Ausbildung abwenden würden wie 2020 oder 2021. Würde das Nachfragepotenzial bspw. um rd. 2,5 % (anstelle von -0,6 %) geringer ausfallen, würde auch der Anstieg der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um rd. 4.800 Verträge geringer ausfallen und läge bei 487.800. Angesichts der in den letzten Jahren ohnehin an Bedeutung gewinnenden Passungsproblematik (Kapitel A1.2) ist es auch bei einem Abklingen der pandemischen Lage unsicher, ob erstens eine Rückkehr zu einer Vermittlungsaktivität wie vor der Coronapandemie möglich ist und zweitens auch zu einer Reduktion der Passungsprobleme führt, wie in PROSIMA vorhergesagt.

Der Krieg in der Ukraine führt auch zu erhöhten Wanderungsbewegungen. Bislang sind es vor allem Frauen und Kinder, die aufgrund des Krieges in Deutschland Schutz suchen. Sollte eine baldige Rückkehr in die Ukraine nicht möglich sein, dann könnte in den kommenden Jahren die Anzahl an Ausbildungsinteressierten leicht zunehmen. Für den 30.09.2022 ist aufgrund der kurzen Integrationszeit jedoch noch nicht mit einer merklichen Anzahl ausbildungsinteressierter Ukrainer/-innen zu rechnen.

Bei mehr Ausbildungsmöglichkeiten erhöht sich auch die institutionell erfasste Ausbildungsplatznachfrage um 10.900 (in der erweiterten Definition) im Vergleich zu 2021. Hier ist aber ebenfalls das Interesse der Jugendlichen an einer betrieblichen Ausbildung entscheidend. Sowohl bei den unversorgten Bewerbern/Bewerberinnen mit und ohne Alternative sagt PROSIMA für 2022 einen Rückgang auf 36.700 bzw. 22.500 voraus. Die Schätzung der unvermittelten Bewerber/-innen ist wie die Schätzung der unbesetzten Stellen jedoch mit Unsicherheiten verbunden, die über die Grenzen der jeweilig ökonometrisch bestimmten Vertrauensintervalle hinausgehen, da sie sehr stark vom Meldeverhalten der Jugendlichen und der Betriebe abhängen. Dieses Meldeverhalten hat in den Krisenjahren 2020 und 2021 stark abgenommen. Es ist zu vermuten, dass strukturelle (aber wenig bekannte) Unterschiede zwischen den Bewerbern/Bewerberinnen und Ausbildungsplätzen bestehen, die über „Gelegenheitsstrukturen“ ohne Einschaltung der BA zusammenfinden und den unvermittelten Bewerberinnen und unbesetzten Ausbildungsstellen, die zum 30.09. bei der BA gezählt werden. Die Einschaltung der BA ist grundsätzlich zu begrüßen, weil die Bekanntgabe von Gesuchen die Auswahlmöglichkeiten und Matchingchancen erhöhen kann. Allerdings geht mit einer höheren Einschaltung der BA auch einher, dass Passungsprobleme institutionell sichtbar werden.

(Tobias Maier)

  • 34

    Siehe „Konjunkturprognosen für Deutschland“ in Tagesschau vom 07.02.2022 unter https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/konjunkturprognose114.html

  • 35

    Die folgenden Abschätzungen beruhen auf den zum 17.03.2022 vorliegenden Erkenntnissen.

  • 36

    Die Wachstumsprognosen gehen von starken Preissteigerungen insbesondere aufgrund von Rohstoffknappheiten, aber auch Lieferengpässen aus. Die spezifischen Wirkungen dieser Preissteigerungen lassen sich in PROSIMA nicht abbilden, weshalb ein etwas pessimistischeres Wachstum angenommen wurde.

  • 37

    Das Vertrauensintervall liegt bei der Ausbildungsplatznachfrage in der erweiterten Definition (inklusive Bewerber/-innen mit Alternative) zwischen 538.200 und 565.400 Bewerber/-innen, das Vertrauensintervall der Ausbildungsplatznachfrage in der alten Definition liegt zwischen 501.800 und 526.800 Bewerber/-innen.

  • 38

    Das Vertrauensintervall liegt bei der Angebots-Nachfrage-Relation in der erweiterten Definition (inklusive Bewerber/-innen mit Alternative) zwischen 96,7 und 100,7 in der alten Definition zwischen 103,7 und 107,7.

  • 39

    Das Vertrauensintervall liegt mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % zwischen 479.200 und 506.000 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen.

  • 40

    Das Vertrauensintervall der unversorgten Bewerber/-innen liegt zwischen 19.700 und 25.300 Personen, das Vertrauensintervall der unversorgten Bewerber/-innen mit Alternative zwischen 32.700 und 40.700 Bewerber/-innen.