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Im Folgenden werden die Ergebnisse der annahmen­gestützten Berechnungen dargestellt. Hierbei ergeben sich 4 Varianten, da die Varianten N1 (bereits anerkannte Geflüchtete) und N2 (75 % der Antragsteller/-innen) jeweils mit I1 (verlangsamte Übergangswahrscheinlichkeiten) und I2 (beschleunigte Übergangswahrscheinlichkeiten) kombiniert werden. Um die Berechnungsschritte zu verdeutlichen, liefert Tabelle C5.7-1 einen exempla­rischen Überblick für Personen im Alter von 18  bis 25  Jahren, deren Asylantrag im Jahr 2016 bewilligt wurde, in der Berechnungsvariante N1I1. Insgesamt werden bei rund 109.500 Personen in dieser Altersklasse Asylanträge bewilligt. Diese teilen sich auf die insgesamt 20 möglichen Bildungswege auf, wobei sich die Bildungswege 1a–10a von den Bildungswegen 1b–10b jeweils nur dadurch unterscheiden, dass den Bildungsgängen 1b–10b jeweils noch ein einjähriger Sprach- und Integrationskurs vorgelagert ist.

Tabelle C5.7-1: Beispielhafte Darstellung der Berechnung erstmaliger und kumulierter Ausbildungsnachfrager/-innen zwischen 18 und 25 Jahren (Variante N1I1)

Schaubild C5.7-1: Entwicklung der erstmaligen Berufsausbildungsnachfrage von Geflüchteten

Nach Abschluss der Kategorie „Berufsorientierung und Ausbildungsvorbereitung“ (grüner Bereich) stehen jeweils 2 Optionen offen. Entweder mündet eine Person in den „sonstigen Verbleib“ ein (gelber Bereich) oder interessiert sich für eine Berufsausbildung (dunkelblauer Bereich). Während der sonstige Verbleib z. B. Interessierte für die Aufnahme einer Beschäftigung oder eines Studiums erfasst, umfasst der Bereich Berufsausbildung Ausbildungsnachfrager/-innen für eine Berufsausbildung nach BBiG/HwO. Die Größe ist somit nicht gleichzusetzen mit der Anzahl der zu erwartenden Neuabschlüsse (vgl. Kapitel A2). Die Zahl der neu mit Geflüchteten abgeschlossenen Ausbildungsverträge dürfte deshalb unterhalb der Anzahl der jährlich neu auf den Markt tretenden Ausbildungsnachfrager/-innen liegen. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass erfolgreiche Ausbildungsnachfrager/-innen sich auch im Folgejahr weiterhin für eine Berufsausbildung interessieren könnten. Als Proxy für die Gesamtmenge an versorgten und unversorgten Ausbildungsnachfrager/-innen wird in den dunkel- und hellblauen Zellen die auf 3 Jahre kumulierte Anzahl an Personen für den Bereich „Berufsausbildung“ gebildet. Das einfache Modell unterstellt, dass keine Wechsel zwischen den Bereichen „Berufsausbildung“ und „sonstiger Verbleib“ stattfinden.

Wir betrachten in unserer Analyse die Summe über Altersklassen im Zeitraum von 2015 (2016) bis 2021. Eine Gegenüberstellung der Varianten mit Blick auf die Verteilung der erstmaligen Ausbildungsnachfrager/-innen liefert Schaubild C5.7-1.

Da die Berechnungen mit der Variante N1 nur Personen berücksichtigt, die in den Jahren 2015 oder 2016 einen positiven Asylbescheid erhalten haben, ist die Nachfrage nach Berufsausbildung in 2015 und 2016 – zumindest in den Varianten N1I1 und N1I2 – verhältnismäßig gering. Ein Großteil der Geflüchteten befindet sich noch in Integrationskursen oder schulischen, berufsorientierenden bzw. ausbildungsvorbereitenden Bildungsangeboten. Ein erster Anstieg der Bildungsnachfrage ist 2016 zu beobachten, wobei 4.900 Geflüchtete (Schaubild C5.7-1) erstmals eine Ausbildung nachfragen. Größtenteils sind dies Personen, die im Jahr 2015 anerkannt wurden. Vergleicht man die in Schaubild C5.7-1 ermittelten Größen mit den im Jahr 2016 tatsächlich bei der BA gemeldeten Bewerberinnen und Bewerbern im Kontext von Fluchtmigration, so ist festzuhalten, dass die Zahl der erstmaligen Nachfrager/-innen in den Varianten N1I1 und N1I2 unter der dort gemeldeten Zahl von knapp 10.300 liegen (vgl. Kapitel C3.1). Dies kann daran liegen, dass bei der BA auch Bewerber/-innen registriert sind, die vor dem Jahr 2015 einen positiven Asylbescheid erhalten haben.

Schaubild C5.7-2: Entwicklung der auf 3 Jahre kumulierten geflüchteten Ausbildungsnachfrager/-innen

Zudem befinden sich unter den bei der BA Gemeldeten auch Personen über 25 Jahre (23 % sind 25 Jahre oder älter; vgl. Kapitel C3.1) und Personen mit Duldung. Die Ergebnisse der Varianten N1I1 und N1I2 sind in diesem Zusammenhang somit als Untergrenze der Ausbildungsnachfrager/-innen zu interpretieren. Als Obergrenze der Modellrechnung kann bis zum Jahr 2018 die Variante N2I2 herangezogen werden. Hier werden rund 75 % der Asylantragsteller/-innen als potenzielle Nachfrager/-innen betrachtet und zudem bei den darunter tatsächlich Ausbildungsinteressierten eine schnellere Nachfrage nach Berufsausbildung unterstellt Tabelle C5.6-4. Für das Jahr 2016 wären hierfür rund 13.500 Personen in Betracht gekommen – alle unter 25  Jahre.

In den Berechnungen mit der Variante I2, welche be­schleunigte Übergangswahrscheinlichkeiten der 18- bis 25-Jährigen unterstellen, steigt die Nachfrage nach Berufsausbildung zunächst stärker an. Insgesamt kommt es in diesen Berechnungsvarianten (N1I2 und N2I2) zu einer weniger pointierten Nachfrage nach Berufsausbildung. Der Unterschied im Maximum beträgt ca. 5.000  Personen im Vergleich zur Variante N1I1 und ca. 7.000 Personen zwischen den Varianten N2I1 und N2I1. In der gemäßigteren Nachfrageintensität (N1I1, N2I1) wird die mengenmäßig stärkste erstmalige Nachfrage im Jahr 2019 auftreten.

Schaubild C5.7-1 gibt die potenziell erstmalig auftretenden Ausbildungsnachfrager/-innen wieder. Es wird von ihren Erfolgswahrscheinlichkeiten in eine duale oder außerbetriebliche Berufsausbildung abhängen, inwieweit sie auch im Folgejahr als Ausbildungsnachfrager/-innen in Erscheinung treten. Unterstellt man bei den erfolgreichen Ausbildungsnachfragenden eine dreijährige Verweildauer in Ausbildung bzw. bei den nicht erfolgreichen eine dreijährig andauernde Nachfrage nach Ausbildung, so kann Schaubild C5.7-2 Aufschluss darüber geben, wie viele Personen potenziell in dualer Ausbildung nach BBiG/HwO akkumuliert in den jeweiligen Jahren versorgt werden müssten. Diese Werte sind aufgrund der vielen weiteren unbekannten Größen als grobe Approximationen zu interpretieren.

Die Anzahl der auf 3 Jahre kumulierten Berufs­aus­bil­dungsnachfrager/-innen erreicht ihren Höhepunkt in 2019 (Variante I2) bzw. 2020 (Variante I1) und bewegt sich zwischen 55.000 (N1I2) und ca. 100.000 Personen. Die große Spannbreite zeigt dabei auch die mit diesem Wert behaftete Unsicherheit.

Fazit

Die Bildungsnachfrage von Geflüchteten wird das Ausbildungssystem vor Herausforderungen stellen. Für die Ausgestaltung unterstützender Maßnahmen bedarf es entsprechender Kenntnisse zur Altersstruktur, Vorbildung, Deutschkenntnissen, dem asylrechtlichen Status und der Bildungsaspiration von Geflüchteten, welche in der notwendigen Detailtiefe derzeit leider nicht vorliegen. Um sich dennoch der möglichen Ausbildungsnachfrage Geflüchteter nach BBiG/HwO anzunähern, wurde in diesem Kapitel eine annahmenbasierte Modellrechnung erstellt. Ausgehend von bislang vorliegenden Daten- und Informationsquellen wurden 4 Varianten berechnet. Je nach Betrachtungsjahr weist eine andere Variante die jeweils höchste oder niedrigste Anzahl an neu in Erscheinung tretenden Geflüchteten aus. Dies liegt zum einen an den Ausgangsgrößen. Hier wurden sowohl die in den Jahren 2015 und 2016 im Alter von unter 25 Jahren anerkannten Schutzbedürftigen (Variante N1) sowie alternativ 75 % der in beiden Jahren als Asylantragsteller/-innen in Erscheinung tretenden Personen unter 25 Jahren berücksichtigt (Variante N2). Zum anderen jedoch vor allem auch an den unterschiedlichen Übergangswahrscheinlichkeiten der Varianten. Basierend auf den Bildungsaspirationen der Geflüchteten in der IAB-BAMF-SOEP-Befragung, in welcher rund 50 % der 18- bis unter 25-jährigen Befragten angaben, eine Berufsausbildung in Deutschland anzustreben,349 wurden mögliche Bildungswege aufgrund zusätzlich vorhandener Informationen plausibilisiert. So wurde für die 18- bis 25-Jährigen eine etwas längere Dauer bis zum Erreichen der für eine Ausbildung notwendigen sprachlichen und schulischen Vorqualifikationen unterstellt (Variante I1). Alternativ wurde angenommen, dass die altersspezifische Nachfrage nach Berufsausbildung mit einer Verzögerung von einem Jahr der Altersstruktur der ausländischen Ausbildungsanfänger/-innen gleicht (Variante I2). Je mehr Personen früher auf den Ausbildungsmarkt treten, desto geringer ist die Anzahl der neu in Erscheinung tretenden Ausbildungsnachfrager/-innen in den späteren Jahren. Aus diesem Grund ist die Nachfrage bei Variante I2 im Vergleich zu Variante I1 in den ersten Jahren höher und in den späteren Jahren geringer. Die Ergebnisse lassen sich differenzieren nach der Zahl der erstmalig auftretenden Ausbildungsnachfrager/-innen und der Zahl derer, die potenziell im Berufsschulsystem akkumuliert in den jeweiligen Jahren versorgt werden müssten. Folgende Schlussfolgerungen lassen sich aus den Berechnungen ableiten:

  • Die Zahl der neu in Erscheinung tretenden Ausbildungsnachfrager/-innen liegt
    • im Jahr 2017 im Bereich zwischen 15.000 und 31.500 Personen,
    • im Jahr 2018 zwischen 18.500 und 33.700 Per­sonen und
    • im Jahr 2019 zwischen 17.900 und 41.500 Per­sonen.
  • Die Anzahl der erstmalig auf den Markt tretenden Ausbildungsnachfrager/-innen ist nicht gleichzusetzen mit den Ausbildungsanfängern. Hier spielen weitaus mehr Faktoren, wie z. B. die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen insgesamt wie auch die angebotenen Ausbildungsstellen, eine Rolle (vgl. Kapitel A2). Personen, die bei erstmaliger Berufsausbildungsnachfrage nicht in eine Ausbildung vermittelt werden können, können auch in den Folgejahren eine Berufsausbildung nachfragen.
  • Die Modellrechnungen geben keinen Aufschluss darüber, in welche Art von Berufsausbildung die Geflüchteten tatsächlich übergehen. In den Berechnungen werden die Ausbildungsnachfrager/-innen als potenzielle Nachfrager/-innen für eine Berufsausbildung nach BBiG/HwO interpretiert, weil hierdurch der überwiegende Teil der geregelten Berufsausbildungen abgedeckt wird. Inwieweit daraus aber tatsächliche Ausbildungsabschlüsse mit Betrieben, außerbetriebliche Ausbildungsformen oder Ausbildungen außerhalb von BBiG/HWO entstehen, wird abhängig sein von den betrieblichen Kapazitäten und von den durch die öffentliche Hand bereitgestellten Alternativen.
  • Die kumulierte Anzahl an Personen im Bereich „Berufsausbildung“ ist ebenfalls lediglich als ungefähre Größe zu interpretieren, die Aufschluss darüber gibt, wie viele Geflüchtete insgesamt in den kommenden Jahren potenziell im Berufsschulsystem versorgt werden müssten. Die Zahl der auf 3 Jahre kumuliert ausbildungsnachfragenden Geflüchteten erreicht 2019 bzw. 2020 ihren Höhepunkt und liegt je nach Variante 2019 zwischen 56.000 und 100.000 Personen und 2020 zwischen 52.700 und 102.000 Personen. Darunter fallen sowohl Geflüchtete, die bereits versorgt sind, weil sie beispielsweise einen Ausbildungsvertrag erhalten haben, als auch Personen, die unversorgt sind, sich aber weiter für eine Berufsausbildung interessieren würden.

(Stefan Winnige, Tobias Maier, Stefanie Steeg)

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    Das Anstreben eines Berufsabschlusses wurde als Interesse an einer dualen Berufsausbildung nach BBiG/HwO gedeutet, da dies die verbreitetste Form der vollqualifizierenden Berufsausbildung in Deutschland ist.