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50 Jahre BIBB - Zeitzeugen erzählen

Prof. Dr. Hermann Schmidt

Von September 1976 bis Juni 1977 war Prof. Dr. Hermann Schmidt Beauftragter der Bundesregierung für das Bundesinstitut für Berufsbildung und von Juli 1977 bis Dezember 1997 Präsident.

Herr Schmidt: Was macht das BIBB für Sie zu etwas Besonderem? (1/2)

Das Besondere, wenn nicht sogar Ungewöhnlichste, ist für mich die einmalige Konstruktion des BIBB bezüglich der Berufsbildungsforschung. Die Entstehungsgeschichte des damaligen Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (BBF) im Gesetzgebungsverfahren des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) ließ lange nichts Gutes erwarten. Die sehr unterschiedlichen Positionen der Sozialpartner zur zukünftigen betrieblichen Berufsbildungsforschung veranlasste die Bundesregierung zu einem ungewöhnlichen Schritt. Sie schlug ein mitgliedschaftlich verfasstes Institut vor, in dem Arbeitgeber, Gewerkschaften und Bundesregierung die Akteure sein sollten. Der private Sektor sollte demnach bei Beschlüssen zur Berufsbildungsforschung in einem staatlichen Institut eine Zweidrittelmehrheit haben. Noch weiter ging man mit der Abschaffung des Grundsatzes „Wer zahlt, schafft an“. Die Bundesregierung werde die Kosten alleine tragen. Ein britischer Arbeitsminister, dem ich dieses Modell bei einem Besuch im BIBB erläuterte, nannte es eine „unprecedented curiosity“, eine Kuriosität, die es im Vereinigten Königreich „never ever“ geben könnte.

"Die Bundesregierung entschied sich aus zwei Gründen für diese in der Tat weltweit einmalige Konstruktion." (2/2)

Zum einen kann der Staat die Bereitschaft der Unternehmen, in die Ausbildung ihres Nachwuchses an qualifizierten Fachleuten zu investieren und dabei die Ergebnisse der Berufsbildungsforschung zu nutzen, nicht durch Gesetze und Anordnungen erzwingen. Arbeitgeber und Gewerkschaften hingegen einzuladen, kostenfrei vom Instrument der Berufsbildungsforschung zur besseren Planung und Durchführung der Berufsbildung Gebrauch zu machen, ist zielführender. Zum zweiten verhindert die gemeinsame Verantwortung der Sozialpartner staatliche Fehlplanungen auf diesem Gebiet und reduziert die Gefahr mangelnder Akzeptanz der Ergebnisse der Berufsbildungsforschung in den Unternehmen. Der Nachteil ist dabei, dass eine Gefahr besteht, die der Zwang zur Einigung bei oft sehr unterschiedlichen Interessen der Sozialpartner mit sich bringt. Wichtige Forschungsfelder, in denen es keine Einigung über Projekte gibt, werden zum Schaden der gesamten Berufsbildung ausgespart. Der Vorsitzende der ersten Evaluierungskommission für das BIBB, Professor Dr. Horst Albach, bezeichnete 1986 diesen Umstand als das „Prisoner`s Dilemma“ des BIBB-Präsidenten, der nur erforschen dürfe, was Arbeitgeber und Gewerkschaften zuließen.

Bundesbildungsminister Rohde (2.v.r.) ernennt Juli 1977 Dr. Hermann Schmidt (links) zum Generalsekretär. V.l.n.r.: Regierungsdirektor Dr. Mayerle, DGB-Vorstand Maria Weber, Rechtsanwalt Brumhardt und Abteilungsleiter Berufliche Bildung Horst Lemke.

Herr Schmidt: Was war die größte Herausforderung Ihrer Amtszeit?

Das war eindeutig die Wiedervereinigung Deutschlands. Zwanzig Jahre lang war unser Forschungs- und Arbeitsfeld Westdeutschland. Ab 1990 befanden wir uns sozusagen im Zentrum des Geschehens mit einer Fülle neuer Aufgaben. Plötzlich waren die bis dahin streng untersagten Kontakte zum Zentralinstitut für Berufsbildung (ZIB) in Ostberlin möglich. Bereits am 4. Januar 1990 präsentierten Professor Helmut Pütz, mein damaliger Stellvertreter, und ich dem Direktor des ZIB, Prof. Wolfgang Rudolph, und einer Personalversammlung die Aufgaben und Arbeitsweisen des BIBB und vereinbarten eine enge Zusammenarbeit. Der danach einsetzende Weg zur Vereinigung war chaotisch und forderte den Einsatz aller Kräfte. Es galt, sowohl die Bundesregierung als auch die neu gewählte Volkskammer und DDR-Regierung mit Daten und Fakten zu beraten, zumal die Volkskammer bereits im Juli 1990 die Übernahme unseres Berufsbildungsgesetzes beschloss. Die Berufsschulen und die in Auflösung befindlichen Ausbildungseinrichtungen der DDR-Kombinate suchten Rat und Informationen über die Einzelheiten unseres Systems, die sie nun umsetzen sollten. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des ZIB, denen unser System wohl bekannt war, haben wir uns diesen Aufgaben gestellt, konnten das Chaos aber nur in begrenztem Maß für die Betroffenen erträglich gestalten. Im Einigungsvertrag wurde die Schließung des ZIB vereinbart. Das BIBB durfte leider nur dreißig von hundertachtzig Wissenschaftlern und Fachpersonal des ZIB übernehmen. Diese Kolleginnen und Kollegen haben in den Folgejahren beim Aufbau der betrieblichen Berufsbildung in den neuen Bundesländern ganz ausgezeichnete Arbeit geleistet und uns vor manchem Fehler bewahrt. Bei den oft grundstürzenden Veränderungen habe ich mich oft gefragt, wie wir diesen totalen Wandel verkraftet hätten und dafür bis heute keine Antwort gefunden. Meine engere Bindung an Brandenburg und die Menschen dort, lag daran, dass meine Frau Spreewälderin war. Wir haben es im BIBB sehr bedauert, dass zwei Qualitäten des DDR-Berufsbildungssystems nicht übernommen wurden: die Facharbeiterausbildung mit Abitur und die zahlreichen Weiterbildungsakademien, die den meisten Kombinaten angeschlossen waren. Alles wurde zu schnell abgewickelt und was zu teuer war oder nicht passte, eben abgeschnitten.

BIBB-Präsident Schmidt 1982 im Gespräch mit Klaus Heimann, IG Metall (rechts im Bild) und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Metall- und Elektroindustrie

Herr Schmidt: Lehrstellenknappheit war ein großes Berufsbildungsthema in Ihrer Amtszeit. Welche Lösungsansätze wurden damals verfolgt?

Die Bildungspolitik des Bundes begann 1969 mit einer Ergänzung des Grundgesetzes. Die erste wichtige Aufgabe des neuen Bildungsministeriums war die Ermittlung des Status quo in der Berufsbildung und die Erarbeitung von Jahrgangsszenarien für die siebziger Jahre. Die Babyboomer von Anfang der sechziger Jahre würden ab 1975 ins duale System drängen. Vierzig- bis fünfzigtausend zusätzliche Nachfrager nach Ausbildungsplätzen waren jährlich zu erwarten. Gleichzeitig meldete die Bundesanstalt für Arbeit einen Rückgang der angebotenen Ausbildungsplätze um mehr als 200.000 auf 450.000. Die Opposition im Bundestag und Vertreter der Wirtschaft machten die qualitätsbezogenen Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes, etwa neue Ausbildungsordnungen und die Qualifizierung der Ausbilder, sowie die geplante Einführung des Berufsgrundschuljahres dafür verantwortlich. Die Kommission zu Kosten und Finanzierung der Ausbildung zur Sicherung eines ausreichenden Platzangebotes empfahl eine betriebliche Umlage zur Finanzierung zusätzlicher Plätze.
Die Bundesregierung beschloss 1974, entsprechend zu handeln. Dies löste die bis dahin härtesten politischen Auseinandersetzungen aus. Das Ausbildungsplatzförderungsgesetz (APLFG) von 1976 brachte die Umlagefinanzierung. Nicht als Dauerregelung, sondern nur als Instrument „für den Fall, dass“. Das Gesetz übertrug dem neuen Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) die lange geplante Liste operativer Aufgaben. Wichtigste aktuelle Aufgabe war die Bereitstellung ausreichender Daten und Fakten für die Bundesregierung, damit sie dem Bundestag im Frühjahr 1977 in einem Berufsbildungsbericht die Lage auf dem Ausbildungsmarkt darstellen und eine Empfehlung für oder gegen eine Umlage in diesem Jahr vorlegen konnte. Die Bundesregierung verzichtete mit Hinweis auf die erheblichen Anstrengungen aller Beteiligten auf die Umlage und das erhoffte Mehrangebot von vierzigtausend Plätzen wurde fast erzielt. Bis zu Beginn der achtziger Jahre wurde das Angebot bis fast siebenhunderttausend Plätze gesteigert, ohne dass die Umlage erhoben wurde.
Das Bundesverfassungsgericht hatte das APLFG 1980 für nichtig erklärt, weil die Länder nicht beteiligt worden waren. Wir standen vor den Richtern in Karlsruhe und waren schockiert, als wir hörten, dass die gesetzliche Grundlage nun wieder das BBiG von 1969 war, d.h. die des BBF. Der neben mir stehende Bildungsminister, Dr. Jürgen Schmude, selbst Jurist, meinte jedoch: “Ruhe bewahren und auf die normative Kraft des Faktischen vertrauen.“ Das bedeutete, wir machten unsere Arbeit weiter: Ausbildungsordnungen vorbereiten, Modellversuche durchführen, den nächsten Berufsbildungsbericht vorbereiten etc. Nur der Hauptausschuss war wieder der von 1969: fünf Arbeitgeber, fünf Gewerkschafter, zwei Vertreter der Bundesregierung. Es ist kaum zu glauben, wir waren mit Ausnahme der Berufsbildungsforschung eineinhalb Jahre ohne gesetzliche Grundlage tätig, ohne dass dies jemand rügte. Einen besseren Beleg für die gewachsene Akzeptanz des BIBB gab es wohl nicht. Dennoch waren wir heilfroh, als das Berufsbildungsförderungsgesetz 1982 verabschiedet wurde und wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten.