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Podiumsdiskussion: Was sind die Gelingensfaktoren der Dekade?

Eine sensibilisierte Öffentlichkeit, ein zielgruppenadäquates und flächendeckendes Lernangebot, das Wissen um die Ursachen und die Einbindung von Unternehmen – der Erfolg der Dekade ist von vielen Faktoren abhängig. In einer abschließenden Podiumsdiskussion wurden die wichtigsten Gelingensfaktoren noch einmal unter die Lupe genommen.

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Eine sensibilisierte Öffentlichkeit, funktionierende Strukturen, ein konkretes Arbeitsprogramm und klar definierte Ziele – die Umsetzung der Dekade ist bereits voll im Gange.

Peter Munk, Bundesministerium für Bildung und Forschung, verweist zunächst auf den bildungspolitischen Bedeutungszuwachs, den das Thema Alphabetisierung und Grundbildung in den letzten Jahren erfahren hat und der in der Verkündung einer „Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung“ durch Bund und Länder gipfelte. Ziel ist es, das Thema in der Öffentlichkeit bekannter zu machen, wozu diese Veranstaltung und das breite Medienecho darauf beiträgt. Zur Umsetzung der Dekade wird der Aufbau von unterstützenden Strukturen mit der Etablierung eines Kuratoriums, eines Wissenschaftlichen Beirats und einer Koordinierungsstelle für Alphabetisierung fortgeführt. Mit dem Grundsatzpapier und dem Arbeitsprogramm werden konkrete Handlungsfelder und Maßnahmen festgelegt, die auf Bestehendem aufbauen, aber auch neue Wege eröffnen und die in den kommenden Jahren von Bund, Ländern und den Dekadepartnern umgesetzt werden. Dabei sind jeweils unterschiedliche Ansätze für die Zielgruppen auf Alpha-Level 1 und 2 sowie auf Alpha-Level 3 und 4 erforderlich. Die Vielfalt der Zielgruppen und der Lernbedarfe muss sich auch in der Vielfältigkeit der Lernangebote widerspiegeln. Ein zentraler Aspekt für das BMBF bleibt auch während der Dekade die Verknüpfung von Alphabetisierungsangeboten mit dem Erwerb von beruflichen Kompetenzen, da sich die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten kontinuierlich wandeln. Daher fördert das BMBF auch weiterhin Projekte, die arbeitsplatzbezogene Alphabetisierung und Grundbildung in die Fläche tragen und langfristig verstetigt werden sollen. Davon profitieren letztendlich Beschäftigte ebenso wie Unternehmen. Alphabetisierung und Grundbildung aus der „Nische“ in die Mitte in die Gesellschaft zu führen und sie als Bestandteil des Weiterbildungssystems zu etablieren, ist ein zentrales Dekadeziel für das BMBF.

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Die Gewinnung weiterer Bündnispartner, ansprechende und innovative Lernangebote, die Entwicklung von Standards und die Integration der Alphabetisierung in unser Grundbildungssystem gehören zu den wichtigsten Faktoren einer erfolgreichen Dekade.

Kontinuität und Stabilisierung stehen ebenso wie Erweiterung als Bildungsthema aus der Sicht der Länder im Mittelpunkt der Dekade. So hebt Frau Dr. Eva-Maria Bosch, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg, die Notwendigkeit, weitere Bündnispartner zu gewinnen, um neue Zugänge und didaktisch-methodisch ansprechende und innovative Lernangebote zu schaffen sowie mehr Lernende zu motivieren als Gelingensfaktoren hervor. Das gemeinsame Arbeitsprogramm soll weiterhin dazu beitragen, Standards zu entwickeln und die Qualität der Alphabetisierungs- und Grundbildungsmaßnahmen zu sichern. Ein zentrales Ziel der Dekade ist es, ein breites Bündnis gesellschaftlicher Gruppen, sowie Netzwerke auf allen relevanten Ebenen zu etablieren. Darüber hinaus soll praxisrelevante Forschung mehr Kenntnisse beispielsweise zu Ursachen des funktionalen Analphabetismus sowie zur Motivationsförderung liefern. Dies steht auch im Zusammenhang mit der Frage, welches Bild wir vom Lernenden haben und welche Rolle er beispielsweise hinsichtlich der Gestaltung des eigenen Lernprozesses im Rahmen des lebenslangen Lernens übernimmt. Bezüglich der Professionalisierung des Bildungspersonals, einschließlich der Frage der Honorierung appelliert Frau Dr. Bosch an die Verbände, entsprechende Forderungen dort zu stellen, wo auch politische Entscheidungen getroffen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung nicht losgelöst von der Gesamtstruktur der Weiterbildung betrachtet werden sollte. Frau Dr. Bosch unterstreicht den allgemeinen Konsens, dass Alphabetisierung und Grundbildung als Möglichkeit gesehen werden, das Leben zu bereichern und nachhaltig zu wirken.

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Eine flächendeckende Regelförderung für Erwachsene mit Alphabetisierungsbedarf, zielgruppenadäquate Angebote und die Anerkennung von Alphabetisierung und Grundbildung als selbstverständliche Bildungswege – nur so kann Analphabetismus spürbar verringert werden. 

Gundula Frieling, Deutscher Volkshochschul-Verband, begrüßt, dass die Verkündung einer Nationalen Dekade bildungspolitische ebenso wie mediale Aufmerksamkeit erzeugt hat. Dies stellt eine Chance dar, die jedoch auch mit großen Herausforderungen verbunden ist. Wenn es gelingen soll, den Umfang des funktionalen Analphabetismus spürbar zu verringern und jedem interessierten Erwachsenen eine „zweite Chance“ zu eröffnen, so ist es aus ihrer Sicht erforderlich, sich vom „vereinzelten Projektdenken“ zu verabschieden und eine Regelförderung anzustreben. Dazu sollten bereits entwickelte Standards, wie beispielsweise Rahmencurricula, in die Fläche getragen und der Bereich regelhaft gefördert werden. Darüber hinaus stehen die Akteure während der Dekade vor enormen praktischen Herausforderungen: Die künftigen Aufgaben im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung werden größer vor dem Hintergrund der Anzahl von jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen und der zunehmenden Zahl von Personen mit Migrationshintergrund sowie der Geflüchteten. Es handelt sich daher nicht nur um eine Zielgruppe, sondern um eine Vielzahl von Zielgruppen mit jeweils unterschiedlichen Bedarfen, so dass zielgruppenadäquate Konzepte ebenso wie Materialien und Lehrkräfte erforderlich sind. Prävention allein ist da nicht ausreichend. Frau Frieling betont die Notwendigkeit, Etappenziele für die Dekade zu formulieren wie: „Alphabetisierung und Grundbildung sind besser ausgestattet“ und „Alphabetisierung und Grundbildung sind als selbstverständliche Bildungswege anerkannt“. Alphabetisierung und Grundbildung im Erwachsenenalter sollten als „selbstverständlicher“ Bestandteil einer Bildungsbiographie und des lebenslangen Lernens anerkannt werden.

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Um funktionalen Analphabetismus zukünftig vorzubeugen, ist eine umfangreiche Erforschung der Ursachen nötig.

Als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates hebt Frau Prof. Dr. Beatrice Rammstedt, GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, hervor, dass durch die Leo-Studie und PIAAC umfängliche Informationen über die Größenordnung des funktionalen Analphabetismus und die betroffenen Personengruppen vorliegen, es aber nur wenige Erkenntnisse über die Ursachen sowie die Risikofaktoren gibt. Ohne fundierte Erhebungen, welche systematisch untersuchen, wie es passieren kann, dass Schülerinnen und Schüler abgehängt werden, wird es schwierig werden, geeignete Maßnahmen für das allgemeinbildende Schulsystems abzuleiten. Zur Ermittlung präventiver Faktoren wäre aus ihrer Sicht die Durchführung von Längsschnittstudien erforderlich. Darüber hinaus kann Interventions-Wirkungs-Forschung einen wertvollen Beitrag leisten. Diese gäben dann auch Aufschluss darüber, mit welchen Maßnahmen mehr Lernende für die Wahrnehmung von Lernangeboten gewonnen werden können. Ziel ist die Formulierung von Handlungsvorschlägen auf der Basis von empirischen Daten.

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Pilotprojekte zur arbeitsplatzorientierten Alphabetisierung und Grundbildung sind eine wichtige Voraussetzung für die Gewinnung von Unternehmen.

7,5 Mio. funktionale Analphabeten sind aus Sicht von Wilfried Malcher, Handelsverband Deutschland, zunächst ein gesellschaftliches Problem sowie ein Problem des Bildungssystems, dem in erster Linie durch präventive Maßnahmen im allgemeinbildenden Schulsystem wie z.B. durch bessere Ausstattung, kleinere Klassen, individuelle Förderung und durch sensibilisiertes und qualifiziertes Bildungspersonal begegnet werden müsse. Er räumt ein, dass das Thema bei Unternehmen noch nicht angekommen ist. Pilotprojekte zur arbeitsplatzorientierten Alphabetisierung und Grundbildung verdeutlichen jedoch, dass hier wirksame Wege zur Alphabetisierung von Beschäftigten entwickelt wurden. Neben Prävention gehören für ihn als Arbeitgebervertreter vor allem die gezielte Auswertung und Verbreitung guter Praxisbeispiele zu den vordringlichen Maßnahmen in den nächsten Jahren.

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Gewerkschaften sind ein wichtiger Schlüssel zur Etablierung von Grundbildungsangeboten in Unternehmen. Aber auch die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte müssen verbessert werden, damit die Ziele der Dekade erreicht werden können.

Matthias Anbuhl, Deutscher Gewerkschaftsbund, sieht in der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung eine Chance und Bürde gleichermaßen. Zehn Jahre sind ein verlässlicher Zeitraum, es werden danach aber auch konkrete Ergebnisse erwartet, z.B. die Entwicklung von Projekten zur Struktur. Gelingensbedingungen sind aus seiner Sicht – betrachtet man die große Zahl der erwerbstätigen funktionalen Analphabeten – die Ansprache sowie die Entwicklung und Verbreitung bedarfsgerechter und flexibler Lernangebote sowie niedrigschwelliger Formate. Zunächst ist es jedoch erforderlich, an Alphabetisierung und Grundbildung interessierten Personen Information und Beratung zur Verfügung zu stellen – und zwar möglichst flächendeckend. Mit dem Projekt MENTO qualifiziert das DGB-Bildungswerk betriebliche Mentoren und Lernberater, die in Unternehmen als Ansprechpartner und Lotsen fungieren. Die Gewinnung von Mentoren und Lernberatern war bislang sehr erfolgreich, jetzt gilt es verstärkt Beschäftigte zur Wahrnehmung von Lernangeboten, die attraktiv sind und die Rahmenbedingungen der Arbeitswelt- wie beispielsweise Schichtarbeit - berücksichtigen, zu motivieren. Herr Anbuhl unterstützt die Zielsetzung „vom Projekt zur Struktur“ und will in den kommenden Jahren auch innerhalb der Gewerkschaften ebenso wie in den Unternehmen das Bewusstsein für das Thema Alphabetisierung und Grundbildung schärfen. Auch für die Gewerkschaftsseite steht die Frage der Qualität der Weiterbildung in engem Zusammenhang mit der Qualifizierung des Bildungspersonals und letztere mit der Frage der Honorierung von Lehrkräften. Die Professionalisierung und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen stellen daher eine weitere zentrale Herausforderung während der Dekade dar.


Beteiligte

Peter Munk, Bundesministerium für Bildung und Forschung
Dr. Eva-Maria Bosch, Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg
Gundula Frieling, Deutscher Volkshochschul-Verband
Prof. Dr. Beatrice Rammstedt, GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften
Wilfried Malcher, Handelsverband Deutschland
Matthias Anbuhl, Deutscher Gewerkschaftsbund