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Nach den Ergebnissen der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2014 (zum Untersuchungsansatz siehe Kapitel A3.1) wird das überregionale Bewerbungsverhalten relativ stark von den individuellen Einstellungen der Jugendlichen zu einer beruflich bedingten Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes beeinflusst. So meinten 37 % der Ausbildungsstellenbewerber/-innen, die sich auch auf weit (d. h. mindestens 100 km) von zu Hause entfernte Ausbildungsplätze bewarben, es sei ihnen grundsätzlich „ziemlich egal“, wo sie in Deutschland ihre Berufsausbildung machen. Bei den Jugendlichen, die ihre Bewerbungen auf den näheren Umkreis beschränkten, waren es dagegen nur 13 %.62 Selbst unter Kontrolle weiterer Merkmale, die ebenfalls mit der Mobilitätsmotivation korrelieren (Geschlecht, Schulabschluss und Alter der Bewerber/-innen, Ausbildungsmarktverhältnisse und Einwohnerdichte vor Ort) trägt die Einstellung, es sei gleichgültig, wo in Deutschland die Ausbildung stattfinde, in beträchtlichem Umfang zur Erklärung überregio­nalen Bewerbungsverhaltens bei.63

Jugendliche mit einer solchen Haltung machten 2014 etwa 72.000 bzw. 15 % der bei den Agenturen für Arbeit (AA) und den Jobcentern in gemeinsamen Einrichtungen (JC gE) gemeldeten Bewerber/-innen aus. Im Vergleich zu eher „standortaffinen“ Bewerbern und Bewerberinnen („Mir ist der Ausbildungsort nicht gleichgültig“) sind sie durch eine signifikant höhere Selbstwirksamkeit gekennzeichnet: Sie sind häufiger davon überzeugt, sich auch in schwierigen Situationen auf die eigenen Fähigkeiten verlassen zu können (72 % vs. 67 %), Probleme im Allgemeinen gut zu meistern (73 % vs. 63 %) und auch anstrengende und komplizierte Aufgaben in der Regel gut zu lösen (68 % vs. 59 %).

Was berufliche Flexibilität und einen möglichen Verzicht auf den Wunschberuf angeht, zeigen sich allerdings standorttreue Bewerber/-innen wesentlich kompromissbereiter. Von denjenigen, denen der Ausbildungsort „gar nicht egal“ ist, stimmen 54 % der Aussage zu, in der Heimatregion bleiben zu können sei wichtiger, als einen Ausbildungsplatz im Wunschberuf zu finden. Dagegen bejahen nur 9 % diese Aussage, denen der Ausbildungsort in Deutschland völlig gleichgültig ist Schaubild A3.2.2-1.

Bewerber/-innen, denen es wichtiger ist, in der Heimatregion zu bleiben, als ihren Wunschberuf zu erlernen, sind im Vergleich zu allen anderen Bewerbern und Bewerberinnen auch häufiger davon überzeugt, es sei besser, „eine Lehrstelle in irgendeinem Beruf als gar keine“ zu haben (34 % vs. 27 %). Flexibilität zugunsten der vor Ort angebotenen Berufe ist demnach eher von der Gruppe der standorttreuen Jugendlichen zu erwarten als von ihren Altersgenossen, die sich regional besonders mobilitätsbereit zeigen.

Schaubild A3.2.2-1: Bereitschaft, Kompromisse bei der Berufswahl zu machen, in Abhängigkeit vom Ausmaß der regionalen Mobilitätsfreudigkeit

Ob regionale Mobilität unter diesen Umständen zum Abbau von beruflichen Passungsproblemen zwischen Ausbildungsplatzangebot und -nachfrage beizutragen vermag (vgl. Kapitel A1.1), dürfte letztlich vom Ausmaß der von den Jugendlichen wahrgenommenen Attraktivitätsunterschiede zwischen den verschiedenen Berufen abhängen: Je stärker die Jugendlichen Attraktivitätsunterschiede wahrnehmen, desto eher werden regional mobile Jugendliche ihre Flexibilität nutzen, um gegebenenfalls auch außerhalb der eigenen Heimatregion einen aus ihrer Sicht attraktiven Ausbildungsplatz zu finden.

Ihre Chancen hierzu dürften gut sein, da es nach den Resultaten der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2014 eher die schulisch höher qualifizierten Bewerber/-innen mit guten Noten sind, die sich auch überregional bewerben. Doch erhöhen die regional flexiblen Jugendlichen damit in den von ihnen anvisierten Regionen vor allem die Bewerberzahlen in den als besonders attraktiv wahrgenommenen Ausbildungsberufen. Berufe mit Besetzungsproblemen, die im Schnitt als weniger attraktiv eingeschätzt werden, dürften dagegen kaum von ihrer regionalen Ungebundenheit profitieren.

Regional mobilitätsfreudige Jugendliche werden somit vor allem dann zur Verringerung des Anteils unbesetzter Ausbildungsplatzangebote beitragen, wenn sich die Berufe aus ihrer Sicht in ihrer Attraktivität nicht allzu stark unterscheiden. Regionale Mobilität wirkt in diesem Fall berufsunspezifischer, und offene Ausbildungsstellen außerhalb der eigenen Heimatregion würden von den Mobilitätsbereiten als zweifach günstige Gelegenheit wahrgenommen, ihre Bedürfnisse nach einem Ortswechsel zu stillen und zugleich den gewünschten Zugang in eine als ausreichend attraktiv wahrgenommene Berufsausbildung zu finden.

Insofern kommt dem Abbau der von Jugendlichen wahrgenommenen Attraktivitätsunterschiede zwischen den Berufen eine Schlüsselstellung zu, um die beruflichen Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt auch durch regionale Mobilität wirksam zu verringern.

(Stephanie Matthes, Joachim Gerd Ulrich)

  • 62

    Berücksichtigt wurden bei dieser Berechnung die beiden Zustimmungskategorien „trifft sehr zu“ sowie „trifft eher zu“. 

  • 63

    So das Ergebnis einer Regressionsanalyse.