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Der folgende Abschnitt stellt aktuelle Entwicklungen zur beruflichen Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund dar. Zuerst werden auf der Grundlage der Berufsbildungsstatistik Ergebnisse zur Ausbildungsbeteiligung (vgl. Erläuterung in Kapitel A5.8) von Jugendlichen ausländischer Staatsangehörigkeit vorgestellt, in einem zweiten Schritt Untersuchungsergebnisse zur Teilhabe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung.

Migrationshintergrund

Berufsbildungsstatistik, Schulstatistik und integrierte Ausbildungsberichterstattung erfassen nicht den Migrationshintergrund, sondern die Staatsangehörigkeit. Auf dieser Datenbasis sind nur Aussagen zu Personen differenziert nach der Staatszugehörigkeit möglich.

Der Begriff „Migrationshintergrund“ erlaubt eine Differenzierung der Personen aus einem Zuwanderungskontext. Das in empirischen Erhebungen erfasste Merkmal Migrationshintergrund ist in der Regel ein Konstrukt aus mehreren Variablen, das auf je unterschiedliche Weise operationalisiert wird. Es ist daher erforderlich, die für die Definition von Migrationshintergrund jeweils verwendeten Kriterien und die Begründung ihrer Auswahl offenzulegen (Settelmeyer/Erbe 2010).

In den empirischen Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) werden meist die aktuelle Staatsangehörigkeit und die Muttersprache (bzw. die als erste erlernte/-n Sprache/-n), teilweise auch das Geburtsland und in Deutschland verbrachte Zeiten erhoben (Beicht 2015; Settelmeyer/Erbe 2010), zum Teil auch der Fluchtmigrationshintergrund (vgl. Erläuterung Kapitel A8.1 und A8.1.1)

Die Ausbildungsanfängerquote ausländischer Jugendlicher lag 2017 mit 34,2% erneut deutlich unter derjenigen deutscher Jugendlicher (55,7%) (vgl. Kapitel A5.8, Tabelle A5.8-5). Bei männlichen Jugendlichen war die Differenz zwischen deutschem (67,1%) und ausländischem Pass (39,3%) deutlich höher als bei weiblichen Jugendlichen (deutsche Nationalität: 43,6%; ausländische Nationalität: 26,9%). Im Vergleich zu den beiden Vorjahren zeigen sich bei deutschen Ausbildungsanfänger/-innen nur geringe Veränderungen. Bei den ausländischen Jugendlichen ging die Ausbildungsanfängerquote in den Jahren 2015 und 2016 aufgrund der starken Fluchtmigration zunächst stark zurück und stieg dann 2017 gegenüber dem Vorjahr wieder auf 34,2% an (Tabelle A5.8-5). Es ist davon auszugehen, dass der Anstieg auf die Integration Geflüchteter in das duale Ausbildungssystem zurückzuführen ist; für diese Annahme spricht die gestiegene Zahl an männlichen Ausbildungsanfängern, die aus einem Asylherkunftsland stammen (vgl. Kapitel A5.8, Kroll/Uhly 2018; Uhly 2018a).234

Da amtliche Statistiken nur bedingt Antwort geben können auf Fragen zum Übergang junger Menschen mit Migrationshintergrund in berufliche Ausbildung, wird hierfür auf Stichprobenerhebungen zurückgegriffen.

Nach der BA/BIBB-Bewerberbefragung und der BA/BIBB-Fluchtmigrationsstudie 2018 (vgl. Erläuterung Kapitel A8.1 und A8.1.1) befand sich am Jahresende 2018 rund jede/-r dritte bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) registrierte Bewerber/-in mit Migrationshintergrund in einer betrieblichen Berufsausbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) bzw. Handwerksordnung (HwO), 32% der migrantischen Bewerber/-innen ohne Fluchterfahrung und 34% derjenigen mit Fluchterfahrung – im Vergleich zu knapp der Hälfte der Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund (48%). In einer außerbetrieblichen Ausbildung sind Ende 2018 von den Bewerbern/Bewerberinnen ohne Migrationshintergrund 5% der Befragten, bei einem Fluchthintergrund 3% und bei einem Migrationshintergrund ohne Fluchthintergrund 4% verblieben. Migrantische Bewerber/-innen ohne Fluchthintergrund (13%), aber auch mit Fluchthintergrund (15%) verbleiben am Ende des Jahres deutlich häufiger außerhalb des Bildungssystems: Sie waren Ende 2018 mehr als doppelt so häufig als Bewerber/-innen ohne Migrationshintergrund (6%) sozialversicherungspflichtig beschäftigt oder jobbten (vgl. Kapitel A8.1.1, Tabelle A8.1.1-2). Bewerber/-innen mit Migrationshintergrund sind nach der Ausbildungsmarktstatistik der BA mit 49% unter den unbekannt Verbliebenen erheblich stärker vertreten als bei denjenigen mit bekanntem Verbleib (34%; Tabelle A8.1.2-2).

Auf der Basis des Nationalen Bildungspanels (NEPS) lassen sich die Übergänge und Übergangsdauer nicht studienberechtigter Schulabgänger/-innen in eine betriebliche Ausbildung nach Migrationshintergrund und Schulabschluss differenzieren. Demnach sind von den nicht studienberechtigten Schulabgängern/Schulabgängerinnen bei einem expliziten Interesse an einer dualen Ausbildung 20 Monate nach Beendigung der Schulzeit Schulabgängerinnen ohne Migrationshintergrund erheblich häufiger in eine betriebliche Ausbildung eingemündet als mit Migrationshintergrund (ohne MH 71,5%, mit MH 65,5%). Die Unterschiede sind bei männlichen Schulabgängern mit (69,1%) und ohne Migrationshintergrund (81,2%) erheblich größer (Schaubild A8.4.2-3). Differenziert nach dem Schulabschluss zeigt sich für Schulabgängerinnen mit einem expliziten Ausbildungsinteresse selbst nach 20 Monaten eine höhere Einmündung bei jungen Frauen ohne Migrationshintergrund bei max. einem einfachen Hauptschulabschluss (56,9%) in betriebliche Ausbildung als bei der Vergleichsgruppe mit Migrationshintergrund (52,8%). Umgekehrt münden nach diesem Zeitraum bei einem qualifizierten Hauptschulabschluss ausbildungsinteressierte Schulabgängerinnen mit Migrationshintergrund (70,1%) häufiger als ohne Migrationshintergrund in eine betriebliche Ausbildung ein (65,7%). Bei einem mittleren Abschluss haben Schulabgängerinnen ohne Migrationshintergrund (76,1%) nach Ablauf von 20 Monaten einen deutlich höheren Einmündungserfolg als die Vergleichsgruppe mit Migrationshintergrund (70,4%, Schaubild A8.4.2-5).

Zum Teil andere Ergebnisse liegen bei männlichen Schulabgängern vor: Bei max. einem einfachen Hauptschulabschluss sind ausbildungsinteressierte männliche Schulabgänger ohne Migrationshintergrund (67,3%) nur etwas häufiger in eine betriebliche Ausbildung übergegangen als die Vergleichsgruppe mit Migrationshintergrund (64,3%). Bei einem qualifizierten Hauptschulabschluss wachsen die Unterschiede erheblich (ohne MH 84,0%, mit MH 73,3%), bei einem mittleren Abschluss deutlich an (ohne MH 86,3%, mit MH 69,5%). Bei einem mittleren Schulabschluss liegen die Unterschiede zwischen männlichen Befragten mit und ohne Migrationshintergrund bei 16,8 Prozentpunkten (Schaubild A8.4.2-4). Werden alle Formen vollqualifizierender Ausbildung berücksichtigt, so verbessern sich bei einem Migrationshintergrund insbesondere bei Schulabgängerinnen im Vergleich zu männlichen Schulabgängern nach 20 bzw. 24 Monaten ihre Übergangsquoten (vgl. Kapitel A8.4).

Jugendliche mit Migrationshintergrund benötigen demnach beim Übergang in eine duale Berufsausbildung längere Zeit für eine erfolgreiche Einmündung. Darauf deutet unter anderem auch der höhere Anteil von Jugendlichen ohne deutschen Pass hin, die sich 2018 im Übergangsbereich befanden. Nach den vorläufigen Daten der Integrierten Ausbildungsberichterstattung waren 2018 bei Berücksichtigung aller Bildungssektoren (Berufsausbildung, Erwerb der Hochschulreife (Sek II), Studium) von allen nicht deutschen Bildungsanfängern/-anfängerinnen 34,2% im Übergangsbereich und damit deutlich mehr als im Durchschnitt aller Ausbildungsanfänger/-innen (14,4%) (vgl. Kapitel A4.1, Schaubild A4.1-4). Die Beteiligung von Ausländer/-innen im Sektor „Übergangsbereich“ hat sich zwischen 2014 und 2018 von 19,8% auf 34,2% deutlich erhöht; was wiederum auf den deutlichen Anstieg von Geflüchteten hindeutet. Im Sektor „Erwerb der Hochschulreife“ sind demgegenüber in diesem Zeitraum die Ausländeranteile weitgehend konstant geblieben (2014: 6,8%; 2018: 6,4%; Schaubild A4.1-4).

Unter Berücksichtigung wichtiger Faktoren wie des Bewerbungsverhaltens, der schulischen Voraussetzungen, der Herkunftsregion, aber auch der Ausbildungsberufe, auf die sich die Jugendlichen beworben haben, lässt sich auf der Grundlage der BA/BIBB-Bewerberbefragung 2016, aber auch der NEPS-Daten belegen, dass bei einem Migrationshintergrund Bewerber/-innen bzw. nicht studienberechtigte ausbildungsinteressierte Schulabgänger/-innen im Vergleich zu denjenigen ohne Migrationshintergrund eine signifikant geringere Einmündungswahrscheinlichkeit in eine betriebliche Berufsausbildung haben - meist auch noch 20 Monate nach Ende der allgemeinbildenden Schulzeit (vgl. Kapitel A8.4, Beicht 2017).

Diese Ergebnisse weisen, wie die anderer Untersuchungen, in die gleiche Richtung: Junge Menschen mit Migrationshintergrund münden trotz engagierter Suchaktivitäten und längerer Übergangsprozesse seltener in eine betriebliche bzw. vollqualifizierende Ausbildung (alle Formen) ein. Weder ungünstigere schulische Voraussetzungen bzw. Schulleistungen oder metakognitive Fähigkeiten bzw. Berufspräferenzen oder Suchstrategien noch die bisher untersuchten kulturellen und sozialen Ressourcen bzw. die soziale Herkunft bzw. Unterstützungsangebote im Übergangsprozess oder die regionale Ausbildungsmarktlage können die geringeren Einmündungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund bzw. bestimmter Herkunftsgruppen in eine berufliche Ausbildung abschließend erklären (Beicht 2017; Beicht/Walden 2019; Überblick: Beicht 2015). 

Nicht studienberechtigte Schulabgänger/-innen haben selbst mit den gleichen Schulabschlüssen, Schulnoten, Bildungs- bzw. Berufspräferenzen, Bewerbungsaktivitäten sowie ausbildungsmarktrelevanten Merkmalen sowie der gleichen sozialen Herkunft und sozialen Einbindung schlechtere Chancen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, als ohne Migrationshintergrund (Beicht/Walden 2018). Somit sind über die berücksichtigten Faktoren hinaus weitere Einflussgrößen wirksam, die in Verbindung mit dem Migrationshintergrund stehen und auf eine strukturelle Ausgrenzung hinweisen. Erst bei Schulabgänger/-innen der 3. Generation gleichen sich die Einmündungschancen an (Beicht/Walden 2018).

Dies wirkt sich auch auf ihre Platzierung in der beruflichen Ausbildung aus. Jugendliche mit Migrationshintergrund münden beispielsweise erheblich seltener in ihren Wunschberuf ein. Zudem erweisen sich die Rahmenbedingungen ihrer betrieblichen Ausbildung oftmals als ungünstiger (vgl. BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.9). Sie werden beispielsweise häufiger in Ausbildungsberufen mit einer höheren Vertragslösungsquote ausgebildet. Dies spiegelt sich auch in der Vertragslösungsquote von Auszubildenden ausländischer Nationalität wider. Diese lag 2017 nach der Probezeit bei 23,0% und damit rund 6 Prozentpunkte über der Vertragslösungsquote Auszubildender mit deutscher Nationalität (16,6%). In der Probezeit betrug die Vertragslösungsquote bei einer ausländischen Staatsangehörigkeit 11,0%, bei einer deutschen 8,3% (vgl. Kapitel A5.6, Tabelle A5.6-4). Werden u. a. die ungünstigeren Schulabschlüsse von Auszubildenden ausländischer Nationalität und die Ausbildungsberufe berücksichtigt, so zeigen sich bei dualen Auszubildenden mit ausländischem Pass im Vergleich zu denjenigen mit deutschem Pass kaum mehr Unterschiede in der Höhe der Vertragslösungen (Rohrbach-Schmidt/Uhly 2015). 

Ein Berufsabschluss hat gerade im Hinblick auf eine dauerhafte Integration in das Erwerbsleben eine herausragende Bedeutung (vgl. Kapitel A11.1; Kapitel A 11.3). Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund erlangen deutlich seltener einen Berufsabschluss. Der Anteil junger Erwachsener (20 bis 34 Jahre) mit Migrationshintergrund, der in Deutschland aufgewachsen ist und keinen Berufsabschluss hat, d. h. nicht formal qualifiziert ist (vgl. Erläuterung Kapitel A11.1), lag 2017 mit 18,5% mehr als doppelt so hoch wie bei der Vergleichsgruppe Deutscher ohne Migrationshintergrund (8,5%, vgl. Kapitel A 11.3, Tabelle A11.3-1). Bei jungen Erwachsenen ohne eigene Migrationserfahrung, deren Familien aus der Türkei stammen, lag die Quote der Personen ohne Berufsabschluss mit 24,0% noch höher. Junge Frauen mit Migrationshintergrund, aber ohne eigene Migrationserfahrung bleiben seltener als die männliche Vergleichsgruppe ohne formalen Berufsabschluss (weiblich: 16,6%, männlich: 20,0%). Dies trifft auch auf die Gruppe junger Frauen türkischer Herkunft ohne eigene Migrationserfahrung zu (weiblich: 21,9%, männlich: 25,9%). Bei der Gruppe junger Erwachsener mit eigener Migrationserfahrung, d. h. derjenigen, die selbst nach Deutschland zugewandert sind, lag die Quote der formal Ungelernten mit 32,0% noch höher; bei Herkunft aus der Türkei betrug sie 53,2% (vgl. Kapitel A 11.3, Tabelle A11.3-1).

Den Ergebnissen zufolge haben es nicht „nur selbst eingewanderte, sondern auch in Deutschland geborene Jugendliche mit Migrationshintergrund“ „deutlich schwerer beim Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung als diejenigen ohne Migrationshintergrund. Dies zeigt, dass die Herstellung gleicher Bildungschancen für junge Migranten und Migrantinnen eine Aufgabe ist, die sich über einen sehr langen Zeitraum erstreckt. Der erreichte Stand der Integrationsförderung im Bereich von allgemeiner Bildung und beruflicher Ausbildung muss nach wie vor als unbefriedigend bezeichnet werden. Öffentliche Förderung muss deshalb noch viel stärker als bisher die besonderen Problemlagen der betreffenden Jugendlichen wahrnehmen und hierauf eingehen.“ (Beicht/Walden 2018, S. 19). Die Herstellung gleicher Bildungschancen für junge Menschen mit Migrationshintergrund an der Etappe berufliche Ausbildung bleibt eine der wichtigsten Herausforderungen im Bildungssystem. Bisherige Ergebnisse weisen darauf hin, dass insbesondere die Benachteiligung beim Zugang zu einer beruflichen Erstausbildung die Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund an beruflicher Ausbildung erschwert. Daher benötigen sie insbesondere im Übergang Schule – Ausbildung Unterstützung. Als erfolgreich haben sich hier Ansätze bewährt, die Jugendliche im Übergang kontinuierlich begleiten, wie beispielsweise Mentoring-Programme oder die Berufseinstiegsbegleitung, worauf vorliegende Untersuchungsergebnisse hinweisen (Beicht 2015). Eine Unterstützung benötigen sie auch im Verlauf beruflicher Ausbildung, um trotz ungünstigerer Rahmenbedingungen bei Ausbildungsbeginn die Ausbildung erfolgreich abschließen zu können. Programme, die Auszubildende im Verlauf der Ausbildung begleiten, erweisen sich hier ebenso als erfolgsversprechend wie Maßnahmen, die an den Auszubildenden und am Ausbildungsbetrieb ansetzen (z. B. assistierte Ausbildung). 

(Mona Granato)

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    Der registrierte Rückgang der Ausbildungsanfängerquote (zur Berechnung siehe Erläuterung in Kapitel A5.8) in den Jahren 2015 und 2016 ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass ein Großteil der Geflüchteten bereits bei der Wohnbevölkerung im entsprechenden Alter mitgezählt wurde (Nenner), die Geflüchteten hingegen erst mit zeitlicher Verzögerung eine duale Ausbildungsstelle aufnehmen konnten bzw. durften (Zähler).