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Seit 2012 berichtet die Europäische Kommission im Rahmen des gemeinsamen Arbeitsprogramms „Education and Training 2020“ jährlich über die Entwicklung der Bildungssysteme in Europa. Kern dieser Berichte sind die gemeinsam vereinbarten europäischen Indikatoren, die teilweise mit Benchmarks verknüpft sind. Fünf dieser mit Benchmarks verbundenen Indikatoren spielen für die berufliche Bildung eine Rolle. Die Entwicklung dieser fünf Indikatoren wird regelmäßig in diesem Kapitel vorgestellt. Die Grundlage hierfür sind die Daten aus dem Education and Training Monitor 2019 (vgl. European Commission 2019). Für ausführliche Informationen zu den Indikatoren und den damit verbundenen Benchmarks siehe BIBB-Datenreport 2015, Kapitel E1.

Die europäische Zielmarke zum Indikator Erwerb von tertiären Bildungsabschlüssen in der Gruppe der 30- bis 34-Jährigen liegt bei 40%. Er veränderte sich im EU-Durchschnitt von 39,9% im Jahr 2017 auf 40,7% im Jahr 2018 und hat somit zum ersten Mal die Zielmarke erreicht Tabelle D1.2-1. Allerdings haben sich die teilweise großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht verringert. Die Spanne reichte von Italien mit dem zweitniedrigsten Anteil von 27,8% bis Irland an dritter Stelle mit 56,3%. Spitzenreiter war erneut Litauen mit 57,6% mit leicht sinkender Tendenz seit 2016. 18 Staaten übertrafen auch 2018 das europäische Target wie bereits 2017. Deutschland lag bei 34,9% im Vergleich zu 29,7% im Jahr 2010. Dies war Position 20 (18 im Jahr 2017) im Ländervergleich der EU-28. Generell gilt die Quote von tertiären Bildungsabschlüssen als ein wesentlicher Faktor für Wirtschaftswachstum und sozialen Fortschritt (vgl. European Commission 2018). In der Regel wird ein tertiärer Bildungsabschluss, zu dem ebenfalls höhere berufliche Qualifikationen zählen, auch als vorteilhaft für die individuellen Beschäftigungsaussichten gesehen.

Tabelle D1.2-1: Anteil Frauen und Männer mit tertiärem Bildungsabschluss im Vergleich zum Gesamtanteil der 30- bis 34-Jährigen mit tertiärem Bildungsabschluss 2018, ausgewählte Länder (in %)

Betrachtet man die Absolventenquoten von Männern und Frauen im Vergleich, ist im europäischen Durchschnitt auffällig, dass 45,8% der 30- bis 34-jährigen Frauen einen tertiären Bildungsabschluss hatten, aber nur 35,7% der Männer. Dabei haben die Frauen im Zeitraum von 2010 bis 2018 den Anteil von 35,8% auf 45,8% erhöht. Bei Männern ist die Kurve deutlich flacher, 2010 lag der Anteil bei 30,3%. Für Deutschland ist das Bild wesentlich ausgeglichener. Der Anteil der 30- bis 34-jährigen Frauen mit einem tertiären Bildungsabschluss lag 2018 bei 35,4% (2010: 29,4), bei den Männern lag er mit 34,5% (2010: 29,9%) knapp unter dem europäischen Mittel. Insbesondere bei den drei Ländern mit den höchsten Werten, Litauen, Zypern und Irland, war die Diskrepanz zwischen den Quoten für Männer und Frauen sehr hoch. 

Bemerkenswert sind die Daten für die Schweiz, die bei der Zuordnung zur EU-28-Liste Platz 5 mit 55% (2018) an tertiären Bildungsabschlüssen in der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen einnehmen würde. Sie verzeichnete einen ausgewogenen Anteil von Männern (55,1%) und Frauen (54,9%) und würde beim Anteil der Männer europaweit auf Platz 1 stehen.

Der Benchmark für die Beteiligung Erwachsener am lebenslangen Lernen liegt bei 15%. Er umfasst sowohl non-formales als auch formales Lernen in den letzten vier Wochen vor der Befragung unter den 25- bis 64-Jährigen. Der europäische Durchschnitt lag 2018 bei 11,1%, und damit lediglich 0,3% Prozentpunkte über dem Wert von 2014. Der überwiegende Anteil der Weiterbildungsaktivitäten fand in beinahe allen Ländern im non-formalen Bereich statt, d. h., die Lernaktivitäten führten nicht zu einem formalen Abschluss.

Insgesamt war die Entwicklung seit 2012 über alle Länder hinweg recht stabil. Erneut verzeichneten die drei nordeuropäischen Staaten Schweden (31,4%), Finnland (28,5%) und Dänemark (23,5%) die höchsten Werte. Insbesondere bei den Frauen lag der Anteil sehr hoch, in Schweden bei 38,8%, in Finnland bei 32,3% und in Dänemark bei 27,8%. Deutschland lag mit 8,2% (8,5% in 2016) im unteren Mittelfeld. Im Gegensatz zu den oben genannten nordeuropäischen Staaten lag der Männeranteil (8,5%) dabei höher als der der Frauen (8%). In Österreich lag der Anteil der 25- bis 64-Jährigen, die in den letzten vier Wochen vor der Befragung an einer Lernaktivität teilgenommen hatten, im Jahr 2018 bei 15,1%. Die Schweiz lag mit einem Anteil von 31,6% noch höher als Schweden, dem EU-Mitgliedstaat mit den besten Werten.

Vergleicht man die Werte des Benchmarks mit den Werten, die im Rahmen des Adult Education Survey (AES) erhoben werden und die die Lernaktivitäten der letzten zwölf Monate erfassen, zeigen sich große Unterschiede bei dem Anteil der Lernenden sowie im Ranking der Länder. Allerdings beziehen sich diese Daten auf das Jahr 2016.322 Der EU-28-Durchschnitt lag hier bei 45,1%. Spitzenreiter waren die Niederlande (64,1%), Schweden (63,8%) und Österreich (59,9%). Deutschland lag mit 52% im oberen Mittelfeld. Die nächste europaweite AES-Erhebung findet voraussichtlich im Jahr 2022 statt. Allerdings hat Deutschland in 2018 eine zusätzliche nationale AES-Erhebung durchgeführt (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung 2019). Sie hat gezeigt, dass sich nach einer weiteren Steigerung insgesamt 54% der 18- bis 64-Jährigen im Jahr 2018 an einer non-formalen Weiterbildung beteiligt haben (vgl. Kapitel B1.1).

Die Verringerung des Anteils frühzeitiger Schul- und Ausbildungsabgänge ist ein weiteres zentrales Ziel in Deutschland. Niedrige Anteile werden mit gesellschaftlichen Werten wie erfolgreicher sozialer Inklusion und der Möglichkeit zur aktiven Bürgerschaft assoziiert. Aber auch im Hinblick auf die Integrationsfähigkeit der Schüler/-innen in den Arbeitsmarkt kommt diesem Benchmark eine besondere Bedeutung zu. Der Benchmark wurde auf 10% festgelegt und erfasst die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen, die vier Wochen vor der Befragung weder in Aus- noch in Weiterbildung waren und lediglich die Sekundarstufe I absolviert haben.

Tatsächlich sank der europäische Durchschnittswert kontinuierlich von 14,2% (2009) auf 11,9% (2013) und weiter auf 10,6% im Jahr 2018. Hervorzuheben ist der Wert für Portugal, der sich innerhalb von neun Jahren von 30,9% (2009) auf 11,8% (2018) deutlich verbessert hat. Ähnliches gilt für Spanien (2009: 30,9%; 2018: 17,9%). Deutschland lag mit 10,3% (2009: 11,1%) knapp über dem Benchmark und damit im oberen Mittelfeld. Allerdings ist der Anteil derjenigen, die im Alter zwischen 18 und 24 Jahren weder an Aus- noch an Weiterbildung teilnahmen und lediglich die Sekundarstufe I absolviert haben in der Gruppe der im Ausland Geborenen ausgesprochen hoch. Dieser lag in Deutschland bei 24,1% (EU-28-Durchschnitt: 20,2%). In der Gruppe derjenigen aus dem EU-Ausland sogar bei 25,6% (vgl. European Commission 2019, S. 53).   

Die Beschäftigungsquote der 20- bis 34-Jährigen, die die Schule oder Universität in den letzten drei Jahren verlassen haben, soll in Europa bei 82% liegen. Nachdem dieser Wert im Jahr 2008 erreicht worden war, sank er nach der Wirtschafts- und Finanzkrise auf 75,9% im Jahr 2012 (bezogen auf Absolventen der Sekundarstufe II und darüber). Im Jahr 2018 hatte sich dieser Wert wieder weitgehend erholt und lag bei 81,7% und damit erneut höher als im vorangegangenen Jahr (80,2%). Differenziert man die Beschäftigungsquote nach den ISCED-Niveaus ergibt sich folgendes Bild Tabelle D1.2-2.

Die Beschäftigungsquote derjenigen, die erfolgreich ein tertiäres Bildungsprogramm absolviert haben (ISCED-Niveaus 5-8), d. h. über einen höheren Berufsabschluss oder Hochschulabschluss verfügen, liegt im EU-28-Durchschnitt bei 85,5% und somit höher als bei ISCED 3-4 von 76,8% (Sekundarstufe II). Zu diesen Programmen des Sekundarbereichs zählen z. B. die duale Ausbildung oder ein allgemeinbildendes Bildungsprogramm. Zwar liegt dieser Anteil in Deutschland ebenfalls leicht unter der Beschäftigungsquote derjenigen mit einem tertiären Abschluss, jedoch ist dieser Wert im europäischen Vergleich sehr hoch (höher liegt er lediglich in Malta). Insgesamt ist die Beschäftigungsquote in Deutschland über alle Bildungsniveaus hinweg konstant hoch. Die sehr gute Situation auf dem Arbeitsmarkt macht dies möglich, gleichzeitig ist es auch ein Hinweis darauf, dass alle unterschiedlichen Qualifikationen vom Arbeitsmarkt absorbiert werden. Diese Ausgeglichenheit ist im europäischen Vergleich eher die Ausnahme. Insbesondere der Unterschied zwischen den Beschäftigungsquoten des ISCED 5-8-Bereichs und dem Bereich des Niveaus 3-4 mit beruflicher Orientierung (ISCED 3-4 voc) ist in vielen Staaten sehr ausgeprägt, insbesondere in denjenigen, die eine hohe Quote an tertiären Bildungsabschlüssen haben Tabelle D1.2-3.

Tabelle D1.2-2: Beschäftigungsquote differenziert nach ISCED-Niveaus 2018 (in %)

Tabelle D1.2-3: Vergleich Anteil tertiäre Bildungsabschlüsse 20- bis 34-Jährige mit Beschäftigungsquote ISCED-Niveaus 5-8 und ISCED-Niveaus 3-4 voc 2018 (in %)

Beschränkte Sichtbarkeit beruflicher Fortbildung in der internationalen Statistik

Die internationalen Daten über den Bildungsstand (educational attainment) für Deutschland basieren auf dem Mikrozensus, also den Angaben der Befragten nach dem höchsten Bildungsabschluss (vgl. Mikrozensus 2019323). Dies ist für die Interpretation insofern relevant, weil die internationalen Bildungsdaten, die auf der internationalen Standardklassifikation, der sog. ISCED 2011-Klassifikation, basieren, die Zahlen für den Bereich der beruflichen Aufstiegsfortbildung nicht erfassen. Dazu müssten umfangreiche Daten über Teilnehmende, Anfängerinnen und Anfänger, Absolventinnen und Absolventen, Lehrkräfte und Finanzen von Bildungsanbietern geliefert werden. Diese Daten liegen jedoch dem Statistischen Bundesamt nicht im hierfür erforderlichen Umfang vor (vgl. Statistisches Bundesamt 2019). Sie werden bisher nur auf freiwilliger Basis erhoben und sind dementsprechend lückenhaft. Das bedeutet, dass die in der Berufsbildungsstatistik324 des Statistischen Bundesamtes aufgeführten Teilnahmen an Fortbildungs- und Meisterprüfungen nicht für die Erfassung in der ISCED-Klassifikation gemeldet werden, obwohl mit diesen Prüfungen formale Qualifikationen des deutschen Bildungssystems erworben werden. 

Das Fehlen von Daten über die berufliche Aufstiegsfortbildung in der internationalen Bildungsstatistik über tertiäre Bildungsbeteiligung kann zu einer Unterbewertung und entsprechenden Fehlinterpretation über die Leistungsfähigkeit des Bildungs- bzw. Qualifizierungssystems führen (vgl. Hippach-Schneider u. a. 2017, Müller 2009). Um dies zu ändern, wäre aus Sicht des Statistischen Bundesamtes die Schaffung einer Rechtsgrundlage für künftige Datenerhebungen notwendig (ebd., S. 30). 

In diesem Zusammenhang wird die Beschränkung der Bedeutung des Europäischen und auch des Deutschen Qualifikationsrahmens (EQF bzw. DQR) deutlich. Beide Klassifikationssysteme sind weder europäisch noch national Grundlagen von statistischen Daten. Im europäischen Kontext ist dies nach wie vor die ISCED-Klassifikation, die der Logik traditioneller Bildungsprogramme folgt. Nur schwer sind hier Bildungsformen wie Lernen am Arbeitsplatz oder andere Formen von arbeitsbasiertem Lernen zuzuordnen. Die in Deutschland dem DQR-Niveau 6 zugeordneten höheren Berufsbildungsabschlüsse beispielsweise könnten auch bei Vorliegen der erforderlichen Rahmendaten nicht automatisch dem ISCED-Niveau 6 zugeordnet werden, weil formal eine Programmdauer von drei Jahren nachzuweisen ist. Diese kann sich zwar aus einem zweijährigen Programm auf Niveau 5 und einem einjährigen Programm auf Niveau 6 zusammensetzen, jedoch werden einige auf Niveau 6 des DQR verortete Qualifikationen diese Anforderungen an die Dauer von Programmen nicht erfüllen, auch wenn die notwendige Berufserfahrung teilweise eingerechnet würde. Das Statistische Bundesamt sieht die Notwendigkeit für eine Prüfung der Zuordnung zu den einzelnen ISCED-Niveaus trotz einer entsprechenden DQR-Zuordnung. Es gibt daher keinen Automatismus der Zuordnung von DQR-Niveaus zum ISCED-Niveau. Davon können ca. 20% der auf DQR 6 Niveau verorteten Meisterqualifikationen betroffen sein (unveröffentlichtes Dokument). 

Eine Verbesserung der Sichtbarkeit und größere Genauigkeit der Bildungsleistungen könnten somit national durch eine lückenlosere Erfassung der Aktivitäten im Zusammenhang mit der beruflichen Fortbildung erzielt werden. International stellt sich die Frage, ob nicht eine Öffnung der ISCED-Klassifikation sinnvoll wäre, d. h., den Umfang der zu liefernden Kontextdaten zu reduzieren, um alle formalen Bildungsabschlüsse berücksichtigen zu können. Auch sollten die Qualifikationen einbezogen werden können, die gesetzlich geregelt sind, aber nicht als Teil des Bildungssystems betrachtet werden. Grundlage könnte hierfür der EQF sein. Eine solche umfassende Form der Erfassung von Qualifikationen in einer europäischen Statistik wäre eine notwendige Ergänzung, um die Lern- und Qualifizierungsaktivitäten in den europäischen Gesellschaften adäquater als bisher abbilden zu können. 

Schlussfolgerungen über die Leistungsfähigkeit eines Bildungssystems erfordern die Einbeziehung zahlreicher Indikatoren. Die Fokussierung auf einzelne Elemente wie beispielsweise die Absolventen-/Absolventinnenquote von tertiären Bildungsprogrammen ist dabei von beschränktem Wert. Eine hohe Quote eines erfolgreichen Übergangs in Beschäftigung von allen Bildungsniveaus ist jedoch zumindest ein Indiz für ein vergleichsweise hohes Maß an Passung von Arbeitsmarkt und Bildungssystem.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit schlechten Leistungen bei den sogenannten Grundkompetenzen (Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften) soll die Marke von 15% nicht überschreiten. Im Jahr 2018 hat die OECD neue Daten über die Leistungen der Grundkompetenzen erhoben und Ende 2019 veröffentlicht. Sie sind daher noch nicht in die europäischen Daten im Rahmen der des Education and Training Monitor 2019 eingeflossen, auch eine Auswertung der Ergebnisse im Hinblick auf die europäische Zielmarke noch nicht verfügbar. Jedoch wird bereits erkennbar, dass im Vergleich zu den Daten aus 2015 bei allen drei Grundkompetenzen eine leichte Verschlechterung der Leistungen im EU-Durchschnitt festzustellen ist. Dieser lag 2015 bei schlechter Lesekompetenz bei 19,7% (2012325: 17,8%), bei mathematischer Kompetenz bei 22,2% (2012: 22,1%), bei der Kompetenz in Naturwissenschaften bei 20,6% (2012: 16,6 %). 

Für Deutschland zeigt die PISA-Erhebung von 2018 in allen drei genannten Kategorien ein über dem OECD-Durchschnitt liegendes Ergebnis. Jedoch sind die durchschnittlichen Leseleistungen nach den in der Zeit bis 2012 erzielten Verbesserungen 2018 wieder zurückgegangen, ungefähr auf das Niveau von 2009. Im Bereich der Naturwissenschaften war die Leistung insgesamt niedriger als 2006. Bei den Leistungen in Mathematik lagen die Ergebnisse deutlich unter jenen von PISA 2012 (vgl. OECD 2019a; OECD 2019b).

(Ute Hippach-Schneider)