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Im Jahr 2002 haben Sozialpartner, Verbände, Bildungsinstitutionen und Wissenschaft gemeinsam mit Sachverständigen aus der Praxis das bundesweit gültige IT-Weiterbildungssystem (IT-WBS) auf drei Ebenen – Spezialisten, Operative Professionals und Strategische Professionals − geschaffen Schaubild C2.1.4-1. Das IT-WBS schloss an vier neue duale IT-Ausbildungsberufe an und sollte ausgebildeten IT-Fachkräften und Quereinsteigern attraktive Karrierewege bieten. Nicht nur die dreigliedrige Struktur, die die heutige DQR-Gliederung der Stufen fünf, sechs und sieben schon vorwegnahm, war neu, sondern auch das didaktisch-curriculare Konzept des arbeitsprozessorientierten Lernens (APO) und eine privatrechtliche Zertifizierung auf Eingangsstufe der Spezialisten (vgl. Diettrich/Kohl 2007).

Das bei seiner Einführung als hochinnovativ wahrgenommene System bleibt jedoch bis heute hinter den Erwartungen zurück. Mit durchschnittlich 600 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr erreicht das IT-WBS lediglich auf der Ebene der Operativen Professionals (OP) eine nennenswerte Zahl von Abschlüssen. Aus der IHK- und DIHK-Fortbildungsstatistik310 geht hervor, dass sich die Zahl der Prüfungsteilnehmer/-innen jährlich zwischen 500 und 800 bewegt Schaubild C2.1.4-2.

Schaubild C2.1.4-1: Aufbau des IT-Weiterbildungssystems

Schaubild C2.1.4-2: Operative Professionals Prüfungsteilnehmer/-innen 2009 bis 2019

Beinahe drei Viertel (73%) aller OP-Prüfungsteilnahmen im Jahr 2019 fallen auf den OP zum/zur IT-Projektleiter/-in. Er ist damit der große Favorit in der Nachfrage der OP-Profile, wohingegen nur ca.15% der Prüfungsteilnahmen auf den OP des IT-Entwicklers entfallen und lediglich jeder/jede achte (12,7%) Teilnehmer/-in eine Prüfung zum/zur IT-Beraterin absolviert. Das Profil des/der IT-Ökonomen/-Ökonomin wurde gar nicht nachgefragt. Einen ähnlich marginalen Anteil nehmen die Prüfungsteilnehmer/-innen auf Ebene der beiden Strategischen Professionals ein: Einen Abschluss auf der dritten Fortbildungsebene erwarben von 2012 bis 2017 insgesamt nur 54 Personen (vgl. Schneider/Schwarz 2019). Aufgrund der privatrechtlichen Zertifizierungspraxis liegen keine gesicherten Daten zu Absolventenzahlen der Spezialistenprofile vor.

Das IT-WBS in der Praxis

Ein Vergleich mit dem Potenzial von zuletzt 15.000 bis 16.000 Absolventinnen und Absolventen der dualen IT-Berufe macht deutlich, dass sich das IT-WBS in der Praxis bei der Zielgruppe und den Unternehmen bis heute nicht in der Breite durchgesetzt hat.

Das IT-WBS ist in zahlreichen Veröffentlichungen beschrieben und analysiert worden, wobei immer wieder auch auf die Probleme seiner Umsetzung in der Praxis hingewiesen wurde. Das BIBB legte 2011 Ergebnisse einer Evaluation vor, die mit zeitlichem Abstand zur Einführung des IT-WBS seinen Nutzen sowie den Verbleib der Absolventen und Absolventinnen auf den beiden Professional-Ebenen untersucht hatte (vgl. Schenk/Schneider 2012). Eine weitere Untersuchung des BIBB aus dem Jahre 2018 (vgl. Schwarz u. a. 2018) sowie eine derzeit laufende Voruntersuchung zur Neuordnung der IT-Weiterbildung sollen Vorschläge für die Weiterentwicklung und die zukünftige Gestaltung des IT-WBS liefern (vgl. Winkler 2020).

Gründe für die geringe Relevanz des IT-WBS liegen in seiner Unbekanntheit, der starken Konkurrenzsituation zu den Herstellerzertifikaten (vgl. Diettrich/Kohl 2007, S. 183) sowie im „ungeklärte[n] Verhältnis zu den Hochschul-Abschlüssen Bachelor und Master“ (vgl. Schenk/Schneider 2012, S. 57).

Von jenen, die das IT-WBS kennen, wird es gleichwohl geschätzt, insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen sehen in den Operativen Professionals eine gute Möglichkeit, ihren Führungskräftenachwuchs zu sichern, deren Praxiserfahrung als Vorteil gegenüber Hochschulabsolventinnen und -absolventen angesehen wird. Darüber hinaus hat sich die Durchlässigkeit zum Hochschulbereich in den letzten Jahren verbessert. Beispielsweise hat die Hochschule Weserbergland einen berufsbegleitenden Bachelorstudiengang entwickelt, der unter Anrechnung der erworbenen Qualifikationen Operative Professionals in vier Semestern zum Abschluss führt.311

Weiterentwicklung des IT-WBS

Ergänzend zu einer bereits abgeschlossenen BIBB-Studie, die eine Neuprofilierung der Ebene der Operativen Professionals vorschlägt, führt das BIBB aktuell eine Voruntersuchung durch, die sich mit der ersten Fortbildungsebene beschäftigt (vgl. Winkler u. a. 2020).

Im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes, der aus einer qualitativen und einer quantitativen Forschungsphase besteht, soll geklärt werden,

  • ob es grundsätzlich einen Bedarf für Fortbildungsabschlüsse und Weiterbildungsinhalte auf DQR-5-Ebene im IT-Bereich gibt und welche Inhalte (insbesondere im Bereich der IT-Sicherheit) hierbei relevant sind,
  • inwiefern die Inhalte der aktuellen Spezialistenprofile diesem Bedarf entsprechen und
  • welche Anpassungsvorschläge sich für eine Neustrukturierung (z. B. durch Reduktion und Neuschneidung der Profile bzw. Profilgruppen) auf Ebene der Berufsspezialisten ableiten lassen.

Abschließende Ergebnisse der Voruntersuchung sollen in der ersten Hälfte 2021 vorliegen und in die geplante Neuordnung des IT-Weiterbildungssystems einfließen.

Ausblick

Im Falle eines solchen Neuordnungsverfahrens wird es Aufgabe der Sachverständigen sein, die aus den empirischen Befunden abgeleiteten Ergebnisse und Empfehlungen auf ihre Relevanz zu überprüfen und Konsequenzen für eine Neustrukturierung bzw. die inhaltliche Anpassung des IT-WBS abzuleiten. Neben diesen inhaltlichen und strukturellen Fragen sind aus Ordnungsperspektive aber insbesondere auch solche Fragen relevant, die auf eine Verbesserung der Implementierung des IT-WBS abzielen. Dazu zählen z. B. die Fragen, wie die Sichtbarkeit und Akzeptanz des IT-WBS in der Wahrnehmung aller relevanten Akteure (potenzielle Teilnehmende, Betriebs- und Personalverantwortliche, Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Stellen, Bildungsdienstleister, Verbände usw.) im IT-Bereich gesteigert werden kann und wie gleichzeitig die Attraktivität des Systems – insbesondere durch Klärung des Verhältnisses zum Hochschulbereich und zu Herstellerzertifikaten – erhöht werden kann. Die Herausforderung wird dabei sein, das IT-WBS zukunftsfähig zu reformieren und es als konkurrenzfähige Alternative zum Hochschulsystem und zu Herstellerzertifikaten zu etablieren. Spannend bleibt, welchen Einfluss die neuen Abschlussbezeichnungen in Kombination mit einer inhaltlichen und strukturellen Neuausrichtung auf die Attraktivität des IT-WBS haben werden.

(Florian Winkler)