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50 Jahre Berufsbildungsgesetz - ein Blick auf die Anfänge und in die Zukunft

Berufsausbildung 1969, das waren viele unzufriedene Jugendliche. Sie wollten den Spruch "Brauchst du 'nen billigen Arbeitsmann, schaff' dir einen Lehrling an" nicht länger akzeptieren und engagierten sich in der Lehrlingsbewegung. Mit dabei war unser Interviewpartner Dr. Klaus Heimann.

50 Jahre Berufsbildungsgesetz - ein Blick auf die Anfänge und in die Zukunft
Dr. Klaus Heimann, freier Journalist und ehemals IG Metall Bildungsexperte

Welchen Beitrag hat das Berufsbildungsgesetz (BBiG) für die Qualität und den weltweit anerkannten Erfolg der Berufsbildung in der Rückschau geleistet?

Heimann: Im Juli 1969 betrat Astronaut und Kommandant der Apollo 11, Neil Armstrong, als erster Mensch den Mond. Auf der Erde trafen sich auf den Weidefeldern eines Milchbauern im US-Bundesstaat New York, 400.000 junge Leute zum legendären viertägigen Woodstock Open-Air-Musikfestival. Das war im August. Und was passierte im Sommer `69 in der Bundesrepublik Deutschland? Da trat am 1. September das Berufsbildungsgesetz (BBiG) in Kraft.

Gegensätzlicher könnten die Ereignisse kaum sein: Stand die Mondlandung doch für technischen Fortschritt, Wagemut und Risikobereitschaft. In der Zeit des Vietnamkrieges träumte die Flower-Power-Bewegung davon, Gewehre in Blumen zu verwandeln. Höhepunkt: das Woodstock-Festival.

Und dann das BBiG. Nein, das hat die Welt nicht wirklich beeindruckt. Ich denke mal, da hat auch in Deutschland niemand so richtig aufgemerkt, als das Paragrafenwerk am 12. Juni 1969 den Deutschen Bundestag passierte. 

Und das beschloss das Parlament: Die fragmentierten gesetzlichen Bestimmungen aus dem Wirtschaftsrecht der Kammern und des Handwerks, gingen über in einen klar strukturierten gesetzlichen – also öffentlichen - Rahmen für die Berufsbildung. Und das war auch gut so.

1919 hatten die Gewerkschaften erstmals die Forderung nach einem einheitlichen Berufsbildungsgesetz gestellt. Es sollte 50 Jahre vergehen, bis das ‚Grundgesetz der Berufsbildung‘ im August 1969 im Gesetzblatt stand.

Die Gewerkschaften waren dennoch ausgesprochen unzufrieden mit dem ersten BBiG. Eine moderne, zeitgemäße Berufsausbildung sei so nicht möglich, vielmehr seien unzureichende Bedingungen zementiert, kritisierten sie. Die Ausbildung der Lehrlinge und Anlernlinge in den Betrieben war den Gewerkschaften zu stark an den Bedürfnissen der Betriebe und nicht an den gesamtgesellschaftlichen Anforderungen, geschweige denn an den Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen, orientiert.

Die Ausbildung sei hochspezialisiert, unsystematisch, pragmatisch - weil unzureichend theoretisch fundiert - und teilweise überhaupt nicht als Lernen, sondern eher als Ausbeutung zu bezeichnen. Genau an dieser betrieblichen Praxis änderte das BBiG nichts.

So hieß es damals in einer Kritik der IG Metall unter der Überschrift ‚Stief- und Waisenkinder der Gesellschaft‘: "Der Lehrling des Jahres 1919 war, der Lehrling des Jahres 1969 ist und der Lehrling ab 1970 soll das Stiefkind der Gesellschaft bleiben. Der in Bonn geschmiedete Berufsausbildungsgesetzentwurf sieht vor, dass fast alles mehr oder weniger beim Alten bleibt. Auch der Stift von morgen soll auf die ,Gnade' seines Arbeitgebers angewiesen bleiben. Für ihn wird es keine öffentliche Ausbildungseinrichtung, kein staatliches Finanzierungssystem für eine zeitgemäße Berufsausbildung und keine ausreichenden Bestimmungen für den Berufsschulunterricht geben." 

Trotz der Kritik am neuen BBiG haben die Gewerkschaften ihre Mitwirkungs-Chancen genutzt: Sei es bei der Entwicklung von Ausbildungsberufen, bei der Anwendung der gesetzlichen Vorgaben für die Ausbildung im Betrieb, in den Berufsbildungs- und Landesausschüssen oder beim Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung (BBF), dem Vorläufer des jetzigen BIBB. Sie waren einfach immer dabei und das war gut so.

In Summe betrachtet: Das BBiG war 1969 letztlich ein Startsignal für mehr gesellschaftliche Debatten zur beruflichen Bildung, die dann in den Jahren danach auch folgten. Mit dem Gesetz war quasi die Bodenplatte gegossen, auf der dann das ‚berufliche Bildungshaus‘ entstand.

Dr. Klaus Heimann

Dr. Klaus Heimann hat eine Ausbildung zum Maschinen-Schlosser in einem mittelgroßen Industriebetrieb absolviert und war viele Jahre später der ‚Bildungspapst‘ der IG Metall. Mit dem BBiG hat er praktisch Erfahrungen gesammelt: im Betrieb, in der Region und im Bund. Heute arbeitet er als freier Journalist, Berater und Moderator in Berlin und ist Mitglied in zwei Berufsbildungsausschüssen.

Welche Bedeutung hat das Berufsbildungsgesetz (BBiG) für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen in der Berufsbildung?

Zunächst einmal ist zu fragen: Was sind denn überhaupt die Herausforderungen der Berufsbildung?

Dass die duale Berufsausbildung ‚unter Druck steht‘, ist offenkundig:

  • Das Interesse der Jugendlichen und ihrer Eltern an einer dualen Ausbildung hat abgenommen und zwar jenseits der demographischen Veränderungen.
  • Die Betriebe haben große Schwierigkeiten sich für junge Frauen attraktiv aufzustellen.
  • Der Bildungsgang integriert Schulabgänger mit besonderen Anforderungen nicht ausreichend (abnehmende Integrationskraft).
  • Die Beteiligung der Betriebe an der Ausbildung nimmt stetig ab.
  • Es gibt einen wachsenden Wettbewerb mit den ‚verberuflichten‘ Hochschulen.
  • Gesellschaftliche Veränderungen wie Globalisierung und Digitalisierung sind nicht mit der erforderlichen Wucht Inhalte der beruflichen Bildung.
  • Es ist bislang nicht gelungen, ein berufliches Weiterbildungssystem zu entwickeln, dass die Menschen und Betriebe begeistert und beim Transformationsprozess umfassend unterstützt.
  • Das betriebliche, berufsschulische und das für die Aufgaben der Weiterbildung notwendige Bildungspersonal ist nicht hinreichend aus- noch weitergebildet.

Da passt es ja gut, dass aktuell das BBiG im Bundestag auf der Agenda steht. Eine gute Gelegenheit, um auf die acht Herausforderungen, Antworten zu finden – oder?

Doch davon sind die Akteure der großen Koalition weit entfernt. Was jetzt dem Parlament vorliegt, sind Korrekturen, die Einführung der Azubi-Mindestvergütung ist schon das Highlight. Viel mehr als Klein-Klein kommt da nicht.

Bleibt die Hoffnung, dass zwei Formate, die sich seit 1969 in der Berufsbildung bewährt haben, weiterhin funktionieren: Das ist einmal die Berufsbildungsforschung und die unterschiedlichen Formate des institutionellen Dialogs der Akteure.

Werden hier die Zukunftsfragen diskutiert, fokussiert und mit mutigen politischen Lösungen ausgestattet, (anstatt administrative Langeweile oder Blockaden zu pflegen), dann könnte es doch noch was werden, mit der Zukunft der beruflichen Bildung im Betrieb.