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50 Jahre Berufsbildungsgesetz - ein erfolgreiches Instrument der Innovationsförderung

Vor 1969 war das Handwerk der einzige Wirtschaftsbereich, der für die berufliche Bildung im Handwerk gesetzliche Regelungen in der Handwerksordnung vorsah. Was sagt der Handwerksmeister und Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf, Andreas Ehlert, zu 50 Jahre Berufsbildungsgesetz?

50 Jahre Berufsbildungsgesetz -  ein erfolgreiches Instrument der Innovationsförderung
Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf

Herr Ehlert, welchen Beitrag hat das Berufsbildungsgesetz für die Qualität und den weltweit anerkannten Erfolg der Berufsbildung in der Rückschau geleistet?

Ehlert: Am letzten Montag habe ich eine Drohne fliegen lassen. Ich führe komplexe Thermographiemessungen durch und prüfe Umwelt- und Sicherheitsstandards an Feuerungsanlagen. Als ich am 1. August 1977 als Schornsteinfeger – übrigens genauso wie der Bäckerlehrling Friedrich Hubert Esser – in die Lehrlingsrolle der Handwerkskammer Düsseldorf eingetragen wurde, lernte ich zuallererst, wie man Kamine ordentlich kehrt. 

In der Rückschau auf die reformfreudigen 1960er und 1970er Jahre wird oft übersehen, dass die Modernisierung des Bildungswesens nicht nur die akademische Welt betraf. Es ging auch darum, den Qualitätsanspruch der beruflichen Bildung zu untermauern. Es ging darum, anpassungsfähige Berufsbilder zu definieren und die Ausbildung und Fortbildung mit einem verlässlichen Qualitätsanspruch zu versehen.

Es ging und geht erstens ganz grundlegend darum, dass sich Arbeitgeber und Verbraucher auf die fachliche Qualität hinter einem bestimmten Zertifikat verlassen können. Wer Geselle ist, versteht etwas von seinem Fach. Ich weiß, was ich ihm zutrauen kann.

Zweitens, und das ist mindestens genauso wichtig, kann jeder, der eine Ausbildung erfolgreich absolviert hat, sicher sein, dass er etwas kann. Berufsbildung ist damit auch eine Schule des Selbstvertrauens und des Selbstbewusstseins. Wer die Gesellenprüfung geschafft hat, hat etwas geleistet, und er weiß, dass ihm durch Leistung alle Wege offen stehen. Dass er etwas Nützliches kann, dass er von anderen gebraucht wird, und dass er mit dieser Einstellung, die ihn durch die Ausbildung getragen hat, sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. Wer eine Ausbildung erhalten hat, der weiß, dass er Verantwortung übernehmen kann – für sich selbst, für das Unternehmen, in dem er arbeitet, und gegenüber dem Kunden, der seine Leistung nachfragt. Wer sich auf diese Weise – im Betrieb, im Wettbewerb, auf der Suche nach praktischen Lösungen – fachliche Qualifikation aneignet, der reift auch als Persönlichkeit und gewinnt an Stehvermögen, egal, wohin ihn sein Weg später noch führt.

 

Berufliche Bildung ist wertvoll, weil sie nützliches Fachwissen vermittelt. Vor allem aber ist sie eine Schule der Freiheit. Denn sie öffnet jungen Menschen Wege, um ein Leben in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu führen.

Andreas Ehlert, Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf

Das Berufsbildungsgesetz liefert auch einen hervorragenden Rahmen dafür, wie sich eine bestimmte Art der Innovation verbreiten kann. Wenn von Innovation die Rede ist, denken wir oft an herausragende Forschungseinrichtungen, an hochgerüstete Forschungsabteilungen großer Unternehmen und an die einigermaßen messbare F/E-Quote – nach dem Motto „Wer viele staatliche Forschungsgelder an Land zieht und viele Projekte betreibt, der ist innovativ“. Berufsbildung, wie sie im Berufsbildungsgesetz angelegt ist, zeigt, dass es auch noch eine andere Art der Wissensvermittlung, des Innovationstransfer, der Kreativität gibt. Qualifizierung im Betrieb ist immer Qualifizierung unter Wettbewerbsbedingungen und mit dem Ziel konkreter Problemlösungen verbunden. Es sind oft kleine, inkrementelle Verbesserungen, es ist verborgenes und verstreutes Wissen, das in ganz konkreten, einzigartigen Zusammenhängen vorhanden ist, weitergegeben und neu kombiniert wird. Dahinter stecken meist keine prestigeträchtigen oder politisch populären Forschungsprojekte, sondern es ist eine evolutionäre, situationsbezogene Weitergabe und Fortentwicklung von Wissen. Die Vielfalt der Erfahrungen, die in zigtausenden von Ausbildungsbetrieben vorhanden sind, wird genutzt, um nachhaltig Neues zu entwickeln – ganz ohne politische Lenkung! Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Berufsbilder anpassungs- und aufnahmefähig bleiben. Sie müssen Veränderungen der Technologien und Märkte ohne lange Verzögerung aufnehmen und die Qualifikation möglichst nah unter den Echtzeitbedingungen des Wettbewerbs vermitteln. Insofern ist das Berufsbildungsgesetz auch eines der erfolgreichsten Instrumente der Innovationsförderung, das man sich nur denken kann. Hier geht es um eine Innovationskultur, die viele flüchtige Startups überdauern wird. In meiner Ausbildung ging es damals darum, das „Kehrgerät“ richtig zu handhaben. Mein Auszubildender macht den „Drohnenführerschein“.

Welche Bedeutung hat das Berufsbildungsgesetz für die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen in der Berufsbildung? 

Ehlert: In Zeiten der Digitalisierung verändern sich viele Berufsbilder rasant, ebenso wandeln sich die Marktbedingungen, unter denen Unternehmen agieren. All das muss die Berufsbildung aufnehmen, abbilden und unterstützen. Flexibilität und Aufgeschlossenheit für Neues werden also künftig noch wichtigere Anforderungen darstellen. Der rechtliche Rahmen der Berufsbildung muss noch mehr darauf ausgerichtet sein, diese Dynamiken aufzunehmen, aber zugleich Berufe zu definieren, die bei allem Wandel eine starke, robuste Identität haben.

Alle Welt redet derzeit über Digitalisierung. Aber die Veränderungen, vor denen die Berufe stehen und die das Berufsbildungsrecht aufnehmen muss, sind nicht nur technischer Natur. Es gibt auch viele ökonomische Veränderungen, und deswegen wird künftig die Schnittstelle von beruflicher und ökonomischer Bildung wichtiger werden.

Wir werden an den allgemeinbildenden Schulen – so wie derzeit in Nordrhein-Westfalen – mehr tun müssen, um die ökonomische Bildung als Teil der Ausbildungsvorbereitung zu stärken. Wenn die Berufsbildung wieder attraktiver für junge Menschen werden soll, wird es darauf ankommen, die Affinität zur Sozialen Marktwirtschaft zu stärken, ein realistisches Bild vom Unternehmertum in der Sozialen Marktwirtschaft zu vermitteln. Gleiches gilt für die Rolle von Arbeitnehmern im Betrieb und im Wettbewerb. Wenn wir in der Schule nur ein unzureichendes oder verzerrtes Verständnis ökonomischer Ordnungsfragen und der daraus abzuleitenden Rollen als Unternehmer, Arbeitnehmer und Verbraucher erreichen, dann wird es uns auch schwer fallen, junge Menschen für unsere Berufe zu begeistern. Zu viele drängen in abgesicherte Positionen im öffentlichen Dienst, und zu viele scheuen den Weg in Berufe und Tätigkeiten, die in der Brandung des Wettbewerbs stehen.

Andreas Ehlert

Andreas Ehlert, geboren 1961, ist als selbstständiger Schornsteinfegermeister und Gebäudeenergieberater in Düsseldorf tätig. Seit 2014 ist er Präsident der Handwerkskammer Düsseldorf und Präsident von Handwerk.NRW e.V., der Dachorganisation der nordrheinwestfälischen Handwerksorganisationen. Von 2015 bis 2017 war er Sachverständiger in der Enquetekommission des nordrhein-westfälischen Landtags zur Zukunft von Handwerk und Mittelstand.

Und wir werden zukünftig der Rolle der ökonomischen Bildung innerhalb der beruflichen Bildung mehr Gewicht beimessen müssen. Im Handwerk ist die Sache klar: Wer aufsteigen will, wer Entfaltungsmöglichkeiten sucht, wer sein eigener Herr sein will, der muss sich früher oder später mit der Frage auseinandersetzen, ob er sich auch die Verantwortung eines Unternehmers zutraut. Gerade in der Höheren Berufsbildung muss neben das Technisch-Fachliche auch das Unternehmerische treten. Denn wer Unternehmer ist, der muss nicht nur im herkömmlichen Sinne Meister seines Fachs sein, sondern er muss auch die ökonomischen Rahmenbedingungen seines Unternehmens verstehen, er muss lernen, Unternehmer zu sein. In vielen Gewerken wird es immer mehr darauf ankommen, jenseits des rein Fachlichen mit anderen Unternehmen zu kooperieren, gewerkeübergreifende Angebote zu erstellen, sich in komplexe Projektplanungen hineinzubegeben. In diesem Sinne war die Meisterschule schon immer auch eine Unternehmerschule. Und der Erfolg der Berufsbildung wird nicht zuletzt davon abhängen, dass sie als Schule der Freiheit, des Unternehmertums taugt.