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Ausbildungsabbrüche in der Pflege

Hintergrund und Ausgangslage

Der Fachkräftemangel ist seit vielen Jahren ein dominierendes arbeitsmarktpolitisches Thema – besonders in der Pflege. Dabei ist davon auszugehen, dass die bereits bestehenden Personalprobleme zukünftig sogar noch zunehmen werden. Prognosen ermitteln eine drohende Versorgungslücke von 187.000 Vollzeitäquivalenten in der Pflege im Jahr 2030 (vgl. BLUM u. a. 2019). Hervorgerufen wird diese Problematik insbesondere durch demografische Entwicklungen in Deutschland: Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt, zudem treten in den nächsten Jahrzehnten besonders geburtenstarke Jahrgänge in eine späte Lebensphase ein. Die Deckung des damit einhergehenden Bedarfs an qualifizierten Pflegekräften stellt eine zentrale Herausforderung im Gesundheitswesen dar.

Vermeidbare Ausbildungsabbrüche in der Pflege sind angesichts dieser Ausgangssituation belastend – nicht nur für die Auszubildenden selbst, die Abbrüche teils als persönliches „Scheitern“ wahrnehmen, sondern auch für die Effizienz des Ausbildungswesens. Fast jeder sechste Ausbildungsvertrag in Deutschland wurde 2019 vorzeitig gelöst (vgl. LEBER/SCHWENGLER 2021, S. 4) . Der Anteil an Vertragsauflösungen in der Pflege kann mittels der Amtlichen Statistik aktuell nicht genau beziffert werden, da im Zuge der Generalistikreform Anpassungen vorgenommen wurden, die eine eingeschränkte Vergleichbarkeit bedingen (vgl. BUNDESREGIERUNG 2021, S. 19-21). Weiterhin ist zu beachten, dass nicht jede erfasste Vertragsauflösung gleichbedeutend mit einem Abbruch ist, da die Ausbildung möglicherweise im Rahmen eines anderen Vertragsverhältnisses fortgesetzt wird. Die Anteile an „echten“ Abbrüchen sind noch schwieriger zu quantifizieren (vgl. UHLY 2015, S. 12-13). Aber auch abseits einer quantitativen Einschätzung des Phänomens bestehen zahlreiche Forschungslücken, die teils mit sich wandelnden Rahmenbedingungen verschränkt sind. So befinden sich das Berufsbildungssystem und die Branche insgesamt in einem Umbruch, da weitreichende Reformen (2019: Pflegepersonal-Stärkungsgesetz, 2020: Pflegeberufegesetz, 2021: Pflegereform) Ausbildung und Beruf grundlegend verändern.

 

Grundlagenforschung mit Praxisbezug

Vor diesem Hintergrund hat das Forschungsvorhaben „Ausbildungsabbrüche in der Pflege“ das Ziel, einerseits einen wissenschaftlichen Beitrag zum Verständnis von Ausbildungsabbrüchen zu leisten: Was sind Gründe und Motive für Ausbildungsabbrüche in der Pflege? Andererseits wird im Rahmen des Forschungsvorhabens die Brücke zur Praxis geschlagen. Es soll ermittelt werden, welche konkreten präventiven Maßnahmen sich am besten eignen, um vermeidbaren Abbrüchen vorzubeugen, und wie diese Maßnahmen effektiv und gewinnbringend implementiert werden können.

Das interdisziplinär ausgerichtete Projektteam, bestehend aus der contec – Gesellschaft für Organisationsentwicklung, IEGUS – Institut für Europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft und dem ISG – Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, forscht gemeinsam mit dem BIBB (Arbeitsbereich 2.6: Pflegeberufe, Geschäftsstelle der Fachkommission nach dem Pflegeberufegesetz) über eine Laufzeit von drei Jahren (2021-2023) zu diesem Thema. Das Projekt gliedert sich in drei inhaltliche Bausteine: Analyse, Erhebung und Pilot.

Analyse

Im Baustein „Analyse“ findet eine Bestandaufnahme und initiale Exploration des Forschungsgegenstands statt. Aufbauend auf dem integrativen Review des BIBB zu Ausbildungsabbrüchen in der Pflege (GARCIA GONZÁLEZ/PETERS 2021) werden zunächst ergänzende und vertiefende Studien recherchiert, um einen möglichst aktuellen und vollständigen Überblick über die verschiedenen Facetten der Thematik zu gewinnen. Parallel dazu werden schon früh Expertinnen und Experten aus der Praxis in das Forschungsvorhaben eingebunden. Wie im ganzen Projekt sollen wissenschaftliche Ergebnisse im engen Austausch mit der Praxis validiert werden. 

 

Workshop-Reihe und Netzwerkaufbau

Die Workshop-Reihe dient zu Projektbeginn vor allem dazu, Inspiration und Feedback aus der Praxis zur Entwicklung eines Maßnahmen- und Kriterienkatalogs  zu sammeln. Die Workshops sollen die aus der Recherche und Datenerhebung empfohlenen Maßnahmen dem „Praxistest“ unterziehen. 
Hierzu wird im Rahmen des Projekts ein Netzwerk aus Expertinnen und Experten, Praktikerinnen und Praktikern sowie der Zielgruppe der Maßnahmen selbst – also Auszubildende und ehemaligen Auszubildenden – entstehen.

 

Ziele der Netzwerkbildung sind u. a.:

  1. eine gemeinsame Vertrauens- und Wissensbasis aufzubauen und durch das wiederholte Zusammenkommen den kritischen Austausch zu fördern,
  2. alle relevanten Akteure für die Pflegeausbildung und die Zielgruppe der Maßnahmen in einem „Team“ zusammenzubringen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten,
  3. das entstandene Netzwerk über den Zeitraum des Projekts hinaus für eine langfristige Struktur zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen in der Pflege zu nutzen.

 

Erhebung

Auf Basis dieser Bestandsaufnahme und den Rückmeldungen aus der Praxis sollen im Baustein „Erhebung“ quantitative und qualitative Daten erhoben werden. Hierzu zählt zunächst eine Längsschnittbefragung (Panel). Das bedeutet, dass eine Auswahl von Auszubildenden in der Pflege im Abstand von sechs Monaten wiederholt befragt wird. In der ersten Befragung werden u. a. persönliche Merkmale, institutionelle Rahmenbedingungen, Motive der Ausbildungswahl und Maßnahmen der Berufsorientierung erfasst, in der zweiten und dritten Befragung nach sechs und zwölf Monaten lassen sich wiederum Personen unterscheiden, die die Ausbildung fortgeführt, gewechselt oder abgebrochen haben. So kann zum einen die ansonsten schwer erreichbare Gruppe der Abbrechenden überhaupt erst erfasst werden, zum anderen lassen sich auch Gründe des Ausbildungsabbruchs zeitnah zur Beendigung der Ausbildung erheben. 

Flankiert wird diese breit angelegte Befragung durch eine Reihe von qualitativen Elementen, die den Forschungsgegenstand aus weiteren Perspektiven beleuchten: Fokusgruppen mit institutionellen Akteuren (Pflegeverbänden und Gewerkschaften), Gruppendiskussionen mit Bildungsinstitutionen (Pflegeschulen, Träger der praktischen Ausbildung) und vertiefende Einzelinterviews mit Auszubildenden und weiteren Akteuren (z. B. Bundesagentur für Arbeit). So sollen die persönlichen Motive für einen Ausbildungsabbruch in den breiteren institutionellen Kontext eingebettet werden. Ergänzend hierzu erschließen besonders die hermeneutisch analysierten Einzelinterviews mit Auszubildenden Begründungszusammenhänge und Strukturlogiken, die mit quantitativen Methoden nicht in gleicher Weise erfasst werden können. Insgesamt soll eine umfangreiche Datenbasis geschaffen werden, die noch stärker den Blick für den zuletzt stark reformierten deutschen Kontext schärft und die Perspektive der Auszubildenden mit verschiedenen methodischen Ansätzen beleuchtet.

 

Pilot

Die im Zuge des Forschungsvorhabens gewonnenen Erkenntnisse sollen in einem weiteren Schritt bereits im Rahmen des Projekts in konkrete Maßnahmen der Abbruchprävention überführt werden. Hierzu sollen in einer Pilotregion zehn Bildungsinstitutionen der Pflege ausgewählt werden, die den im Rahmen der Workshop-Reihe entwickelten Kriterienkatalog zur Abbruchvermeidung praktisch anwenden. Um die Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen sicherzustellen, wird die initiale Implementation dieser Maßnahmen evaluiert. Die praktische Relevanz des zuvor generierten Wissens soll auf diese Weise einer dezidierten Prüfung unterzogen werden, die ggf. auch eine Weiterentwicklung der Maßnahmen zur Folge hat 

Literatur

Blum, K., Offermanns, M. & Steffen P. (2019): Situation und Entwicklung der Pflege bis 2030. Deutsches Krankenhausinstitut. URL: https://www.dki.de/sites/default/files/2019-10/DKI%202019%20-%20Pflege%202030%20-%20Bericht_final_0.pdf (letzter Abruf: 10.12.2021).

González, G. & Peters, M. (2021): Ausbildungs- und Studienabbrüche in der Pflege – ein integratives Review. BIBB Reihe: Pflegeausbildungen nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) URL: https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/17573 (letzter Abruf: 10.12.2021).

Leber, U., & Schwengler, B. (2021). Betriebliche Ausbildung in Deutschland: Unbesetzte Ausbildungsplätze und vorzeitig gelöste Verträge erschweren Fachkräftesicherung. (No. 03/2021). IAB-Kurzbericht. URL: https://doku.iab.de/kurzber/2021/kb2021-03.pdf (letzter Abruf: 10.12.2021).

Uhly, A. (2015). Vorzeitige Vertragslösungen und Ausbildungsverlauf in der dualen Berufsausbildung: Forschungsstand, Datenlage und Analysemöglichkeiten auf Basis der Berufsbildungsstatistik (Heft-Nr. 157). BIBB. Wissenschaftliche Diskussionspapiere. URL: https://www.bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/7601 (letzter Abruf: 10.12.2021)