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Sinkt die Halbwertszeit von Wissen?

Die These der „Halbwertszeit des Wissens“ beschreibt angeblich den Wissensverlust und das stetige Anwachsen von neuen Wissen in modernen Gesellschaften. Ein BIBB-Fachbeitrag untersucht diese These anhand theoretischer Annahmen und empirischer Befunde.

 Sinkt die Halbwertszeit von Wissen?

Im Kontext technologischer Entwicklungen wird immer wieder der massive Verfall und vor allem der massive Anstieg stetigen Verfalls von Wissen erklärt. Untermauert wird dies mit der These der „Halbwertszeit des Wissens“, die den angeblichen Wissensverlust durch das stetige Anwachsen von neuen Wissen in modernen Gesellschaften beschreibt. Tatsächlich besitzt die These der Halbwertszeit keinerlei empirische Grundlage. Auch der Verfall des Wissens ist, wenn man es aus beruflicher und gesellschaftlicher Sicht betrachtet, kein Verfall, sondern eine Präzisierung, Aktualisierung und Erweiterung.

Was besagt die These der „Halbwertszeit des Wissens“?

Je nach Disziplin gilt, so die These, dass nach wenigen Jahren bis Jahrzehnten nur noch die Hälfte von dem, was heute für gesichert gehalten wird, noch gültig ist. Ursache für die zunehmende Verkürzung der Verfallsdauer ist unter anderem die stetige und immer schneller werdende Zunahme von Wissen. Schulwissen ist demnach heutzutage noch nach ca. 20 Jahren zur Hälfte gültig, Hochschulwissen und berufliches Fachwissen verlieren nach zehn bis fünf Jahren 50 Prozent ihrer aktuellen Bedeutung, die Hälfte des nutzbaren technologischen Wissens “verfällt” nach zwei bis drei Jahren und IT-Wissen besitzt zurzeit nur noch eine Halbwertszeit von weniger als zwei Jahren.

Wo ist die Quelle dieser Aussage?

Die fast immer benutzte Abbildung findet sich zuerst in einen Konferenzbeitrag im Jahr 1994 von Munbodh (1994), der sich wiederum auf einen Training Guide von Festo Didactics aus Mauritius (Edwards 1993) bezieht (Möller 2017, S. 399). Bei Festo Didactics handelt es sich um eines der weltweit führenden Unternehmen der industriellen Aus- und Weiterbildung.

Wie wird sie erklärt?

Für diese Aussagen der Halbwertszeit gibt es keinerlei empirische Belege. Herangezogen werden für die Erläuterungen zumeist bibliometrische Studien des Zitationsverhaltens und der tatsächlichen Nutzung von wissenschaftlicher Literatur, die wiederum Rückschlüsse auf die Bedeutung und den Bedarf an Literatur zulässt. Hinsichtlich der Geschwindigkeit des Verfalls wird die Zunahme an Informationen (häufig gemessen in Terrabyte) verwendet.

Verfällt tatsächlich unser Wissen?

Wissen verliert nicht an Bedeutung. Bestimmte Wissensinhalte werden entweder nicht mehr benötigt (zeitweise oder für längere Zeit), also nicht mehr nachgefragt, oder aber sie werden soweit weiterentwickelt, dass das bisherige Wissen darin aufgeht, marginalisiert wird oder sich verändert. Im ersten Fall wird es dadurch zwar überflüssig, aber es bleibt Wissen und niemand kann sagen, ob es nicht eines Tages wieder benötigt wird.

Im zweiten Fall entwickelt es sich weiter und wird zu einem Basiswissen, welches nicht sehr selten als Wahrheit oder kollektives Wissen abgetan wird. Es ist aber fundamental für das Verständnis der darauf aufbauenden Strukturen. Und nicht selten liegt in diesem Grundlagenwissen die Lösung für Probleme, die irgendwann einmal auf höherem Abstraktionsniveau als Problem auftauchen könnten. Wissen verliert somit nicht an Wert, sondern es erfährt eine Präzisierung, Aktualisierung und Erweiterung.