Bildung unter der Lupe – Wie wirksam ist Wirksamkeitsforschung?
Fachvortrag von Prof. Dr. Klaus Zierer im BIBB
Prof. Dr. Klaus Zierer (Universität Augsburg) nahm in seinem Vortrag am BIBB die Wirksamkeitsforschung kritisch unter die Lupe – und stellte unbequeme Fragen. Warum mehr Differenzierung nötig ist – und wo Evidenz an ihre Grenzen stößt.
Volles Haus im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB): Prof. Dr. Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, sprach über die Möglichkeiten und Grenzen der Wirksamkeitsforschung im Bildungsbereich. Unter dem Titel „Evidenz aller Orten?! Möglichkeiten und Grenzen der Wirksamkeitsforschung im Bildungsbereich“ stellte er Chancen und Risiken der empirischen Bildungsforschung dar – und plädierte für Differenzierung statt Verkürzung.
Begrüßt wurde der Gastredner von Prof. Dr. Hubert Ertl, Forschungsdirektor des BIBB. Ertl betonte in seiner Einführung: „Die Metastudie Visible Learning von John Hattie hat seit über 15 Jahren großen Einfluss auf die Bildungspolitik weltweit. Klaus Zierer ist der Hattie-Experte, der Visible Learning in den deutschen Kontext gebracht hat.“
Prof. Dr. Klaus Zierer (* 1976 in Vilsbiburg) ist ein deutscher Erziehungswissenschaftler und Hochschullehrer. Er ist seit 2015 Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Davor war er von 2011 bis 2015 als Universitätsprofessor für Erziehungswissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Evidenzforschung - Zwischen Schlagwort und Realität
In seinem Vortrag nahm Prof. Zierer bekannte Referenzen wie John Hatties Visible Learning und internationale PISA-Studien kritisch unter die Lupe. Aussagen wie „Hattie sagt …“ oder „PISA hat gezeigt …“ prägten zwar die Debatten, konstatierte Zierer, seien aber häufig verkürzt oder missverständlich.
„Fastfood-Hattie: Zu schnell zu glauben, wie man die Bildungswirklichkeit besser macht – das klappt nicht“, warnte Zierer. Evidenz sei kein Allheilmittel: „Bildung vom sozialen Hintergrund vollständig zu entkoppeln – das ist unmöglich.“
Die Arbeiten von John Hattie sind in der Berufsbildung noch vergleichsweise wenig rezipiert worden. Der Vortrag von Klaus Zierer hat gezeigt, dass viele der in Visible Learning entwickelten Erkenntnisse durchaus eine hohe Relevanz auch für berufliche Aus- und Weiterbildung haben können. Die Wirkung von bildungspolitischen Initiativen wird auch im Bereich der Berufsbildung stärker in den Vordergrund treten.
Prof. Dr. Hubert Ertl
Die Metastudie Visible Learning von John Hattie hat seit über 15 Jahren großen Einfluss auf die Bildungspolitik weltweit. Klaus Zierer ist der Hattie -Experte, der Visible Learning in den deutschen Kontext gebracht hat.
Prof. Dr. Klaus Zierer
Zu schnell zu glauben, wie man die Bildungswirklichkeit besser macht – das klappt nicht. Evidenz ist kein Allheilmittel: Bildung vom sozialen Hintergrund vollständig zu entkoppeln – das ist unmöglich.
Wo Evidenz an ihre Grenzen stößt
Ausgangspunkt seiner Analyse war Hatties Ansatz, Metaanalysen zu bündeln und damit scheinbar gesicherte Aussagen über die Wirksamkeit von Unterrichtsformen und Methoden zu treffen. Zierer betonte, dass empirische Bildungsforschung wertvolle Erkenntnisse liefern könne, aber immer im Kontext gesehen werden müsse:
- Stärken: Validität durch die Zusammenfassung zahlreicher Studien
- Schwächen: Unterschiedliche Qualitätsstandards, kulturelle Unterschiede, eingeschränkte Vergleichbarkeit
Wichtiger als die Frage „Was wirkt?“ sei, so Zierer, die Frage: „Was wirkt am besten – und unter welchen Bedingungen?
Zentrale Einsichten und Impulse
„Was also ist ein funktional passender Unterricht, vor allem wenn es um die systemischen Übergänge geht? Von der Grundschule in die weiterführenden Schulen und weiter in die Betriebe“, fragte Zierer einleitend. Im Zentrum des Vortrags stand seine Botschaft, dass nicht Oberflächenstrukturen, sondern Tiefenstrukturen entscheidend für nachhaltiges Lernen sind. Freude sei dabei der Motor des Lernens, doch dürfe Effektivität nicht aus dem Blick geraten – nicht alles, was effektiv sei, bringe Freude, und nicht alles, was Freude bringe, sei effektiv. Gerade in der Balance liege die Herausforderung.
Deutlich wurde auch Zierers Haltung zur Mediennutzung: „Der junge Mensch muss denken lernen. Wer das nicht kann, ist der Technik gnadenlos ausgeliefert. Sinnvoll eingesetzt sind Medien eine große Hilfe. Aber gedankenlos eingesetzt ist es der Untergang.“ Darüber hinaus verwies er auf gesellschaftliche Entwicklungen wie Cybermobbing, sinkende Lesekompetenzen und die Rolle der Schule als gemeinschaftsbildende Institution, die in der Diskussion um Wirksamkeit nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
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Diskussion und Ausblick
Im Anschluss an den Vortrag entspann sich eine lebhafte Diskussion. Mehrere Fragen aus dem Publikum zielten auf die Bedeutung der Befunde für die Berufsbildung.
Prof. Zierer machte deutlich, dass die empirische Bildungsforschung ein „Mosaikstein“ sei, der nur zusammen mit anderen Dimensionen wie Kultur, Gesellschaft und individueller Biografie das Gesamtbild von Bildung ergeben könne: „Demokratie lebt davon, dass Menschen Entscheidungen treffen können – in eigener Freiheit. Wenn wir also über Wirksamkeit sprechen, dann ist es wichtig zu konstatieren, dass Bildung nicht gleich Lernen ist. Bildung umfasst weitaus mehr, und vieles davon lässt sich nicht mit Wirksamkeit messen, ist aber dennoch wichtig.“