USA zeigen wachsendes Interesse an dualer Ausbildung
Eine geplante Gesetzesinitiative der US-Regierung rückte in den letzten zwei Jahren das Thema der dualen Berufsbildung verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Einer Einladung der Deutschen Botschaft folgend, nahm Prof. Dr. Hubert Ertl, Forschungsdirektor und Ständiger Vertreter des Präsidenten des BIBB, in der letzten Woche als Experte für das duale Berufsbildungssystem an hochrangig besetzten Veranstaltungen zum amerikanischen Reformprozess in Boston und Washington D.C. teil.
Am 31. Oktober 2019 trafen sich Prof. Ertl und Vertreter der Ministerien für Arbeit, Wirtschaft und Bildung am Sitz des Delegierten der Deutschen Wirtschaft in Washington D.C. (RGIT) zu einem Gespräch. Von besonderem Interesse für die US-Amerikaner waren Erfahrungen mit dem Vorhaben, dual organisierte berufliche Ausbildung in Wirtschaftssektoren zu verankern, die bislang wenig Erfahrung mit Ausbildung am Arbeitsplatz haben. Dies ist ein Ziel der geplanten Einführung der sogenannten Industry-Recognized Apprenticeship Programs (IRAP) in den USA. Prof. Ertl warnte davor, diese Ausweitung auf Kosten von Transparenz und Qualität von Ausbildungsstandards voranzutreiben. So müssten Ausbildungsstandards immer sektorweit ausgelegt sein und nicht nur die Bedürfnisse einzelner Unternehmen widerspiegeln.
Kernelemente dualer Ausbildung als Grundlage für internationale Kooperation und Beratung in der beruflichen Bildung
Die Erfahrungen des BIBB in der Kooperation und Beratung ausländischer Partner in Fragen der beruflichen Bildung war Gegenstand eines Seminars, das Prof. Ertl im Anschluss an den RGIT-Termin bei der Weltbank durchführte. Die teilnehmenden Mitarbeiter von Weltbank und anderen Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen zeigten großes Interesse an den vom BIBB entwickelten Ansätzen zum Aufbau und zur Unterstützung von Berufsbildungssystemen, in denen arbeitsplatzorientiertes Lernen traditionell nicht verankert ist.
Weitere Informationen zum internationalen Beratungsansatz des BIBB
In der Diskussionsrunde wurden in erster Linie Fragen zur Beteiligung der Sozialpartner am Ausbildungsgeschehen, hinsichtlich abzusehenden Veränderungen in nationalen und globalen Arbeitsmärkten und bezüglich der durch Digitalisierung notwendig werdenden Veränderungen in Ausbildungsinhalten und -methoden thematisiert. Zum Abschluss des Seminars betonten Vertreter der Weltbank ihr Interesse, in Zukunft mit dem BIBB in Fragen der nachhaltigen internationalen Kooperation und Beratung in der Berufsbildung zusammenzuarbeiten.
Arbeitsplatzorientierte Ausbildung als zentrales Element in Fachkräftestrategien
Die zukünftigen Strategien zur Weiterentwicklung der arbeitsplatzorientierten Berufsausbildung in den USA standen auch im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, die am 1. November 2019 im Rahmen der German American Conference an der Harvard Kennedy School stattfand. Prof. Ertl brachte spezifische Aspekte der deutschen Diskussion ein und unterstrich besonders die Bedeutung der Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern bei der Entwicklung von Ausbildungsordnungen in Deutschland. Angesichts des aktuellen Reformbestrebens in den USA, scheint ein robuster und von allen beteiligten Seiten akzeptierter Prozess zur Festlegung von Ausbildungsinhalten und -standards besonders wichtig zu sein. In vielen Bereichen fehlt in den USA jedoch ein konsensuales Verfahren dazu.
Von amerikanischer Seite betonte John Ladd vom US-Arbeitsministerium, dass sich die Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in vielen Bundesstaaten der USA schwierig gestaltet, weil nicht überall die notwendigen Gewerkschaftsstrukturen vorhanden sind.
Barbara Humpton, Vorstandsvorsitzende von Siemens USA, verwies auf Ausbildungsprogramme bei Siemens, die sich an den Standards der dualen Ausbildung in Deutschland orientieren und einen wesentlichen Beitrag zur Fachkräftesicherung des Unternehmens in den USA leisten. Sie räumte jedoch ein, dass die Expertise des deutschen Mutterkonzerns und die Größe des Unternehmens es erleichtert, eine moderne Ausbildung anzubieten.
Andrea Mayfield, Direktorin des Mississippi Community College Board, berichtete von Strategien der Community Colleges, Ausbildungsprogramme zusammen mit lokalen Unternehmen zu entwickeln. Finanzierungsengpässe bei kollaborativen Projekten erweisen sich jedoch häufig als ein unüberwindliches Hindernis. Der Staat sei hier in der Verantwortung, mehr Unterstützung zu leisen.
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion griffen in der Fragerunde mit den Zuhörern u. a. das Thema der Integration von Jugendlichen aus gesellschaftlichen Minderheiten auf. Dabei stellte sich heraus, dass es trotz aller Unterschiede zwischen den Systemen durchaus ähnliche Erfahrungen mit ausgewählten Integrationsinstrumenten gibt. So müssen erfolgsversprechende Instrumente langfristig angelegt sein und die besonderen Bedürfnisse von verschiedenen Zielgruppen spezifisch aufgreifen.
Hintergrund
Die Regierung der USA hat in den letzten beiden Jahren Reformen im Bildungssystem vorangetrieben, die das Ziel verfolgen, dual organisierte Ausbildung zu stärken und auszuweiten. Während der zweimonatigen Konsultationsperiode nach Veröffentlichung des Gesetzentwurfs gingen über 325.000 Kommentare, Stellungnahmen und Gegenvorschläge beim Arbeitsministerium ein. Dies zeigt die Brisanz des Themas und die unterschiedlichen Ansichten dazu. Der Entwurf kann unter nachfolgendem Link aufgerufen werden.
Proposed Rule on Industry-Recognized Apprenticeship Programs