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Drei Fragen an... Anika Lieberenz, Bildungsreferentin im Projekt „ARTKfz“

Die Arbeit der Kfz-Mechatroniker/-innen erfordert zunehmend IT- und Medienkompetenzen zur Bewältigung der digitalen Anforderungen. Das Projekt „ARTKfz“ setzt neue Technologien ein, um überbetriebliche Ausbildungskurse zu modernisieren.

Sonderprogramm ÜBS-Digitalisierung: Digitale Schaltpläne, Konstruktionszeichnungen oder Prüfsystem: Die tägliche Arbeit der Mechatroniker/-innen wird digitaler. Wie weitreichend sind die veränderten Aufgabenbereiche des Kfz-Handwerks?

Anika Lieberenz: Eine tiefgreifende Veränderung fand bereits 2001 mit der Neuordnung der kraftfahrzeugtechnischen Berufe statt. Damit trug man der Entwicklung Rechnung, dass zusätzlich zu den Grundlagen der mechanischen Wartung, Instandsetzung etc. das Wissen über Daten-Bus-Vernetzungen, elektronische Regelsysteme, Steuergeräte und Computertechnik berücksichtigt werden musste.

Dementsprechend muss auch das Wissen über die Prozessketten und die Systemverknüpfung vermehrt in unsere Ausbildung Einzug halten.

Anika Lieberenz

Ein Beispiel: Ein modernes Oberklassefahrzeug hat ausstattungsabhängig ca. 150 Steuergeräte verbaut. Das bedeutet, dass hier das Denken in Prozessen und nicht ausschließlich in Komponenten, wie Mechanik oder Hydraulik, wichtig ist. Diese sogenannte Prozesskompetenz wird auch in der berufs- und betriebspädagogischen Literatur seit langem diskutiert. Dementsprechend muss auch das Wissen über die Prozessketten und die Systemverknüpfung vermehrt in unsere Ausbildung Einzug halten. Das ist eigentlich die weitreichendste und herausforderndste Veränderung im Berufsbild und somit auch in der Lehre – zielführende Diagnose- und Instandsetzungstätigkeiten, die man prozessorientiert angehen muss.

Ein weiteres Beispiel hierzu: Wenn eine Kundin oder ein Kunde wegen schlechten Schaltverhaltens eines Doppelkupplungsgetriebes in die Werkstatt kommt, ist die Lösung ein Software-Update für das Getriebe-Steuergerät mit anschließender Parametrierung. Das smarte Auto zeigt die Lösung nicht an, nur den Fehler. Das heißt, die Auszubildenden müssen lernen, Diagnosetester zu nutzen, um herauszufinden welchen Grund diese Kundenbeanstandung hat. Mit dieser Art Kundenauftrag sind die zukünftigen Fachkräfte dann in der Werkstatt konfrontiert.

Sonderprogramm ÜBS-Digitalisierung: Mit Ihrem Projekt „ARTKfz“ möchten Sie Augmented-Reality-Szenarien in die Ausbildung integrieren. Welche Leistungsfähigkeit oder auch Grenzen erwarten Sie vom Einsatz dieser Technologie?

Anika Lieberenz: In der Lehr-/Lernforschung sprechen wir von Extended-Reality Szenarien – kurz XR-Szenarien (Anm. d. Red.: XR, auch Cross Reality, beinhaltet Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Mixed Reality (MR)). Für die Projektphase möchten wir in erster Linie den Mehrwert des Augmented-Reality-Szenariums nutzen, das heißt. wir legen virtuelle Detailinformationen über das reale Bauteil, um damit ein tieferes Verständnis für die entsprechenden Bauteile und auch Systemzusammenhänge zu schaffen.

Wir haben in unseren Werkstätten für die überbetriebliche Ausbildung (ÜBA) besonders in den komplexeren Kursen im Bereich der Diagnosetechnik, Stationslernen an Bauteilen und kompletten Fahrzeugen nach dem Prinzip der vollständigen Handlung implementiert, in denen die Auszubildenden den gesamten Diagnoseprozess trainieren. Sie beschaffen sich selbstständig Informationen, um Fehler an verschiedenen Fahrzeugen und verschiedenen Bauteilen zu diagnostizieren. Gerade in dieser Phase erhoffen wir uns einen Mehrwert durch die Anreicherung mit AR.

Zusätzlich möchten wir in der Projektphase auch die Chancen von VR-Szenarien beleuchten. Ein Beispiel: Als überbetriebliches Bildungszentrum sind wir natürlich nicht in der Lage von jedem Bauteil und jedem Fahrzeug Modelle vorzuhalten. Wenn wir es aber schaffen über Herstellerkooperationen oder andere Netzwerke CAD-Pläne dieser Komponenten zu erhalten, hätten unsere Auszubildenden die Möglichkeit virtuell an Modellen zu arbeiten, die wir nicht in der Werkstatt haben. Wir arbeiten deshalb im Projekt mit einer AR- und VR-fähigen Software.

Aber auch nach den Herausforderungen im Zusammenhang mit der XR-Technologie hatten Sie gefragt. Wir arbeiten im Projekt mit einem skalierbaren Tool. Wir haben uns dafür entschieden, weil wir für eine nachhaltige Implementierung von XR-Technologie im gesamten Bildungszentrum auch über den Projektzeitraum hinaus eine Software benötigen, die uns eine stetige Anpassung der Trainings ermöglicht. Es nützt nichts, wenn wir in dem Projekt Programmierer/-innen beauftragen, die uns einmalig eine Handlungssituation programmieren, die im schlimmsten Fall in zwei Jahren obsolet ist. Die von uns verwendete Software ermöglicht uns eine selbstständige Erstellung von Trainingsszenarien auf Basis von CAD-Dateien und genau das macht es auch zu einem Problem. Um diese Daten zu bekommen, muss ich bei den Herstellern oder anderen Partnern Klinken putzen, ihnen erklären, wozu ich die CAD-Daten benötige und wie ich damit sicher umgehe. Es ist ein großer zeitlicher Aufwand und nicht immer von Erfolg gekrönt und sicherlich eine Hürde bei der Umsetzung; gerade wenn eine Projektförderung endet und man diese Prozesse ins Tagesgeschäft einbinden muss.

Sonderprogramm ÜBS-Digitalisierung: Das Projektteam beabsichtigt Ausbildungspersonal zu qualifizieren, selbständig virtuelle Elemente in den analogen Unterricht einzubinden. Welche technischen und methodisch-didaktischen Voraussetzungen müssen dafür entwickelt und umgesetzt werden?

Anika Lieberenz: Technisch: das Autorentool. Langfristig ist die wichtigste technische Voraussetzung die Bereitstellung eines praktikablen, wirtschaftlichen Autorentools. Daher ist es eine essentielle Projektaufgabe unsere gewählte Software auf Herz und Nieren zu prüfen und auch mit ähnlich funktionierenden Konkurrenzprodukten zu vergleichen. Am Ende muss das gewählte Produkt langfristig sowohl aus Anwender- als auch Nutzerperspektive passen, damit eine nachhaltige Akzeptanz der Technologie im Lehr-Lernkontext für das Bildungszentrum erreicht werden kann.

Das Thema Netzwerk und Sicherheit spielt ebenfalls eine große Rolle. Wir arbeiten mit CAD-Dateien, also sehr großen Datenmengen, und müssen daher dafür Sorge tragen, dass das Netzwerk in unseren Werkstätten ausreichend leistungsfähig ist. Nichts ist schlimmer als ein aufwändig konstruiertes Setting, das dann in der Wiedergabe hakt und zu langsam läuft, weil das Netzwerk nicht leistungsfähig genug ist. Zudem müssen wir dafür Sorge tragen, dass die uns zur Verfügung gestellten CAD-Pläne, mit Sorgfalt und unter Einhaltung aller sicherheitsrelevanten Auflagen für die digitalen Lehr-Lerneinheiten verarbeitet werden.

Das AR-Szenarium ist nur so gut wie das Lehr-/Lernsetting.

Anika Lieberenz

Methodisch-didaktisch: Das AR-Szenarium ist nur so gut wie das Lehr-/Lernsetting, das man darum entwirft. Die Konzeption eines komplexen Lehr-/Lernszenariums nach dem Prinzip der vollständigen Handlung erfordert pädagogisches Geschick. Dies besitzt unser Lehrpersonal zweifelsohne, aber oftmals mangelt es an der Zeit in diese Szenarien auch noch eine AR-Sequenz einzubauen. Man muss es durchdenken, man muss das mit seinen Kolleginnen und Kollegen besprechen, man muss es ausprobieren und anpassen. Sie müssen intrinsisch motiviert sein und auch Freude daran haben, den Zeitinvest zu leisten. So banal es sich anhört: Der Faktor Zeit ist eine große Hürde, die wir angehen müssen. Deshalb nutzen wir den Projektzeitraum, um Online-Tutorials zu erstellen, die dann flexibel durchgearbeitet werden können. Zudem steht ein Ausbilder-Peer langfristig als Expert/-in und Ansprechpartner/-in zur Verfügung. Das Wissen geht also nach Projektende nicht verloren.

Sonderprogramm ÜBS-Digitalisierung: Herzlichen Dank für das Interview.