ZfE-Forum im Zeichen der beruflichen Orientierung
18.12.2025
Das Forum der „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ (ZfE) im BIBB beleuchtete aktuelle empirische Forschung zu beruflichen Entscheidungen im Erwachsenenalter und den Auswirkungen von Arbeitsmarktveränderungen. Insbesondere die Rolle der Berufsorientierung als fortlaufender Prozess stand im Fokus.
Zentrale Fragen im Zusammenhang mit der beruflichen Orientierung und den vielfältigen Übergängen im Erwerbsverlauf standen im Zentrum des Forums der „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ (ZfE), das Mitte Dezember im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) stattfand. Die Beiträge beleuchteten die aktuelle empirische Forschung zu beruflichen Entscheidungen im Erwachsenenalter, zur Rolle von strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt sowie zu Bildungs- und Berufsverläufen in Engpass- und Mangelberufen. Sie zeigten eindrucksvoll, wie individuelle Motive, institutionelle Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Entwicklungen die Gestaltung von Berufsbiografien prägen.
Initiiert wurde das Forum von BIBB-Forschungsdirektor Prof. Dr. Hubert Ertl, der seit 2021 als Mitherausgeber der ZfE fungiert. Die „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ ist eines der Leitmedien im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Forschung in Deutschland. Organisiert wurde das Forum vom BIBB durch Prof. Dr. Hubert Ertl und Jun-Prof. Dr. Alexandra Wicht sowie vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für lebenslanges Lernen (DIE) durch Prof. Dr. Sylvia Rahn und Dr. Kerstin Hoenig.
Berufliche Orientierung ist ein fortlaufender Prozess
Berufliche Orientierung im Erwachsenenalter, so der Tenor des Forums, sei kein einmaliger Schritt, sondern ein fortlaufender Prozess, in dem Menschen sich immer wieder neu zu ihrer beruflichen Identität positionieren. Biografische Perspektiven machen sichtbar, dass Entscheidungssituationen häufig an Übergangspunkten entstehen – etwa nach Neuanfängen, Brüchen oder veränderten Arbeitsbedingungen. Diese wiederkehrenden Orientierungsphasen sind stets in persönliche Lebenslagen und gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet.
Empirische Studien zeigen, dass Veränderungen in Tätigkeitsstrukturen und technologischen Entwicklungen neue Anforderungen schaffen und Beschäftigte vor die Frage stellen, wie sie ihre berufliche Zukunft gestalten möchten. Besonders in Bereichen, in denen Arbeitsprozesse stärker automatisierbar sind, gewinnt diese Frage an Bedeutung.
Gleichzeitig rückt die Weiterbildung stärker in den Blick: sie ermöglicht, Kompetenzen zu aktualisieren, berufliche Spielräume zu erweitern und Übergänge im Erwerbsverlauf bewusst zu gestalten. Dies gilt insbesondere für ältere Beschäftigte. Längsschnittanalysen zeigen, dass arbeitgeberinitiierte Weiterbildung sogar den Zeitpunkt des Renteneintritts beeinflussen und Erwerbsphasen verlängern kann.
Einen zusätzlichen Akzent setzt die Forschung zur professionellen Entwicklung angehender Lehrkräfte: Der Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen, Unsicherheiten oder pädagogischen Dilemmata prägt maßgeblich den Berufseinstieg und kann positiv wie negativ auf die langfristige Bindung an den Lehrerberuf wirken. Diese Perspektive ergänzt den Blick auf berufliche Orientierung im Erwachsenenalter um die Bedeutung beruflicher Identität und professioneller Selbstpositionierung.
Prof. Dr. Sylvia Rahn (DIE): „Die Forschung zeigt eindrucksvoll, dass berufliche Orientierung kein linearer Weg, sondern ein kontinuierlicher Prozess ist. Gerade im Erwachsenenalter entstehen neue Weichenstellungen – ausgelöst durch technologische, organisatorische oder persönliche Veränderungen. Diese Komplexität müssen wir in Beratung, Bildungspolitik und Forschung gleichermaßen stärker berücksichtigen.“
Berufsentscheidungen in Engpass- und Mangelberufen
In einem weiteren Themenblock richtete das ZfE-Forum den Blick auf Berufsbereiche, in denen der Fachkräftemangel besonders spürbar ist – etwa im Lehramt oder in der Pflege. Die auf dem Forum vorgestellten Beiträge zeigten, dass die Ursachen von Engpässen je nach Berufsfeld unterschiedlich gelagert sind. Eine berufsfeldübergreifende Perspektive macht sichtbar, dass Anforderungen, Tätigkeitsprofile und Arbeitsbedingungen stark variieren und dadurch beeinflussen, wie junge Menschen diese Berufe wahrnehmen und welche Optionen sie für sich in Betracht ziehen.
„Die Forschung zu Mangelberufen zeigt klar, wie eng strukturelle Anforderungen am Arbeitsmarkt und individuelle Bildungsentscheidungen miteinander verbunden sind. Um Fachkräftesicherung nachhaltig zu gestalten, müssen wir die Attraktivität dieser Berufe gezielt stärken und die Entscheidungsprozesse junger Menschen differenziert in den Blick nehmen. Hierzu leistet das BIBB-Themencluster ‚Berufliche Orientierung, Bildungs- und Berufseinstiegsverläufe‘ einen wesentlichen Beitrag.“
Prof. Dr. Hubert Ertl
Für das Lehramt zeigt sich zum Beispiel, dass sich die Berufswahl besonders stark an persönlichen Motiven und beruflichen Vorstellungen orientiert. Freude am Umgang mit Lernenden, pädagogisches Interesse sowie der Wunsch nach gesellschaftlicher Wirkung spielen eine wichtige Rolle. Gleichzeitig wirken Faktoren wie ein als gering wahrgenommenes Berufsprestige oder Zweifel an der eigenen Erfolgsaussicht eher hemmend – insbesondere im Hinblick auf das berufliche Lehramt. Die Entscheidung für oder gegen einen derart systemrelevanten Beruf entsteht damit im Zusammenspiel aus persönlicher Motivation und der Art und Weise, in der der Beruf gesellschaftlich wahrgenommen wird.
Auch im Bereich der Pflege zeigt sich ein komplexes Zusammenspiel zwischen persönlichen Motiven und strukturellen Rahmenbedingungen. Viele Auszubildende entscheiden sich aufgrund positiver Erfahrungen, eines ausgeprägten Interesses an zwischenmenschlicher Arbeit oder des Wunsches, Verantwortung zu übernehmen, für einen Beruf in diesem Bereich. Gleichzeitig können jedoch Belastungs- und Anforderungswahrnehmungen dazu führen, dass der Beruf trotz hoher gesellschaftlicher Relevanz weniger attraktiv erscheint.