Beruflich qualifiziert studieren
Die Möglichkeit des „Studierens ohne Abitur“ ist ein zentraler Baustein der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Bereits vor einem halben Jahrhundert diskutiert, wurde mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz im Jahr 2009 ein entscheidender Meilenstein dafür gesetzt. Inzwischen hat sich das Studieren mit einer beruflich erworbenen Zugangsberechtigung als fester Bestandteil eines durchlässigen Bildungssystems etabliert. Darüber hinaus haben die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen sowie die Integration zielgruppenspezifischer Qualifizierungsangebote an Hochschulen das Studieren für beruflich Qualifizierte nachhaltig verbessert.

Die Weiterentwicklung eines durchlässigen Bildungssystems in Deutschland erfordert umfassende Maßnahmen, die über den Zugang zum Studieren ohne Abitur hinausgehen. Seit Beginn der 2000er-Jahre wurden weitere Schritte unternommen, um Übergänge zwischen Bildungsbereichen passgenau zu optimieren. Dazu zählen insbesondere die Anrechnung zuvor erworbener beruflicher Kompetenzen sowie die Gestaltung und Etablierung maßgeschneiderter Studienangebote für beruflich Qualifizierte.
Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte
Nach der Definition der Kultusministerkonferenz (KMK) sind beruflich Qualifizierte – im Kontext des Hochschulzugangs – Personen, die eine Hochschulzugangsberechtigung (HZB) aufgrund von beruflicher Qualifikation und/oder Berufserfahrung erlangt haben. Ein wegweisender Beschluss der KMK im Jahr 2009 zum „Hochschulzugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung“ sicherte dieser Zielgruppe einen rechtlich verankerten Anspruch auf den Hochschulzugang – geregelt durch die Hochschulgesetze der Bundesländer.
KMK-Beschluss von 2009
Mit dem Beschluss der KMK von 2009 einigten sich die Länder auf gemeinsame Kriterien des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber ohne schulische Hochschulzugangs-berechtigung. Danach sollen Inhaberinnen und Inhaber von Abschlüssen einer beruflichen Aufstiegsfortbildung (Meister, Techniker, Fachwirte o.ä.) – heute auch als Fortbildungen der höherqualifizierenden Berufsbildung bezeichnet – eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erhalten. Beruflich Qualifizierte ohne Abschluss einer Aufstiegsfortbildung hingegen sollen eine fachgebundene Hochschulreife erlangen, wenn sie eine mindestens zweijährige einschlägige Berufsausbildung abgeschlossen haben sowie eine dreijährige einschlägige Berufspraxis nachweisen und ein Eignungsfeststellungsverfahren oder ein einjähriges Probestudium erfolgreich durchlaufen haben. Inzwischen haben die Länder die geltenden Zugangsvoraussetzungen teilweise überarbeitet, so dass in einzelnen Bundesländern bspw. auf das Ablegen eines Eignungstests verzichtet oder nur eine Berufspraxis von zwei Jahren vorausgesetzt wird.
Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) bietet mit der Plattform „Studieren ohne Abitur“ einen umfassenden Service für studieninteressierte beruflich Qualifizierte. Die Plattform enthält umfassende bundeslandspezifische Informationen zu Regelungen der Anrechnung beruflicher Kompetenzen und Studienfinanzierung. Ergänzend stehen drei CHECKs zur Verfügung, die Studieninteressierten eine erste Orientierung für den Einstieg ins Studium ohne Abitur bieten. Der Service wird ergänzt durch ein Daten-Monitoring zur Entwicklung von Studienanfänger-, Studierenden- sowie Absolventenzahlen sowie Informationen zu relevanten Publikationen.
Seit der bundesweiten Einführung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte im Jahr 2009 hat sich die Zahl der Studierenden ohne (Fach-)Abitur mehr als verdoppelt. Laut aktuellen Zahlen des CHE aus dem Jahr 2024 bleibt die „quantitative Entwicklung weitgehend konstant“ gegenüber dem Vorjahr. Der Anteil Studierender ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung (HZB) liegt weiterhin bei 2,4 Prozent aller Studierender. Das entspricht rund 70.000 eingeschriebenen Personen aus dieser Gruppe an deutschen Hochschulen.[1]
Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen
Die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge ist ein weiterer zentraler Baustein zur Förderung der Übergänge beruflich Qualifizierter in die Hochschulbildung. Die rechtliche Grundlage schufen die KMK-Beschlüsse von 2002 und 2008, die bis 2014 in die Landeshochschulgesetze aufgenommen wurden. Diese Regelungen ermöglichen es, Kompetenzen und Qualifikationen aus formalen, non-formalen oder informellen Bildungszusammenhängen qualitätsgesichert anzurechnen, um Studienzeiten zu verkürzen und Ressourcen zu schonen.
Anrechnung
Im Prozess der Anrechnung wird die Gleichwertigkeit der Kompetenzen nach Inhalt und Niveau geprüft. Bei der Gestaltung der Anrechnungsverfahren ist zwischen individuellen, pauschalen und kombinierten Verfahren zu unterscheiden. Das jeweilige Verfahren ist an den einzelnen Hochschulen zu erfragen.
Im Rahmen der vom BMBF geförderten Programme „ANKOM“ (2005–2014) wurden Verfahren zur Anrechnung entwickelt und erprobt sowie Unterstützungsangebote wie Beratung, Mentoring und Coaching erarbeitet. Eine Begleitstudie des BIBB (2014) zeigte, dass diese Maßnahmen besonders wirksam sind, wenn sie in Kooperation zwischen den in diesem Feld tätigen Institutionen umgesetzt werden.
Der Bund-Länder-Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ (2011–2020) hat diese Ansätze weiterentwickelt und verbreitet. Dennoch existieren bislang keine einheitlichen bundesweiten Anrechnungsverfahren; die Verantwortung liegt bei den Hochschulen. Hilfestellungen hierzu bietet das HRK-Projekt „MODUS“, das umfassende Informationen zur Anerkennung und Anrechnung bereitstellt (hrk-modus.de).
Studienangebote für beruflich Qualifizierte
Berufsbegleitende Studienangebote ermöglichen ein Studium neben der Berufstätigkeit, ohne zwingende inhaltliche Verbindung zwischen Beruf und Studium. Häufig wird die berufliche Tätigkeit jedoch integriert, z. B. durch Projektarbeiten. Lehrveranstaltungen finden abends, an Wochenenden, in Blockseminaren oder in Teilen virtuell statt. Auch Teilzeit- und Fernstudiengänge zählen zu den berufsbegleitenden Optionen.
Berufsbegleitende Studienangebote zur individuellen Weiterbildung sind organisatorisch dem grundständigen Studium zugeordnet. Sie sind im Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gelistet.
Darüber hinaus bieten Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung weitere Möglichkeiten sich auf Hochschulniveau weiterzubilden.
Wissenschaftliche Weiterbildung
Die Entwicklung der wissenschaftlichen Weiterbildung ist von verschiedenen Meilensteinen geprägt: Dazu gehören das Bund-Länder-Programm „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ von 2011 bis 2020, die Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 2019, die Nationale Weiterbildungsstrategie von 2019 und der Aufbau des Weiterbildungsportals „hoch & weit“ seit 2020.
Weiterbildende Angebote für beruflich Qualifizierte, in der Regel in Kooperation zwischen Hochschulen und beruflicher Praxis entwickelt, wurden in den letzten 15 Jahren etabliert und ausgebaut. Sie sind bedarfsorientiert, richten sich an verschiedene Zielgruppen und knüpfen meist an berufliche Erfahrungen an. Diese Studienangebote reichen von (anrechenbaren) Modulen und Modulkombinationen (Zertifikaten) bis zu berufsbegleitenden Bachelor- und Masterstudiengängen. Moderne Medienkonzepte und flexible Zeitmodelle fördern die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit, Weiterbildung und privaten Verpflichtungen im Rahmen des lebenslangen Lernens.
Regionale Portale informieren über wissenschaftliche Weiterbildungsangebote in einzelnen Bundesländern. Das bundesweite HRK-Portal hoch&weit bietet zudem umfassende Informationen, einen Angebotsüberblick und einen Weiterbildungsinteressentest.
BIBB-Projekt KOwiWB: Analyse und Systematisierung der Kooperationen zwischen Einrichtungen der beruflichen und hochschulischen Bildung im Kontext wissenschaftlicher Weiterbildung
Für eine adressatenorientierte Gestaltung und Umsetzung von Angeboten der wissenschaftlichen Weiterbildung ist die Zusammenarbeit zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung essenziell. Hier setzt das aktuelle BIBB-Projekt KOwiWB an, dessen Ziel die Analyse und Systematisierung solcher Kooperationen ist. Zum einen soll kurz- und mittelfristig die Position der Berufsbildung im Kontext der wissenschaftlichen Weiterbildung verdeutlicht und zum anderen bislang noch nicht erkanntes Entwicklungspotential für die berufliche Weiterbildung an der Schnittstelle von beruflicher und hochschulischer Bildung ausgelotet werden.
Durchlässigkeit im Bildungssystem – Möglichkeiten zur Gestaltung individueller Bildungswege
Vogel, Christian | 2017
Anerkennung und Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge - Eine Sisyphus-Aufgabe?
Wiesner, Kim-Maureen | 2016
Information und Beratung für Beruflich Qualifizierte an der Schnittstelle zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung
Wiesner, Kim-Maureen | 2015
Information und Beratung für beruflich Qualifizierte am Übergang zur Hochschule: Ergebnisse aus einer ANKOM-Begleitstudie. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis: BWP. - 44 (2015), H. 3, S. 19-22
Wiesner, Kim-Maureen
Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2015 : Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung
Wiesner, Kim-Maureen | Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2015 – Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung / Bundesinstitut für Berufsbildung [Hrsg.]. Bonn. - (2015), S. 465-466 | 2015
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NICKEL, Sigrun; LEUSING, Britta: Studieren ohne Abitur: Entwicklungspotenziale in Bund und Ländern. Eine empirische Analyse. CHE Arbeitspapier Nr. 123. Gütersloh 2009, S. 16