„Duale Berufsbildung verändert Leben“
30.10.2025
Ende Oktober trafen sich in Rio de Janeiro Berufsbildungsinstitutionen aus rund 15 Ländern zur Konferenz der Allianz für duale Ausbildung in Lateinamerika und der Karibik. Eingeladen hatte der brasilianische Berufsbildungsdienst SENAC. Neben der Berufsbildungspraxis wurden auch Perspektiven von Arbeitgebern und Wissenschaft beleuchtet.
Duale Berufsbildungsprogramme sind in Lateinamerika lange nicht so verbreitet wie in Deutschland, allerdings werden sie immer stärker nachgefragt. Die dortigen Bildungsstrategien verfolgen häufig vor allem das Ziel, benachteiligte Jugendliche in Arbeit zu bringen. Im Fokus sind dabei besonders auch junge Menschen ohne Abschluss und ohne Arbeit – ein Thema, das auch in Deutschland von großer Bedeutung für die Wirtschaft ist.
Um sich über Erfolgsfaktoren und aktuelle Herausforderungen der dualen Ausbildungsmodelle auszutauschen, trafen sich Ende Oktober Berufsbildungsinstitutionen aus ganz Lateinamerika bei der Internationalen Konferenz der Allianz für duale Ausbildung in Lateinamerika und der Karibik in Rio de Janeiro. Gastgeber der Konferenz vor Ort war der brasilianische SENAC (Nationaler Dienst für die Ausbildung im Bereich Handel und Tourismus), der aktuell den Vorsitz der Allianz innehat. Das BIBB ist Referenzinstitution und berät und begleitet gemeinsam mit ILO/Cinterfor (Technisches Sekretariat) die jeweilige einjährige Präsidentschaft im Rahmen der Koordinierungsgruppe der Alianza.
Rund 100 Expertinnen und Experten waren der Einladung nach Rio gefolgt. Neben den Allianz-Mitgliedsinstitutionen nahmen Vertretungen der SENAC-Regionaldirektionen aus den 27 Verwaltungseinheiten teil. Unter dem Titel “Duale Berufsbildung, die verändert” legte die Konferenz einen starken Fokus auf die inklusiven und persönlichkeitsbildenden Aspekte von Berufsbildung. Eine Führung durch ein regionales SENAC-Zentrum in Rio de Janeiro zeigte eindrucksvoll, mit welchen pädagogischen Konzepten jungen Menschen Soft Skills vermittelt und damit ihr Selbstvertrauen gestärkt wird. Die Aussage „Die Ausbildung hat mein Leben verändert“ war während der Tage in Rio nicht nur einmal zu hören.
Für SENAC war die Konferenz ein wertvoller Beitrag zum aktuellen Diskurs über betriebliche Ausbildung in Brasilien. Die aktuelle Konjunktur in Brasilien ist günstig für den Ausbau dualer Ausbildung, die weit über bisher übliche kurze Praktika hinausgeht. „Wir freuen uns sehr über die Impulse zur Stärkung unserer Institution, die Brücken baut zwischen Nationen, Produktionssektoren und internationalen Organisationen“, so José Roberto Tadros, Präsident des Handelsverbands CNC, dem auch SENAC unterstellt ist.
Duale Ausbildung in der Region voranbringen
Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz lag auf dem Austausch mit Unternehmen und deren Engagement im „work-based learning“. Unternehmen von dualen Ausbildungsprogrammen zu überzeugen, ist in vielen Ländern Lateinamerikas eine Herausforderung. Oft sind die Möglichkeiten nicht bekannt. Zudem scheuen die Arbeitgeber den Aufwand, der mit der Betreuung verbunden ist. Im Rahmen der Konferenz stellte BIBB-Experte Dr. Felix Wenzelmann online die Ergebnisse aus Kosten-Nutzen-Analysen vor. In Deutschland bilden aktuell etwa 19 % der Betriebe Jugendliche im dualen System aus. Die Konferenzteilnehmenden zeigten sich sehr beeindruckt von dem hohen betrieblichen Engagement und regten an, entsprechende Untersuchungen für Lateinamerika voranzutreiben.
Weiteren Handlungsbedarf sehen die lateinamerikanischen Berufsbildungsinstitutionen bei den teils fehlenden rechtlichen Rahmen für duale Modelle in vielen Ländern, bei den pädagogischen Kompetenzen des Ausbildungspersonals in den Betrieben sowie angesichts der zunehmend technisierten und digitalen Arbeitswelt.
Als Mitausrichter der Konferenz und sog. Referenzinstitution der Allianz brachte das BIBB während der Konferenz in Rio entsprechend Input ein, beispielsweise mit aktuellen Daten aus der deutschen Berufsbildung oder mit einer Vorstellung der Funktionsweise des BIBB-Hauptausschusses.
Ein wichtiger Teil der inhaltlichen Debatten war auch die Empfehlung 208 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 2023, ein wirksames Instrument für die Implementierung und den Ausbau der dualen Ausbildungsoptionen auch in Lateinamerika. Nach einer Einführung von Gonzalo Graña (ILO/Cinterfor) zu den Kernpunkten der Empfehlung 208, erläuterte Ilona Medrikat vom BIBB, inwiefern das deutsche duale System die Kernprinzipien bereits verwirklicht. Im weiteren Konferenzverlauf kam die Diskussion immer wieder auf die hier umrissenen Qualitätskriterien im dualen System zurück.
Regionale Perspektive in den globalen Diskurs einbringen
Auf ihrer anschließenden Mitgliedersammlung in Rio verabschiedeten die Mitgliedsinstitutionen ein Positionspapier, in dem sie die Herausforderungen für duale Berufsbildung in der Region benennen. Weiterhin erklären sie darin ihr Bestreben, als Allianz ihre Aktivitäten zu bündeln, um die Qualität der beruflichen Bildung Lateinamerika und der Karibik zu voranzubringen und dafür zu sorgen, dass vor allem auch benachteiligte Zielgruppen mit qualitativ hochwertigen Berufsausbildungen erreicht werden.
Vertreterinnen und Vertreter der Alianza brachten die Inhalte dieses Positionspapier als regionale Perspektive beim Global TVET Forum ein, das kurz nach der Rio-Konferenz in Berlin stattfand. „Trotz unterschiedlicher Bildungssysteme stehen wir weltweit vor ähnlichen Herausforderungen“, so BIBB-Forschungsdirektor Prof. Hubert Ertl in seiner Videoansprache. Die Herausforderungen gemeinsam zu reflektieren, Ansätze zu vergleichen und gemeinsame Antworten zu finden, sei sowohl der Ansatz der Allianz als auch der Initiative „Towards A Global TVET Agenda“, die die Konferenz in Berlin ausrichtet. Das BIBB übernimmt in beiden Initiativen eine koordinierende Rolle.